Roussely: EDF 2002 weder mit Verlust noch Gewinn
Bei einer Befragung durch die Finanz-, Wirtschafts- und Planungskommission der französischen Nationalversammlung hat François Roussely, Direktionspräsident der Electricité de France (EDF), bestätigt, dass der im Juli befürchtete Reinverlust auf dem Jahresabschluss 2002 des staatlichen Elektrizitätsunternehmens auf einer "pessimistischen Abschätzung" beruhte.
Seither führe die Entwicklung aus dem kritischen Bereich hinaus in die günstige Richtung. Den von den Schwierigkeiten der British Energy und dem Bankrott der Enron noch genährten Spekulationen, die finanzielle Situation der EDF sei kritisch, trat Roussely energisch entgegen. Die EDF lasse sich nicht mit diesen Unternehmen vergleichen. Die British Energy sei einseitig an die Stromerzeugung gebunden, so dass sie der Zerfall der Grosshandelspreise nach der Marktöffnung in Grossbritannien voll getroffen habe. Und die Enron sei ein Beispiel für die Folgen einer überrissenen Liberalisierung in den USA. Der mögliche Verkauf einiger Beteiligungen, einkaufseitige Einsparungen und die Rückstellung verschiebbarer Investitionen auf das nächste Jahr erlaubten es der EDF, das finanzielle Gleichgewicht zu halten. An der Unternehmensstrategie sei nichts zu ändern.
Roussely verteidigte die Investitionen der EDF im Ausland: Als öffentliches Unternehmen sei ihre Tätigkeit in Frankreich auf Erzeugung, Transport und Verteilung elektrischer Energie begrenzt. Auf dem Heimmarkt seien ihr bis im August 2002 17- 18% der 30% Kunden verloren gegangen, für die der Strommarkt offen sei. Neue Märkte und Tätigkeiten könne die EDF nur im Ausland finden. Ein Verzicht liefe auf den Verlust möglicher Märkte, Stagnation und eingeschränkte Unabhängigkeit hinaus. Von den im Plan für 2001-2003 vorgesehenen Auslandinvestitionen von EUR 19 Mrd. habe die EDF bis jetzt erst EUR 10 Mrd. getätigt. In der gleichen Zeit habe sie in Frankreich EUR 9 Mrd. investiert.
Als öffentliches Unternehmen lasse die EDF ihre Produktivitätsgewinne fortlaufend den Kunden zugute kommen und liefere die Gewinne dem Staat ab. In den letzten zehn Jahren seien für die Kunden die realen Energiepreise der EDF um 25% gefallen. Das Unternehmen habe also keine "Kriegskasse" äufnen können. Wie schon früher finanziere die EDF grössere Investitionen mit Anleihen. Die Verschuldung habe während des Baus des heutigen Kernkraftwerkparks mit EUR 30,5 Mrd. einen Spitzenwert erreicht, sei dann in zehn Jahren auf EUR 15 Mrd. abgetragen worden und steige seit 1997 wieder an. Ende 2001 habe sie EUR 22,2 Mrd. erreicht. Dies sei im Vergleich zum Jahresumsatz von EUR 40,7 Mrd. tragbar. Der Bruttoeinnahmenüberschuss liege mehr als sieben Mal höher als die Finanzierungskosten.
Befragt nach den Rückstellungen für den Nuklearpark bestätige Roussely die Politik der EDF: Die Kosten für die Stilllegung der bestehenden Kernkraftwerke würden auf 15% der Bauinvestitionen geschätzt. Auf jeder nuklear erzeugten Kilowattstunde würden Eurocent 0,14 für Rückstellungen zurückbehalten. Sie erreichten heute EUR 10 Mrd., davon EUR 3 Mrd. für den Superphénix. Angesteuert seien EUR 15 Mrd. Das mittlere Alter des Nuklearparks betrage erst 17 Jahre, die Auslegungslebensdauer 30 Jahre, doch könnten die Einheiten möglicherweise 40 oder mehr Jahre am Netz bleiben. Daneben tätige die EDF umfangreiche Rückstellungen für den Brennstoffkreislauf. Sie lägen heute bereits bei EUR 17 Mrd.
Ob die Kernkraftwerke ersetzt würden, sei nicht zuletzt ein politischer Entscheid. Die technischen Voraussetzungen wären gegeben. Wichtigstes Element sei der Erhalt der fachlichen Kompetenz. Dazu diene die Entwicklung des European Pressurized Water Reactor (EPR) zusammen mit Deutschland. Auf die Frage, wie viel der Bau eines ersten EPR kosten dürfte, wollte Roussely freilich keine verbindliche Antwort geben. Das hänge von zu vielen Parametern ab. Grössenordnungsmässig dürften es EUR 3 Mrd. sein, meinte er.
Die EDF habe eine Tariferhöhung in Frankreich beantragt, nicht um ihre Auslandinvestitionen zu refinanzieren, sondern um ihre gemeinwirtschaftlichen Leistungen tragen zu können, erklärte Roussely auf weitere Fragen. Namentlich die Rückübernahmeverpflichtung für elektrische Energie aus Wärmekraftkopplungsanlagen falle ins Gewicht. Sie habe der EDF letztes Jahr EUR 900 Mio. gekostet. Im Ausland habe die EDF schon vor der europäischen Marktöffnung Einnahmen erzielt, indem sie 15% ihrer Produktion exportierte. Rentabel seien die Investitionen in die London Electricity und bald auch die Beteiligungen in Italien. Andere Auslandinvestitionen sollten die Rentabilitätsschwelle 2004-2005 erreichen. Auf die Beteiligung am tschechischen Elektrizitätsunternehmen CEZ habe die EDF verzichtet, weil ihr der Preis von EUR 6 Mrd. zu hoch erschien. Einen besonderen Fall bildeten die Investitionen in Argentinien und Brasilien. Sie gingen auf 1992 zurück und waren eine Investition in einen Wachstumsmarkt, der ins Stocken geraten sei und jetzt aus Paritätsgründen zu Verlusten führe. Diese Verpflichtungen seien jedoch limitiert. Für Brasilien werde eine Abschreibung von EUR 100 Mio. ausreichen.
Auf die zahlreichen Fragen zur Vorbereitung der EDF auf die von der Regierung angekündigte Kapitalöffnung und Teilprivatisierung erinnerte Roussely an drei Bedingungen: Finanzierung der Altersvorsorge der Mitarbeiter, Lösung rechtlicher Fragen und Umstellung des Rechungswesens auf internationale Normen. Die Finanzierung des grosszügigen Rentensystems besorge die EDF heute in eigener Regie im Umlageverfahren und wende dafür über die Hälfte der Bruttopersonalkosten auf. Die Schaffung einer unabhängigen Vorsorge sei ein zentrales Anliegen. Mehrere Varianten stünden zur Diskussion, wobei die Dotation einer unabhängigen Kasse bis zu EUR 41,6 Mrd. kosten würde. Es sei an der Regierung, sich dazu zu äussern. Die beiden anderen Bedingungen seien leichter zu erfüllen und würden etwa ein Jahr Vorbereitungszeit erfordern.
Quelle
P.B. nach NucNet, 25. September, und Compte rendu no 13 de la Commission des finances, de l’économie générale et du plan de l’Assemblée nationale, 18. September 2002