Stabiles Meinungsbild in der Schweiz
Seit den Volksabstimmungen vom 18. Mai 2003 über die beiden letzten antinuklearen Volksabstimmungen, die beide deutlich verworfen wurden, hat sich die Einstellung der Schweizer Bevölkerung gegenüber der Kernenergie nur wenig verändert.
Immerhin fällt der allgemeine Trend leicht zu Gunsten der Kernenergie aus: Klare Mehrheiten akzeptieren sie als notwendig, anerkennen den Beitrag zur Versorgungssicherheit und glauben nicht, dass Strom Sparen sie unnötig machen würde. Nicht weniger als 83% halten die bestehenden schweizerischen Kernkraftwerke für sicher. Auch glaubt eine wachsende Mehrheit von 54%, dass die Lagerung der radioaktiven Abfälle in der Schweiz lösbar ist, während nur 24% finden, man sollte zuerst die Kernkraftwerke abschalten und sich erst nachher um die Entsorgung der radioaktiven Abfälle kümmern. Unsicherheit zeigt sich weiterhin bei Fragen nach der Umweltauswirkung der Kernenergie, ihrer Nachhaltigkeit, dem Beitrag zur Lösung des Treibhausgasproblems und der Wirtschaftlichkeit des Produkts Atomstrom. Hier besteht offenbarer Informationsbedarf, denn die diesbezüglichen Vorteile der Kernenergie sind zu wenig bekannt. Geteilt bleiben die Meinungen bei der Frage nach dem Ersatz der bestehenden Kernkraftwerke nach Ablauf ihrer Lebensdauer: 46% sind heute «eher für» den Ersatz durch ein neues Kernkraftwerk und 51 % «eher dagegen».
Teilweise unterschiedliche Ergebnisse bei verschiedenen Segmenten
Die Zahl der Befragten und die angewandte Methode erlauben eine Segmentierung bei der Auswertung etwa nach Sprachregionen, Geschlecht, Alter oder Bildung. In einzelnen - aber lange nicht in allen - Fragen weichen die Meinungen der verschiedenen Gruppen vom Landesdurchschnitt ab. So zeigen sich Frauen im Vergleich mit Männern tendenziell skeptischer gegenüber der Kernenergie und der Anteil der Weiss-nicht-Antworten ist bei ihnen höher. Das gleiche gilt für die Romands. Bei den Altersgruppen ist das Segmentierungsbild gemischt. So sprechen sich beispielsweise die ganz jungen (15 bis 24 Jahre) und die ältesten (65 und mehr Jahre) Befragten zu 50% für den Ersatz bestehender Kernkraftwerke durch ein neues aus, während die mittleren Jahrgänge diesen knapp ablehnen (55% bei den 35 bis 44 Jahre alten Befragten).
Repräsentative Studienreihe
Dies sind die Ergebnisse einer repräsentativen Befragung von Schweizerinnen und Schweizern, die das Institut Demoscope im Auftrag der Swissnuclear - der Fachgruppe Kernenergie der Swisselectric - im Oktober 2005 durchführte. Die Ergebnisse wurden Ende April 2006 bekannt. Die Swissnuclear lässt repräsentative Studien seit 2001 durchführen und nutzt die daraus gewonnene Trendanalyse für ihre Tätigkeit. Die Studien sind ein internes Arbeitsinstrument und werden deshalb grundsätzlich nicht veröffentlicht.
Notwendigkeit und Versorgungssicherheit
Eine schwindende Minderheit von nur noch 22% glaubte im Oktober 2005, Strom Sparen würde genügen, um die bestehenden Kernkraftwerke überflüssig zu machen; 73% waren gegenteiliger Ansicht. Hingegen meinten 54%, dass Strom Sparen zusätzliche Kernkraftwerke überflüssig macht, während 41% mit dieser Aussage nicht einverstanden waren. Entsprechend erachteten 61 % das Produkt Atomstrom als «für das tägliche Leben notwendig» und 70% die bestehenden Kernkraftwerke als «notwendig für die Stromversorgung in der Schweiz» - 7 Prozentpunkte mehr als 2001; im männlichen Befragungssegment waren es sogar 76% und im weiblichen 65%.
Luftreinhaltung und Sicherheit
Bei der Wahl der Stromquellen setzen die Schweizerinnen und Schweizer ihre Prioritäten klar bei der Luftreinhaltung und der Sicherheit, während die Erzeugungskosten und die Auslandunabhängigkeit für sie im Vergleich weniger wichtig sind. So war im Oktober 2005 für 39% die Luftreinhaltung bei der Wahl der Stromerzeugsart der wichtigste Gesichtspunkt, die Zuverlässigkeit mit 31 % der zweitwichtigste sowie eine genügende Versorgung mit 15% der drittwichtigste; die Auslandunabhängigkeit und die Wirtschaftlichkeit hingegen zählten für weniger als 10% als wichtige Gesichtspunkte. Die Schweizer denken in dieser Beziehung offensichtlich anders als die Amerikaner, für die 2004 nach der Luftreinhaltung und der Zuverlässigkeit die Wirtschaftlichkeit den dritten Platz einnahm. Wenn es um den Standort für ein Kernkraftwerk geht, hielten im Oktober 2005 konstante 71 % die Sicherheit für den wichtigsten Gesichtspunkt. Dabei kamen die Schweizer Kernkraftwerke bei Befragten gut weg: 83% hielten sie für «eher sicher». 2001 waren es noch 75% und 2003 bereits 80%.
Wirtschaftlichkeit
Wenig klar war das Meinungsbild bei der Frage nach der Wirtschaftlichkeit: je 41 % hielten das Produkt Atomstrom für «eher günstig» beziehungsweise für «eher teuer» und 18% wussten keine Antwort auf diese Frage - 2001 war das Bild noch unklarer: je rund 35% für «eher günstig» und «eher teuer» sowie 30%, die keine Antwort wussten.
Klima und Nachhaltigkeit
Ähnlich unklar ist das Bild bei der Frage, ob die bestehenden Kernkraftwerke helfen, das CO2-Problem zu vermindern: 45% meinten Nein, 42% Ja und 13% wussten es nicht - 2001 sagten noch je rund 36% Nein beziehungsweise Ja und die Restlichen «weiss nicht». Etwas ausge-sprochner, jedoch stets noch wenig klar fielen die Antworten auf die gestützte - das heisst mit einer zusätzlichen Erklärung gestellte - Frage aus, ob die Kernkraftwerke nachhaltig seien: 52% meinten Nein und 42% Ja mit 6% Enthaltungen - seit 2001 nahm in dieser Frage lediglich der Anteil der Weiss-nicht-Antworten ab.
Offenbar besteht hier Informationsbedarf: Stromproduktion aus Kernenergie ist ja bekanntlich CO2-frei und belastet die Luft auch sonst kaum. Sie wird somit den Bedürfnissen und Wünschen der Schweizer Bevölkerung gerecht, auch wenn dies nur einer Minderheit bewusst ist, wie auch die Antworten auf weitere Fragen zeigen.
Umweltverträglichkeit und Abfälle
So war die Meinungsentwicklung in der Frage, ob Atomstrom «eher umweltfreundlich» oder «eher umweltschädlich» sei, seit 2001 stabil: 65% hielten ihn auch 2005 für eher umweltschädlich und 31 % meinten das Gegenteil. Ein Grund dafür dürfte die bisher politisch ungelöste Abfallfrage sein. Indessen pflichteten im Oktober 2005 bereits 54% der Aussage zu, «die Lagerung der radioaktiven Abfälle in der Schweiz ist lösbar», und nur 38% lehnten sie ab - deutlich günstiger als 2001, als erst 46% der Aussage zustimmten und sie 37% ablehnten. Bemerkenswert ist hier übrigens die Abweichung der Westschweiz vom Schweizer Mittelwert: Nur 30% glaubten dort an die Lösbarkeit und 50% hielten sie für nicht lösbar. Im Übrigen unterstützte eine stabile Mehrheit von 53% eine Lösung in der Schweiz und - wie bereits erwähnt - verlangte nur eine Minderheit von 24% die Abschaltung der Kernkraftwerke vor der Lösung der Abfallfrage.
Zukunft der Stromversorgung und der Kernenergie
Bei der Beurteilung der Zukunft für die Kernenergie in der Schweiz ist das Meinungsbild recht stabil: 38% meinten, der Kernenergieanteil werde wachsen, 35%, er bleibe gleich, und nur 24%, er werde in Zukunft kleiner sein als heute. In der Studienreihe seit 2003 stark angestiegen ist indessen der Anteil der Befragten, die meinten, weltweit werde die Zahl der Kernkraftwerke ansteigen, und zwar von 34% auf 45%, während die Anteile der anderen Befragten entsprechend abnahmen.
Die Frage nach der Zustimmung zur Aussage, «bei Bedarf sollen die heute bestehenden Kernkraftwerke durch eine neueste Generation von Kernkraftwerken ersetzt werden», wurde in dieser Form erstmal im Herbst 2004 und dann wieder im Herbst 2005 gestellt. Innerhalb der statistischen Schwankungen war das Meinungsbild praktisch stabil: Im letzten Herbst waren 51 % «eher gegen einen Ersatz der bestehenden Kernkraftwerk» und 46% «eher dafür» - ein Jahr zuvor waren noch 52% «eher dagegen» und 44% «eher dafür». Bei der Segmentierung der Antworten zeigen sich kaum Abweichungen vom Mittelwert ausser bei der bereits erwähnten Feststellung, dass bei den ganz jungen und den ältesten Befragten die Befürworter eines Ersatzes durch ein neues Kernkraftwerk in der Mehrheit sind. Auch liegt bei den männlichen Antwortenden der Anteil der Befürworter mit 49% etwas höher als bei den weiblichen mit 43%.
Source
P.B. nach Swissnuclear, Foliensatz 6. Eckwertstudie, April 2006