Strahlenunfall in Thailand
Über Presseberichte erfuhr am 20. Februar 2000 die Weltöffentlichkeit von einem Strahlenunfall, der sich kurz zuvor in Thailand ereignet hatte.
Bei diesem Ereignis wurden zehn Personen einer nachweisbaren bis sehr starken Bestrahlung durch eine Kobalt-60-Quelle ausgesetzt und in der Folge hospitalisiert. Der am stärksten strahlenexponierte Mann ist gestorben. Die Kette der Umstände, welche zum Ereignis führten, lässt sich nach heutigem Kenntnisstand wie folgt zusammenfassen:
Die Firma Kamal Sukusol Electric Co. betreibt neben anderen Geschäften auch einen Handel mit Strahlenquellen in Thailand, die für medizinische und industrielle Zwecke verwendet werden. Die Firma hat vier solche Quellen von den vormaligen Benutzern zurückgenommen. Diese Quellen wurden zuerst in einem Lagerhaus, später auf einem eingezäunten Areal in einem südlichen Vorort von Bangkok, abseits von Wohnsiedlungen, gelagert. Auf einem noch nicht geklärten Weg kaufte oder entwendete ein Alteisensammler Ende Januar 2000 eine dieser Quellen, die in einer dichten Bleiumhüllung steckte. Mit dieser Abschirmung wies sie eine Oberflächen-Dosisleistung von etwa 3 mSv/h auf. Die Quelle wurde vor mehr als zehn Jahren aus Japan nach Thailand importiert. Da der Alteisensammler die Bleiumhüllung nicht öffnen konnte, verkaufte er die gekapselte Quelle an einen Altmetallhändler weiter. Dessen Werkstatt liegt im dicht besiedelten Ort Samut Prakan. Der Besitzer und die Mitarbeiter dieser Altmetallhandlung durchtrennten die Bleiabschirmung, obwohl diese vorschriftsmässig und gut sichtbar mit der englischen Anschrift "Radioaktiv" und dem entsprechenden Symbol gekennzeichnet war. Die Co-60-Quelle fiel aus der Bleipanzerung heraus und blieb danach in der Werkstatt liegen. Nachdem sich die Symptome der Strahlenkrankheit bei zwei der beteiligten Arbeiter immer stärker bemerkbar machten, suchten diese ein Spital auf. Nach der korrekten Diagnose der unzulässigen Strahlenexposition wurden die Behörden eingeschaltet.
Von diesen wurden vorerst zwei Massnahmen ergriffen. Das Office of Atomic Energy for Peace, die Regierungsorganisation, welche die Aufsicht über die Nutzung von Strahlenquellen in Thailand ausübt, entsandte zum einen eine Schutzmannschaft zur Werkstatt der Altmetallhandlung, die die Quelle in einem Abschirmbehälter abtransportierte. Eine nachfolgende Kontaminationskontrolle der Werkstatt bestätigte den Erfolg dieser Rekuperation. Zum anderen wurde eine Blutprobe bei ca. 350 Personen entnommen, die entweder ständig in Nachbarschaft der Werkstatt der Alteisenhandlung leben oder in der fraglichen Zeitperiode anwesend waren. Leute der betreffenden Gruppe mit Klagen über gesundheitliche Störungen wurden zudem einer generellen medizinischen Untersuchung unterzogen. Wie eingangs erwähnt, wurde bei zehn Personen eine nachweisbare Strahlenexposition festgestellt, davon bei vier Männern eine sehr starke, die nach jüngsten Presseberichten zu einem Todesfall führte.
Zurzeit läuft die juristische Aufarbeitung dieses Strahlenunfalls. Eine politische Wirkung hat er bereits erzielt. Das aus dem Jahr 1961 stammende Atomgesetz Thailands dürfte demnächst eine Anpassung erfahren, in welcher die Verantwortlichkeiten der Nutzer strahlender Materie, die Aufsichtsfunktion des Staates und die Strafandrohung bei Gesetzesübertretungen präziser formuliert sein werden.
Die Internationale Atomenergie-Organisation entsandte eine Untersuchungskommission nach Thailand. Bis zum Redaktionschluss lag kein offizieller Bericht vor. Zu diesem Zeitpunkt ebenfalls ausstehend war eine Einstufung des Zwischenfalls auf der Internationalen Störfallbewertungsskala für Kernanlagen (Ines).
Quelle
H.K. nach Bericht von Andreas Jacobi, Electrowatt Engineering, Zürich