Meine Damen und Herren

In den letzten Monaten hat das Interesse an der Kernenergie als notwendiger Pfeiler der heutigen und der künftigen Stromversorgung erheblich zugenommen, dies nicht zuletzt als Folge der steigenden Öl- und Gaspreise. Die Frage der zuverlässigen, ausreichenden und wirtschaftlichen Versorgung mit Elektrizität ist also das Eine. Noch wichtiger scheint mir aber die wachsende Bedeutung der Kernenergie für den Umwelt- und Klimaschutz. Weite Kreise, mitunter auch die Umweltschutz- und Ökobewegungen, beginnen wahrzunehmen, dass die Kernkraftwerke weitgehend CO2-freien Strom erzeugen. Ich hoffe, dass Sie den Gastbeitrag von Patrick Moore im vorliegenden Jahresbericht 2005 gelesen haben. Unter dem Titel «Kernenergie: die bewährte Alternative» erläutert der Mitgründer von Greenpeace und frühere Direktor von Greenpeace International, dass er sich zu jenen Umweltschützern zählt, für die - Zitat -«die Kernenergie heute nicht ein Problem darstellt, sondern im Gegenteil eine unentbehrliche Hilfe, um die wichtigsten Herausforderungen der Menschheit zu meistern. In Kombination mit anderen alternativen Energiequellen wie Sonnenenergie, Erdwärme oder Wind- und Wasserkraft zeigt uns die Kernenergie den einzig gangbaren, sicheren und umweltfreundlichen Weg zur Lösung der drohenden globalen Energiekrise». Ende Zitat.

Auch der Direktor des World Wildlife Fund in Australien, Greg Bourne, schliesst sich dieser Sicht zumindest teilweise an, wenn er in einem Interview vom 4. Mai dieses Jahres sagte: «Wir glauben zwar nicht, dass die Kernenergie die Lösung des Klimaproblems ist. Und dennoch: Heute stehen weltweit über 440 Kernkraftwerke in Betrieb und weitere sind geplant oder befinden sich im Bau. Andere mögen sich wünschen, wir hätten diese Büchse der Pandora nie geöffnet. Wir aber sind ehrlich genug, das Ausmass der heutigen Herausforderungen zu anerkennen. Die Welt muss die katastrophale globale Erwärmung stoppen, und dafür müssen wir alle Möglichkeiten offen halten.»

Im Umweltlager ist die Wende teilweise im Gang

Ich hoffe, wir können bald eine einflussreiche Persönlichkeit der Umweltschutzbewegung einladen, anlässlich einer kommenden Generalversammlung das Gastreferat zu halten! Eine solche Öffnung hat in der Gegenrichtung bereits stattgefunden. Unser Vorstandsmitglied Manfred Thumann, Mitglied der Geschäftsleitung der Axpo, hat vor wenigen Wochen an einer Tagung der antinuklearen Schweizerischen Energiestiftung die Vorteile der Kernenergie präsentiert. Auf Einladung habe ich Ähnliches in einer Versammlung der Grünen Partei des Kantons Wallis gemacht ... und ich habe ebenfalls überlebt. In Zürich und in Sitten waren die Diskussionen hartnäckig, aber fair.

In der Schweiz waren es die Gründer der Umweltbewegung, welche die Kernenergie von Anfang an befürworteten. Trotz der damals grossen Vorbehalte der Stromproduzenten verlangten 1965 ein sozialdemokratisches Mitglied der Regierung und der damalige Schweizerische Bund für Naturschutz, die heutige Pro Natura, den Bau von Kernkraftwerken. Ihre Argumente sind heute wieder aktuell: Die Stromproduktion aus Wasserkraft (das weisse Öl) näherte sich bereits ihrem Limit. Und gegen Gaskraftwerke gab es in der Schweiz eine starke Opposition.

In seinem Geschäftsbericht erklärte der Bundesrat 1964, dass die Schweizerische Elektrizitätswirtschaft sich rasch entschliessen sollte, ihre Produktion auf Wasserkraft und Kernkraft abzustützen um daraus einen rationellen Produktionsmix zu erstellen. Im selben Jahr ermahnte der sozialdemokratische Bundesrat Willy Spühler vor dem Verband Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen in Sitten die Elektrizitätswirtschaft, ohne Verzögerung den Bau von Kernkraftwerken an die Hand zu nehmen.

Die Naturschützer, insbesondere ihre grösste Organisation, der Schweizerische Naturschutzbund, blieben ebenfalls nicht tatenlos. Wie ihrem Organ «Naturschutz» vom Februar 1966 zu entnehmen ist, redete das Protokoll der Vorstandssitzung vom 11. Dezember 1965 Klartext:

  • Der Bau neuer Stauwerke ist nicht mehr gerechtfertigt. Deren Vorteile stehen in keinem Verhältnis mehr zu den Nachteilen beim Landschafts- und Gewässerschutz.
  • Die Luftverschmutzung durch fossile Brennstoffe stellt ein grosses Risiko dar.
  • Der Naturschutzbund unterstützt die mehrfach geäusserte Haltung des Bundesrats, unverzüglich mit dem Bau von Kernkraftwerken zu beginnen.
  • Die Erhaltung der Luft- und Wasserqualität und der Landschaftsschutz sind Aufgabe und Verantwortung der öffentlichen Hand.

Komplementarität der Energiequellen

Es bleibt zu hoffen, dass auch in der Schweiz Umweltorganisationen wie Greenpeace, WWF und Pro Natura den ideologischen Minenkrieg beenden und die Energiefrage vermehrt sachlich und nüchtern ansprechen, und wie Patrick Moore die Komplementarität der verschiedenen Energiequellen in die politische Diskussion einbringen.

Auch der Verband Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen VSE hebt diese Komplementarität hervor. In Fortführung einer langen Reihe früherer Arbeiten präsentierte er am 12. Mai 2006 die «Vorschau 2006 auf die Elektrizitätsversorgung der Schweiz im Zeitraum bis 2035/ 2050». Aus den Folgerungen dieser umfassenden Vorschau möchte ich zwei Sätze zitieren:

  • «[Die Elektrizitätswirtschaft] muss Kraftwerksplanung und -bau aktiv vorantreiben, damit sie den Erwartungen ihrer Kunden nach einer sicheren Versorgung gerecht wird: Dabei haben Rahmengesuche für den Bau im Kernenergiebereich ebenso Priorität wie die Planung und Umsetzung erster Gaskraftwerks-Neubauten und Leistungssteigerungen von Wasserkraftwerken.»
  • «Nicht-Entscheidungen sind auch Entscheidungen! Wer sich heute nicht entscheidet, entscheidet sich faktisch für gasgefeuerte Anlagen und Stromimporte und damit für CO2-Emissionen und eine möglicherweise niedrigere Versorgungssicherheit.»


1965 wie 2006 trägt die Elektrizitätswirtschaft eine grosse Verantwortung für die Versorgungssicherheit und den Wohlstand der Schweiz. Sie braucht dazu auch heute die klare Unterstützung der politischen Entscheidungsträger. Unterstützung, die sich zum Beispiel dadurch auszeichnet, dass unsere Politikerinnen und Politiker ihre Verantwortung wahrnehmen und ohne Verzögerung klare Entscheide zur langfristigen und nachhaltigen Sicherung unserer Stromversorgung treffen.

Politische Geschäfte

Ein politisches Geschäft von ganz besonderer Aktualität ist der Entsorgungsnachweis, den der Bundesrat möglicherweise in diesen Stunden genehmigen wird. Dies wird ein bedeutender Schritt auf dem Weg zu einem geologischen Tiefenlager sein. Er wird den Abschluss der geologisch-technischen Arbeiten markieren, die in hervorragender Weise durch die Nagra durchgeführt worden sind, und die Übergabe dieses Geschäfts an den politischen Prozess.

Ein weiteres Geschäft von hoher politischer Tragweite ist das Sachplanverfahren für die geologische Tiefenlagerung radioaktiver Abfälle. Hier gilt es wachsam zu bleiben, damit die politischen Entscheide im Verlauf des Verfahrens zügig von unseren Politikerinnen und Politikern und allenfalls den Stimmberechtigten gefällt werden können und die heissen Kartoffeln nicht einfach der Branche überlassen werden. Wir müssen auch immer wieder dafür werben, dass die Sache - ein sicheres geologisches Tiefenlager-im Zentrum der Debatte steht, und rein ideologisch motivierten Verzögerungs- und Verhinderungsversuchen eine klare Absage erteilen. Die Entsorgungsfrage kann heute zum Nutzen der künftigen Generationen gelöst werden. Es braucht nur noch den politischen Willen zur Umsetzung. Wir erwarten vom Bundesrat, dass er die politische Führung übernimmt.

Ein drittes aktuelles Geschäft ist die Revision des Kernenergiehaftpflichtgesetzes. Wir begrüssen die Ratifizierung der internationalen Atomhaftungsabkommen durch die Schweiz. Sie bewirken, dass die Deckungsvorsorge der Kernkraftwerkbetreiber in allen Vertragsstaaten etwa auf das Niveau der heutigen schweizerischen Regelung angehoben wird. Damit würde der bisherige Wettbewerbsnachteil der schweizerischen Atomstromproduktion beseitigt. Ich sage «würde» - denn laut Vernehmlassungsentwurf will der Bundesrat die endlich gleich langen Spiesse mit dem Ausland gleich wieder beschneiden und mit einer Schweizer Sonderlösung den Schweizer Atomstromproduktion in wettbewerbsverzerrender Art verteuern. Und das, ohne dass damit ein Mehrnutzen für die Bevölkerung oder zusätzliche Sicherheit entsteht. Damit wir der Gesetzesrevision zustimmen können, muss der Entwurf noch in diesem Punkt überarbeitet werden.

Bei allen diesen anstehenden Entscheiden fordern wir die Politik auf, den Geist Willy Spühlers aus den 1960er-Jahren aufzunehmen und Entscheidungsfreude an den Tag zu legen. Wir als Nuklearforum Schweiz leisten gerne unseren Teil an eine sachliche Debatte. In Zeiten von Informationshäppchen à la «20 Minuten» ist es zwar schwierig, sich in der Öffentlichkeit Gehör zu verschaffen. Doch wir sind hartnäckig und werden Wege finden, unsere Botschaft zu verbreiten. Denn wir sind überzeugt, dass sich schliesslich die Vernunft durchsetzt.

Dazu nochmals Willy Spühler, in einer Rede an der Generalversammlung der SVA am 9. Juni 1964 in Bern (ich zitiere): «(...) In jedem Zeitabschnitt wird abgeklärt werden müssen, wie sich ein energiewirtschaftlicher Entschluss im Augenblick und in Zukunft zu den Hauptzielen der Energiepolitik verhält. Damit kann vermieden werden, dass Entscheidungen getroffen werden, die eindeutigen Augenblicksmotiven entspringen (...).»

Wir fordern von der Politik nicht nur Entscheidungsfreude, sondern auch Weitblick. Und das sind im Fall unserer Energieversorgung nicht 4 Jahre, sondern 40, 50, 60 Jahre. Uns ist klar, dass dies in Zeiten, in denen 2 mal 45 Minuten das Alpha und das Omega der Zeitmessung zu sein scheinen, eine grosse Herausforderung darstellt.

Quelle

Nuklearforum Schweiz

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