Widersprüchliche Signale mehren sich
Die langfristige Planung wird für einige europäische Stromkonzerne immer schwieriger. Darauf deuten die neuesten Trendmeldungen hin. Nun stemmt sich Deutschland sogar gegen die klimaschonende Speicherung von Kohlendioxid (CCS).
Verblüffende Nachricht – und einmal mehr kommt sie aus Deutschland: Der Bundesrat – das heisst die Vertretung der Bundesländer in der Länderkammer – hat soeben ein Gesetz zur unterirdischen Speicherung von Kohlendioxid (CO2) gestoppt. Deutschland droht nicht nur der Verlust der EU-Förderung, sondern auch ein Vertragsverletzungsverfahren.
Die sogenannte CCS-Technik (Carbon Capture and Storage) gilt als Voraussetzung, um Kohlekraftwerke klimaschonend zu betreiben. Die Abscheidung und Speicherung von CO2 wurde bisher weltweit als fortschrittliche Klimaschutztechnologie gelobt. Die Kritiker wie Greenpeace lehnen diese Technologie aber ab, weil sie befürchten, dass die in den Untergrund gepumpten Kohlenstoffmasse das Grundwasser verunreinigen könnte. Einige Umweltverbände befürworten die Technik nur im kleineren Stil; so etwa für die Hersteller von Stahl und Zement. Verwirrend sind auch die Meinungen bezüglich der geographischen Dimensionen: So setzte sich ein WWF-Vertreter gegenüber der Fernsehsendung «Nano» zwar klar gegen die Anwendung der CCS-Technik in Deutschland zur Wehr. Gleichzeitig schloss er die Anwendung dieses Verfahrens für China und andere Schwellenländer nicht aus. Begründung: Klimaneutrale Stromproduktion aus erneuerbaren Energiequellen sei in Deutschland ohne Kohlekraftwerke möglich.
Widersprüchliche Signale und teils Konfusion gibt es weiterhin für die Kernenergie: «Deutschlands grösstes Industrieunternehmen vollzieht die Energiewende», so die unmissverständliche Message im Blätterwalt und der Online-Medien. Konkret: Siemens gebe sein Geschäft mit der Kernkraft endgültig auf, erklärte Vorstandschef Peter Löscher in einem Interview mit dem «Spiegel». Auch das geplante Joint Venture mit dem russischen Rosatom-Konzern sei kein Thema mehr. Wer meint, Siemens werde bei Kernkraftwerks-Projekten aussen vor bleiben, sieht sich jedoch getäuscht: Statt sich am Bau kompletter Kernkraftwerke zu beteiligen, will der Konzern künftig Komponenten wie Dampfturbinen liefern.
Vor Fukushima sagte Siemens-Chef Peter Löscher, jedoch unmissverständlich: «Wir sehen die Kernenergie als weltweiten Wachstumsmarkt, an dem wir teilhaben wollen.» Der Konzern habe sich Umweltschutz auf die Fahne geschrieben und für ihn würden sich Atomstrom und grüne Technologie nicht ausschliessen: «Um den Klimaschutz zu verbessern, brauchen wir einen breiten Energiemix.» Siemens bilde als einziges Unternehmen weltweit die gesamte Energiekette ab. Der Klimawandel sei die wohl grösste und anspruchsvollste Herausforderung, vor der die Menschheit heute stehe, fuhr Löscher in einem Interview gegenüber «Die Welt» im Jahr 2009.
Konfusion herrscht schliesslich bei den Kostenberechnungen: Der Ausstieg aus der Kernenergie in Deutschland werde für erhebliche Strompreiserhöhungen sorgen; bis zum Jahr 2030 werde der Strom um mindestens EUR 32 Mrd. (CHF 39 Mrd.) teurer, schrieb das «Handelsblatt». Es berief sich auf die Ergebnisse einer Studie, die das deutsche Bundeswirtschaftsministerium in Auftrag gegeben hat. In der Berechnung wurden zusätzliche Kosten beispielsweise für den beschleunigten Ausbau der regenerativen Energien, für den Ausbau der Netze oder für die Verschärfung der Klimaziele noch gar nicht berücksichtigt. Die deutsche KfW-Bankengruppe hat errechnet, dass die energetische Neuausrichtung Deutschlands insgesamt mit Kosten von EUR 250 Mrd. (CHF 307 Mrd.) verbunden sein könnte.
In Frankreich würde der Atomausstieg mindestens EUR 750 Mrd. (CHF 920 Mrd.) kosten. Diese Zahl stammt vom Chef des Commissariat à l'Energie Atomique et aux Energies Alternatives (CEA), Bernard Bigot. In Frankreich beschäftigt die Kernenergiebranche mehr als 400'000 Mitarbeiter. Auch das offizielle Ziel der energetischen Unabhängigkeit muss gemäss Bigot beachtet werden. Für die Regierung von Nicolas Sarkozy bleibt die Kernenergie unabdingbar.
Der Think-Tank «Avenir Suisse» spricht jüngst von einem gestiegenen Risiko von Stromausfällen. Urs Meister von «Avenir Suisse» hält dazu fest: «Fünf der abgeschalteten deutschen Kernkraftwerke stehen im Süden des Landes. Das bedeutet, dass die wirtschaftsstarke Region vermehrt auf den im Norden produzierten Strom angewiesen ist.» Dies wiederum erhöhe die Belastung des Übertragungsnetzes derart stark, dass auch die Risiken für die Systemstabilität zunehmen. «Davon betroffen ist nicht nur Süddeutschland, sondern wegen der engen Vernetzung auch die Schweiz.»
Quelle
Hans Peter Arnold