Schutz der schweizerischen Kernkraftwerke gegen einen Flugzeugabsturz

20. Sep. 2001

1. Einleitung

Die vorliegende Aktennotiz hat das Ziel, den vorhandenen Schutz der schweizerischen Kernkraftwerke gegen einen Flugzeugabsturz vor dem Hintergrund der jüngsten Anschläge gegen das World Trade Center (WTC) in New York zusammenzufassen und zu bewerten.
Die schweizerischen Kernkraftwerke wurden entsprechend ihrer Projektierungsphase (Mitte 60er Jahre: Mühleberg und Beznau; Mitte 70er Jahre: Gösgen und Leibstadt) unterschiedlich wirksam gegen die Folgen eines Flugzeugabsturzes berechnet, bemessen, projektiert und entsprechend gebaut (im Fachjargon: "ausgelegt").
Übereinstimmend mit der internationalen Praxis und dem bisherigen Verständnis werden Flugzeugabstürze dem sogenannten Restrisiko zugerechnet. Ein Flugzeugabsturz auf ein Kernkraftwerk (KKW) ist sehr unwahrscheinlich und kam bisher in 40 Jahren Kernkraftwerksbetrieb (entspricht ca. 10'000 Betriebsjahren, weltweit) auch nicht vor. Deshalb galt es lange Zeit als gesellschaftlich und politisch akzeptabel, auf aufwändige Schutzmassnahmen gegen den Flugzeugabsturz zu verzichten. Dennoch hat man in der Schweiz und in Deutschland insbesondere bei den neueren Kernanlagen einen hohen Schutzgrad gegen Flugzeugabstürze projektiert und bei den älteren KKW sicherheitserhöhende Nachrüstungen - soweit vertretbar und machbar - durchgeführt. Wichtigste Merkmale sind dabei zum einen das Reaktorgebäude, welches in Massivbauweise aus Stahlbeton erstellt ist und bei den neuen KKW über einen Meter Wanddicke aufweist. Zum anderen liegt in der räumlichen Trennung redundanter oder diversitärer Sicherheitseinrichtungen ein wirksames Sicherheitsprinzip.

2. Die sicherheitstechnische Auslegung eines Kernkraftwerkes gegen einen Flugzeugabsturz

2.1 Die Entwicklungsschritte beim Schutz der schweizerischen KKW gegen Flugzeugabsturz
Die älteren Kernkraftwerke Mühlberg (KKM) und Beznau (KKB) - Inbetriebsetzungen zwischen 1969 und 1972 - wurden damals entsprechend dem Stand von Wissenschaft und Technik auch gegen äussere Einwirkungen (z.B. Erdbeben und Überflutung) ausgelegt. Es gab zu dieser Zeit noch keine konkreten Anforderungen zum Schutz der KKW gegen die Folgen eines Flugzeugabsturzes. In der Folge der Absturzserie von über 150 Starfighter-Kampfmaschinen in den NATO-Ländern wurde gegen Ende der 70er / Anfang der 80er Jahre von verschiedenen Behörden gefordert, KKW auch gegen Flugzeugabstürze auszulegen. Es wurden dazu erstmals spezifische Absturzbedingungen bezüglich Flugzeugtyp (Gewicht), Geschwindigkeit und Anflugbedingungen festgelegt, um die damit verbundenen Unfallbeanspruchungen in realistischer Weise in die Auslegung der KKW einzubeziehen. Die Reaktorhersteller haben diese neuen Auslegungsbedingungen bei ihren Neuprojekten in der Schweiz und in Deutschland aufgenommen. In der Schweiz hatte die HSK, resp. damals die KSA - bedingt durch die relative Nähe der neuen KKW-Standorte zum Flughafen Zürich-Kloten - gefordert, die neueren Anlagen Gösgen (KKG) und Leibstadt (KKL) gegen einen Absturz einer Passagiermaschine (Boeing 707-320) mit mittlerer Geschwindigkeit (Beginn der Landephase) auszulegen.

2.2 Flugzeugabsturz - Was ist für ein KKW gefährlich?
Bei einem Flugzeugabsturz auf ein KKW handelt es sich im Wesentlichen um den Absturz einer wenig steifen, dünnwandigen und "weichen" Konstruktion aus Leichtmetall auf eine harte, dickwandige und relativ zum Flugzeug unnachgiebige und fest verankerte Struktur des KKW (gedrungener Massivbau aus Stahlbeton). Entscheidend für die Berechnung der Wandstärke des Reaktorgebäudes ist beim Absturz deshalb Ausrichtung, Masse und Geschwindigkeit der Triebwerke mit ihren schweren Triebwerkswellen aus geschmiedetem Stahl. Durch die Auslegung des KKW gilt es also einerseits sicherzustellen, dass die Tragfähigkeit der relevanten, getroffenen Bauteile ausreichend ist, und andererseits muss verhindert werden, dass das Reaktorgebäude durchschlagen wird. Damit wird sichergestellt, dass der Reaktorkern, das Kühlsystem und wichtige Sicherheitssysteme vom Triebwerk oder von herabstürzenden KKW-Baustrukturteilen nicht direkt getroffen werden. Bei der Auslegung eines Gebäudes auf Tragfähigkeit bei Flugzeugabsturz ist das den Absturz charakterisierende Stosslast-Zeitdiagramm massgebend. Es berücksichtigt die Masse und Geschwindigkeit des Flugzeuges sowie seine Konstruktion und die Materialeigenschaften. Hierzu wurden in verschiedenen Ländern aufwändige Versuche durchgeführt und Modellvorstellungen erarbeitet. Die Penetration bzw. das Querkraftverhalten der Baustruktur ist ebenso zu berechnen. Da die Wrackteile eines Flugzeugs beim Absturz weit verstreut werden können, muss bei den Analysen und der Auslegung damit gerechnet werden, dass jeder Punkt der Anlage getroffen werden kann.
Weiterhin ist die potenziell grosse Treibstoffmenge eines Linienflugzeuges eine Gefahr für das KKW, da durch einen grossen Brand im Reaktorgebäude sowohl die Funktion der Kühlkreisläufe als auch die der Sicherheitssysteme betroffen wäre. Aus diesen Gründen wird mit einem wirksamen Penetrationsschutz (= Wandstärke und Armierungsdichte) das Eindringen grosser Mengen von ausgetretenem Kerosin in das Reaktorgebäude verhindert.

2.3 Die HSK-Richtlinie R-101
Die sog. Auslegungskriterien für Sicherheitssysteme von Kernkraftwerken mit Leichtwasserreaktoren sind in der HSK-Richtlinie R-101 festgelegt. Die Einhaltung dieser Kriterien ist der Garant dafür, dass unter den Randbedingungen der Auslegung die Schutzziele "Abschalten des Reaktors", "Kühlung und Nachwärmeabfuhr des Reaktors" auch bei nicht-naturbedingten äusseren Einwirkungen wie z.B. einem Flugzeugabsturz gewährleistet sind.

2.4 Die HSK-Richtlinie R-102
Die HSK gehörte weltweit zu den ersten Behörden, die spezifische Anforderungen bezüglich eines schweren Flugzeugabsturzes für die Auslegung eines künftigen KKW gefordert hatte. Diese sind Inhalt der 1986 veröffentlichten HSK-Richtlinie R-102 "Auslegungskriterien für den Schutz von sicherheitsrelevanten Ausrüstungen in Kernkraftwerken gegen die Folgen von Flugzeugabsturz", die für das damals projektierte Kernkraftwerk Kaiseraugst erstmals verbindlich zur Anwendung gekommen wäre. Allgemeine Analysen zum Komplex Flugzeugabsturz haben gezeigt, dass das Risiko im nicht landeplatzbezogenen Luftverkehr von schnellfliegenden Militärmaschinen bestimmt wird. Demgegenüber sind Risiken, die mit dem Absturz von Grossraumflugzeugen, Sportflugzeugen oder Helikoptern verbunden sind, eher gering. Die Absturzhäufigkeit von Grossflugzeugen im Überflug ist sehr klein. Leichtere Flugzeuge und Helikopter hätten vergleichsweise geringe Auswirkungen. Um ein künftiges KKW gegen die Folgen eines Flugzeugabsturzes wirksam zu schützen, muss für die Bauprojektierung des Reaktorgebäudes der Aufprall eines Militärflugzeuges (damals: Starfighter F 104 G der NATO, später Phantom II) von 20 Tonnen Masse und 774 km/h Geschwindigkeit mit einer kreisförmigen Aufprallfläche von 7m2 unterstellt werden. Es wird dabei der aus baustatischer Sicht ungünstigste Aufprallwinkel angenommen. Weiterhin wird ein nachfolgender Treibstoffbrand unterstellt, dessen Auswirkungen durch die Auslegung beherrscht werden müssen. Andere Gebäude, die redundante Sicherheitseinrichtungen und/oder potenziell hohe Gehalte an radioaktiven Stoffen enthalten, sollen zumindest auf einen in R-102 definierten Schutz gegen Trümmer ausgelegt werden.
Allerdings müsste für die künftige Projektierung eines neuen KKW überlegt werden, ob die damals angenommenen Belastungen bei einem Flugzeugabsturz noch repräsentativ für heutige Passagier- oder Kampfmaschinen sind.

2.5 Die sinngemässe Umsetzung der Richtlinie HSK-R-102 bei den schweizerischen Kernkraftwerken

2.5.1 Die älteren Anlagen Beznau und Mühleberg
Die Reaktorgebäude der Ende der 60er Jahre gebauten Kernkraftwerke Beznau (KKB) und Mühleberg (KKM) wurden gemäss dem damaligen Stand der Technik nicht speziell gegen Flugzeugabstürze ausgelegt. Da sich der Reaktordruckbehälter allerdings hinter verschiedenen Barrieren von Beton und Stahlhüllen befindet, die zuerst durchschlagen werden müssten, besteht dennoch ein guter - allerdings nicht quantifizierter - Schutzgrad.
Um bei diesen älteren Anlagen den Schutz gegen die Folgen eines Flugzeugabsturzes zu erhöhen, forderte die HSK die Nachrüstung eines redundanten, autarken, baulich vom Reaktorgebäude separierten und flugzeugabsturzgesicherten Notstandsystems. Mit diesen Zusatzsystemen (KKB: System Nano; KKM: System Susan) wird die Anlage bei einer schweren Störung automatisch abgeschaltet und die Nachwärmeabfuhr während 10 Stunden sichergestellt. Manuelle Eingriffe sind somit in den ersten 10 Stunden nach einem solchen Störfall nicht notwendig. Die umschliessenden Gebäude der Notstandsysteme wurden mit über 1m Wandstärke in angemessener Weise gegen einen Flugzeugabsturz ausgelegt und entsprechen sinngemäss den Vorgaben der HSK-R-102. Die Notstandsysteme sind durch ihre baulichen und lüftungstechnischen Massnahmen auch gegen die schädlichen Auswirkungen eines Treibstoffbrandes geschützt.

2.5.2 Die neueren Anlagen Gösgen und Leibstadt
Bei der bautechnischen Auslegung der neueren Anlagen Gösgen (KKG) und Leibstadt (KKL) auf den Flugzeugabsturz nahm man als Last ein Zivilflugzeug des Typs Boeing 707-320 (Masse ca. 90t) an, das mit einer Geschwindigkeit von 370 km/h auf das Reaktorgebäude aufprallt. Dabei entsteht eine Aufprallkraft von 90 MN (~9?000 Tonnen), die auf einer Aufprallfläche von 37.2m2 wirkt. Als bestimmender Faktor für das Belastungsszenario bei diesem Flugzeugtyp wirken die 4 Triebwerke mit je 1,35m Durchmesser und einem Einzelgewicht von ca.1,8 Tonnen. Mit der Wanddicke von minimal 1,2m (äussere Barriere) wird ein hoher Schutzgrad für dieses Szenario erreicht. Die dickwandigen internen Gebäudestrukturen und Betonabschirmungen sowie die massiv ausgeführten Wandstärken beim Brennelementbecken stellen eine wirksame zusätzliche innere Barrierenwirkung gegen einen Flugzeugabsturz dar.
Obwohl das in den 70er Jahren gewählte Absturzszenario (Boeing 707-320) für die Auslegung dieser Anlagen nicht vollständig dem Anforderungsszenario (Starfighter F104 G) der im Jahre 1986 in Kraft gesetzten HSK-Richtlinie R-102 entspricht, wurde festgestellt, dass die systemtechnischen Anforderungen und die Penetrations-Mindestbetonwandstärke gemäss HSK-R-102 dennoch erfüllt werden. Der vorhandene Schutzgrad gegen Flugzeugabsturz wird von der HSK deshalb für beide Anlagen als ausreichend eingestuft.
Die neueren Anlagen Gösgen und Leibstadt verfügen ebenfalls über Notstandsysteme, welche speziell gegen äussere Einwirkungen ausgelegt sind. Wie die Systeme Susan und Nano gewährleisten auch diese Systeme eine automatische Reaktorabschaltung und eine mindestens 10-stündige autarke Nachwärmeabfuhr. Diese Systeme wurden bereits beim Bau der Anlagen erstellt.

2.6 Barrierenkonzept und räumliche Trennung
Die Sicherheit von Kernkraftwerken gegenüber einem Flugzeugabsturz wird vor allem durch das sog. Barrierenprinzip und die räumliche Trennung redundanter Sicherheitssysteme gewährleistet.

2.6.1 Barrierenkonzept
Das Barrierenkonzept (defense in depth) verhindert bei einem KKW-internen Störfall die Freisetzung von radioaktiven Stoffen in die Umwelt. Umgekehrt wird das Barrierenkonzept aber auch wirksam gegen die Folgen eines externen Ereignisses, wie z.B. bei einem Flugzeugabsturz. Beim Flugzeugabsturz spielt das Reaktorgebäude als äussere Barriere die zentrale Rolle als Widerstand gegen das Eindringen von Flugzeugteilen. Als zweite wichtige innere Barriere wirken aber auch die zahlreichen massiven Betonwände, die zwecks Raumaufteilung und Strahlenabschirmung im Inneren des Reaktorgebäudes vorhanden sind. Diese massiven internen Gebäudestrukturen weisen typische Wandstärken zwischen 1 bis 2m auf. Beide Barrieren schützen somit mit insgesamt mehreren Metern Beton den Reaktorkern, d.h. den Reaktordruckbehälter, das Reaktorkühlsystem und die Sicherheitssysteme.

2.6.2 Räumliche Trennung
Bei der räumlichen Trennung werden redundante Sicherheitssysteme in verschiedenen Gebäuden oder Räumen untergebracht, um die Anlage gegen die (gemeinsamen) Folgen eines postulierten externen Ereignisses (z.B. Flugzeugabsturz) zu schützen. Beispiel hierfür sind die bautechnisch (vom Reaktorgebäude) separierten Notstandsysteme mit ihren Kommandoleitständen. Hier ist also eine örtlich getrennte, flugzeugabsturzgesicherte Redundanz zu den Abschalt- und Nachkühlsystemen im Reaktorgebäude und zum Hauptkommandoraum des KKW gegeben. Die räumliche Trennung spielt einerseits wegen der weiträumigen Trümmerverteilung und andererseits wegen der Verteilung grosser Treibstoffmengen nach einem Absturz eine wichtige Rolle für die Sicherheit.

2.7 Grenzen der Auslegung
Die Auslegung der Kernkraftwerke gegen externe Einwirkungen berücksichtigt weder in der Schweiz noch weltweit kriegerische Einwirkungen und terroristische Angriffe aus dem Luftraum. Der terroristische Missbrauch eines vollbetankten schweren Verkehrsflugzeuges als Bombe ist weltweit in der Vergangenheit bei keiner technischen oder zivilisatorischen Einrichtung als Bedrohungsszenario einbezogen worden. Die heutigen KKW bieten in diesem Fall keinen vollen Schutz.
Im Falle eines schweren, die heutige Auslegung der KKW gegen Flugzeugabsturz massiv überschreitenden Flugzeugabsturzes kann nicht ausgeschlossen werden, dass es zum Versagen der Sicherheitshülle und auch zur Beschädigung der darunter liegenden inneren Gebäudestrukturen kommt. Dabei können auch Beschädigungen des Reaktorkühlsystems oder der Brennelementbecken nicht ausgeschlossen werden. Dies könnte im schlimmsten Fall zu einem grossen Kühlmittelverluststörfall mit Freisetzung von radioaktiven Stoffen in die Umgebung führen. Die Anlagen sind jedoch so ausgelegt, dass selbst dieser extreme Störfall durch das korrekte Funktionieren der Notkühlsysteme beherrscht werden kann. Bei einer Beschädigung oder dem Versagen der verschiedenen redundanten Notkühlsysteme kann ein Kernschmelzunfall jedoch nicht mehr ausgeschlossen werden.

3. Schutz bei schweizerischen Kernkraftwerken

3.1 Situation beim Kernkraftwerk Beznau
Beim Reaktorgebäude (äussere Barriere) beträgt die effektive Gesamtwandstärke bis zu einer Höhe von ca. 25m etwa 1,5m (Trümmerschutzwand 0,6m + Reaktorgebäudewand 0,9m). Bei den KKB-Reaktoren liegen die Reaktordruckbehälter (RDB) sehr tief im Reaktorgebäude eingebettet und werden dabei von massiven internen Gebäudestrukturen aus armiertem Beton umgeben (innere Barriere). Beide Reaktoren sind zudem von Hilfs- und Nebengebäuden umgeben, die bis zu einer bestimmten Höhe einen zusätzlichen Aufprallschutz gegen das Eindringen eines Triebwerkes in den Bereich des RDB und des Reaktorkühlsystems darstellen. Das Brennelementlagerbecken ist ausserhalb des Reaktorgebäudes angeordnet. Obwohl es vom Deckenbereich aus nicht wesentlich gegen FLA geschützt ist, weist es massive Seiten- und Bodenwandstärken (1,8m) auf, die einen ausreichenden Trümmerschutz bieten und einen grösseren Kühlwasserverlust verhindern. Da die Brennelemente in diesem Becken aus Strahlenschutzgründen tief gelagert sind und eine ca. 5m starke Wasserüberdeckung haben, ist zu erwarten, dass die Kühlung auch unter Störfallbedingungen gewährleistet bleibt. Solange die Kühlung der Brennelemente sichergestellt ist, kann eine massive Freisetzung radioaktiver Stoffe nach aussen - selbst wenn Brennelemente durch mechanische Einwirkungen herabfallender Flugzeug- und Gebäudeteile beschädigt würden - ausgeschlossen werden. Aufgrund seiner kleinen Abmessungen ist die Trefferwahrscheinlichkeit für das Brennelementbecken gering.
Wie bereits in Abschnitt 2.5.1 erwähnt, stellt das Notstandsystem Nano einen zusätzlichen Schutz gegen die Folgen eines Flugzeugabsturzes dar.

3.2 Situation beim Kernkraftwerk Mühlberg
Die Wandstärke des Reaktorgebäudes (äussere Barriere) beträgt im zylindrischen Teil etwa 0,6m. Die Wandstärke des Deckenbereichs beim Reaktorgebäude bewegt sich zwischen 0,15m und 0,3m. Zusätzlich zur Schutzfunktion des Reaktorgebäudes werden der zentralliegende RDB und andere sicherheitsrelevante Systeme aber vor allem durch die ausserordentlich massiven internen Betonstrukturen (innere Barriere, z.B. Drywellwand mit 1,8m Wandstärke) gegen eindringende Teile geschützt. Die unterhalb der Bodenkote liegenden Sicherheitssysteme sind somit durch mehrere Meter internen Stahlbeton gut geschützt. Das Reaktorgebäude wird zudem von Hilfs- und Nebengebäuden umgeben, die bis zu einer gewissen Höhe einen zusätzlichen Aufprallschutz gegen das Eindringen eines Triebwerkes in den Bereich des RDB und des Reaktorkühlsystems darstellen. Das Brennelementlagerbecken (BEB) befindet sich im oberen Teil des Reaktorgebäudes. Obwohl es
vom Deckenbereich nicht wesentlich gegen FLA
geschützt ist, weist es massive Seiten- und Bodenwändstärken (1,8m) auf, die einen ausreichenden
Trümmerschutz bieten und grössere Kühlwasserverluste verhindern. Da die Brennelemente in diesem Becken aus Strahlenschutzgründen tief gelagert sind und eine ca. 5 m starke Wasserüberdeckung haben, ist zu erwarten, dass die Kühlung auch unter Störfallbedingungen gewährleistet ist und damit eine grössere Freisetzung radioaktiver Stoffe nach aussen verhindert wird.
Wie bereits in Abschnitt 2.5.1 erwähnt, stellt das Notstandsystem Susan einen zusätzlichen Schutz gegen die Folgen eines Flugzeugabsturzes dar.

3.3 Situation bei den Anlagen Gösgen und Leibstadt
Das Kernkraftwerk Gösgen wurde im Jahre 1979 in Betrieb gesetzt und verfügt über ein hohes Mass an Sicherheit gegenüber den Auswirkungen eines Flugzeugabsturzes. Im KKG besteht der Schutz aus dem geschützten Reaktorgebäude und dem geschützten Notstandsystem. Das Reaktorgebäude und das Notstandsgebäude sowie der zugehörige Verbindungskanal wurden auf einen Flugzeugabsturz entsprechend den damaligen Auslegungsgrundlagen bautechnisch dimensioniert.
Das Kernkraftwerk Leibstadt wurde im Jahre 1984 in Betrieb gesetzt und verfügt mit seinem gegen Flugzeugabsturz ausgelegten Reaktorgebäude über ein sehr hohes Mass an Sicherheit gegenüber den Auswirkungen eines Flugzeugabsturzes. Im KKL besteht der Schutz aus zwei diversitären Systemen:

  • geschütztes Reaktorgebäude und geschütztes Notstandsystem,
  • geschütztes Reaktorgebäude und Reaktorhilfsanlagen-Gebäude und drei durch Distanz getrennte Notkühltürme zur Wärmeabfuhr. Von drei geschützten Notsteuerstellen aus kann die Anlage notfalls manuell in einen sicheren Zustand überführt werden.

Das Reaktorgebäude und das Notstandsgebäude wurden auf einen Flugzeugabsturz entsprechend der damaligen Auslegungsgrundlagen bautechnisch dimensioniert.
Die BEB beider Kernkraftwerke sind gegen FLA im gleichen Mass wie das Reaktorgebäude geschützt: Bei KKG befindet sich das BEB innerhalb des Reaktorgebäudes. Bei KKL ist das BEB in einem bautechnisch separierten, flugzeugabsturzgeschützten Gebäude neben dem Reaktorgebäude untergebracht.

3.4 Zusammenfassung
Alle schweizerischen Kernkraftwerke sind so ausgelegt, dass Abstürze von grossen Passagierflugzeugen oder Militärflugzeugen auf Nebengebäude (inklusive Kommandoraum, Schaltanlagengebäude etc.) zu keinem Kernschaden führen. Darüber hinaus weisen die neuen Anlagen Gösgen und Leibstadt einen hohen Grad an Schutz gegen Abstürze von Militär- und grossen Passagierflugzeugen auf das Reaktorgebäude auf. Damit ist das Sicherheitsniveau der schweizerischen Kernkraftwerke im internationalen Vergleich auf einem hohen Stand.
Kernkraftwerke (weltweit) sind aus bautechnischer Sicht nicht gegen die Auswirkungen kriegerischer Einwirkungen und terroristischer Angriffe aus der Luft geschützt. Bei den heute in Betrieb stehenden KKW sind keine technischen Nachrüstungen realisierbar, die einen 100%igen Schutz gegen die Folgen eines Terroranschlages - in der Art wie er beim WTC durchgeführt wurde - garantieren würden. Bei einem derartigen Anschlag auf eines der schweizerische Kernkraftwerke kann im Falle eines direkten Auftreffens eines Triebwerkes auf das Reaktorgebäude - abhängig von der jeweiligen Auslegung - nicht ausgeschlossen werden, dass Brennelemente im Brennelementlager oder das Primärkühlsystem beschädigt werden und eine Freisetzung von radioaktiven Stoffen resultiert.
Die Auslegung der KKW gegen externe Beanspruchungen wurde entsprechend dem jeweiligen zur Anwendung gekommenen Stand von Wissenschaft und Technik konservativ vorgenommen. Dies bedeutete, dass Verformungen und Verschiebungen (plastische Anteile) bei den damaligen Anforderungen nicht zugelassen wurden. Die Auslegung beschränkte sich somit auf den elastischen Bereich. Dies kann bedeuten, dass alle Anlagen über gewisse Reserven verfügen. Nach der Einschätzung von Zivilpiloten

  • sollen die vergleichsweise niedrigen und kleinen Reaktorgebäude mit einer schweren, vollbetankten Passagiermaschine bei hoher Geschwindigkeit schwierig anzusteuern und zu treffen sein
  • ist wegen der Lage der älteren KKW in den Flusstälern der Aare, welche zum Teil von Hügeln umgeben sind (insbesondere bei KKM) ein vorsätzlicher Angriffsabsturz mit einer schweren, vollbetankten Passagiermaschine bei hoher Geschwindigkeit kaum machbar.


4. Weiteres Vorgehen

Die HSK hat bereits alle Kraftwerksbetreiber aufgefordert, das Schutzkonzept ihrer Anlagen gegen Flugzeugabstürze und Sabotage zu überprüfen. Die Betreiber werden die HSK in den nächsten Tage über ihr Vorgehen orientieren.
Die HSK wird ihrerseits unabhängig von den Betreibern eigene Überlegungen anstellen, ob zusätzliche Massnahmen zum bereits hohen Schutz der Anlagen notwendig und angemessen sind. Die HSK wird zudem die weltweiten Abklärungen und Massnahmen eng verfolgen und hat bereits mit Behörden in verschiedenen Ländern und internationalen Organisationen (IAEA, OECD) Kontakt aufgenommen.

Quelle

Technischer Bericht der Hauptabteilung für die Sicherheit der Kernanlagen [HSK], Bern/Würenlingen, 21. September 2001

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