Wer Sonne will, braucht Gas und Öl
Rund 62 Milliarden Franken würde es die Schweizer Volkswirtschaft kosten, wenn die Kernkraftwerke nach dem Vorgehen der Initiative „Strom ohne Atom“ vorzeitig stillgelegt und durch einen forcierten Einsatz von Photovoltaik und Wind ersetzt würden. Zudem müssten bei einem Atomausstieg ergänzend zu jeder Kilowattstunde Sonnen- oder Windstrom – zu Zeiten ohne Sonne und Wind – neun Kilowattstunden Strom aus Gas oder Öl produziert werden.
Dies sind Ergebnisse einer am 16. Januar 2001 in Bern vorgestellten umfassenden Studie, die das Bremer Energie-Institut unter Professor Wolfgang Pfaffenberger im Auftrag der Schweizer Kernkraftwerke Beznau, Mühleberg, Gösgen und Leibstadt erstellt hat. Für einen Ausstieg gemäss der anderen Initiative, ?Moratorium plus?, ermittelt die Studie Kosten von rund 46 Milliarden Franken. Wie Professor Silvio Borner vom wirtschaftswissenschaftlichen Zentrum der Universität Basel unterstrich, wäre eine Abstellung der Kernkraftwerke und ihr Ersatz durch eine Kombination von forcierten erneuerbaren Energien, Stromeinsparungen und Wärme-Kraft-Kopplung zwar möglich, aber eben nur zu einem enormen ökonomischen und ökologischen Preis.
Die Untersuchung schliesst an eine vom gleichen Institut erstellte und vor einem Jahr präsentierte Studie an, in der die kostengünstigste Stromersatz-Variante bei einem allfälligen Ausstieg - durch CO2-produzierende Gaskraftwerke - errechnet und mit Kosten von rund 40 (Szenario ?Strom ohne Atom?) respektive 29 Milliarden Franken (Szenario ?Moratorium plus?) beziffert worden waren.
Professor Borner führte an der Medienkonferenz zu den Kosten weiter aus, die Liberalisierung des europäischen Strommarktes werde auch an der Schweizer Grenze nicht Halt machen. Wegen der beträchtlichen Verteuerung der Stromproduktion müssten die in der Studie vorgestellten Varianten zu einer ?Strompreisinsel Schweiz? führen. Diese könnte dem Ansturm durch die internationale Konkurrenz nur standhalten, wenn man einen Schutzwall aus neuen Regulierungen und Subventionen errichtete - das wiederum hätte zusätzliche volkswirtschaftliche Kosten zur Folge.
?Das Motiv für den Einsatz insbesondere der regenerativen Energieträger ist die Verbesserung der Umweltbilanz. Da jedoch Kernenergie selbst keine CO2-Emissionen oder Emissionen von Stickoxiden aufweist und beim Einsatz der regenerativen Energie in erheblichem Umfang Gas in den WärmeKraft-Kopplungs-Anlagen eingesetzt werden muss, entstehen auch hier zusätzliche CO2-Vermeidungskosten gegenüber der Kernenergienutzung selbst. Sie sind immerhin noch etwa halb so hoch wie beim kostengünstigsten Ersatz der KKW durch Gaskraftwerke?, schreibt Professor Pfaffenberger in den Schlussfolgerungen der neuen Studie.
Diese untersucht im Wesentlichen, was bei einem allfälligen Ausstieg der Schweiz aus der Kernenergie passiert, wenn der fehlende Strom möglichst weitgehend durch erneuerbare Energieträger wie Sonne und Wind erzeugt wird. Zudem soll gleichzeitig durch verstärkte Einsparmassnahmen der Stromverbrauch gesenkt werden.
Wie die Gruppe Pfaffenberger ausführt, wurden dazu zwei Varianten untersucht: In der ersten Variante findet ein forcierter Ausbau der Photovoltaik bis zu einer Leistung von drei Millionen Kilowatt (was etwa der heutigen Leistung der Schweizer Kernkraftwerke entspricht) statt. Dazu kommt ein Ausbau der Windenergie bis zu einer Million Kilowatt. Alternativ zur Photovoltaik wird als zweite Variante eine forcierte Verbesserung der Effizienz bei der Stromnutzung vorgesehen.
Beim Einsatz von Photovoltaik und Wind muss jedoch der Tatsache Rechnung getragen werden, dass diese Energieträger entsprechend den natürlichen Gegebenheiten stark schwankende Beiträge zur Energieversorgung liefern. Um die Stromversorgung zu gewährleisten, muss daher durch zusätzliche Anlagen ein Ausgleich erfolgen. Dafür sind in der Studie Wärme-Kraft-Kopplungs-Anlagen vorgesehen. Die Ausnutzung der Kraftwerkskapazität bei den erneuerbaren Energieträgern ist entsprechend der Sonnenscheindauer und der Windverhältnisse in der Schweiz relativ gering. Die Jahresverfügbarkeit bei der Sonne beträgt ungefähr zehn Prozent, beim Wind zwölf Prozent. Aus diesem Grunde erfordert eine kontinuierliche Energieerzeugung entsprechend den Wünschen der Verbraucher erhebliche zusätzliche Beiträge aus der Wärme-Kraft-Kopplung.
Unter diesen Bedingungen entstehen bei einem Ausstieg der Schweiz aus der Kernenergie hohe zusätzliche Kosten gegenüber dem Weiterbetrieb der Kernkraftwerke. Werden die Kernkraftwerke durch forcierten Ausbau der Photovoltaik und der Windenergie ersetzt, betragen die gesamten Ausstiegskosten bis zum Jahre 2045 je nach Ausstiegsvariante bis zu 62,1 Milliarden Franken. Wird die effizientere Stromnutzung durch Investition in verbesserte Stromanwendungstechniken forciert, betragen die Ausstiegskosten bis zu 47,6 Milliarden Franken. Und falls die Kernkraftwerke vorzeitig durch Gaskraftwerke ersetzt werden (diese günstigste Variante wurde in der vor einem Jahr präsentierten ersten Studie Pfaffenberger vorgestellt), betragen die Kosten des Ausstiegs immer noch bis zu 40,1 Milliarden Franken.
Im Bericht Pfaffenberger kann man dazu lesen, dass alle drei Ausstiegsvarianten (auch die Variante mit hohem Einsatz von Photovoltaik und Wind) unter ökologischen Gesichtspunkten (Emission von CO2 und Stickoxiden) erheblich schlechter abschneiden als der Referenzfall, bei dem die Lebensdauer der Kernkraftwerke von 50 (Beznau, Mühleberg) bis 60 Jahren (Gösgen, Leibstadt) voll ausgenutzt wird. Das Gaspreisrisiko und die Kosten der Vermeidung zusätzlicher Emissionen sind beim Einsatz der regenerativen Energien beziehungsweise der Verbesserung der Stromeffizienz niedriger als beim Ersatz der Kernkraftwerke durch Gaskraftwerke. Insgesamt ergeben sich aber dennoch erheblich höhere Kosten des Ausstiegs. Im Verhältnis der Varianten ist die Energieeinsparung allerdings günstiger als der Einsatz von Photovoltaik in grossem Stil.
Die Bremer Studie wurde von den Schweizer Kernkraftwerksbetreibern in Auftrag gegeben, um die Auswirkungen der hängigen eidgenössischen Volksinitiativen ?Strom ohne Atom? und ?Moratorium plus? von einer renommierten, unabhängigen energiewirtschaftlichen Fachinstanz abschätzen zu lassen.
Der Sprecher des Unterausschusses Kernenergie (UAK) der Überlandwerke, Dr. Hans Fuchs, zog an der Medienkonferenz den folgenden Schluss: Die neue Studie zeige, dass man zwar leistungsmässig die Kernkraftwerke durch Photovoltaik-Anlagen ersetzen könnte. Der produzierte Solarstrom entspräche aber, trotz der ernormen Kosten von 50 bis 60 Milliarden Franken, nur etwa der Stromerzeugung des KKW Mühleberg - das heisse, Beznau, Gösgen und Leibstadt würden trotz dieser ?solaren Anbauschlacht? durch Gas und Öl ersetzt.
Wer Sonne wolle, lande bei Gas und Öl.
Quelle
Medienmitteilung der schweizerischen Kernkraftwerke vom 16. Januar 2001