Planung der Zukunft der weltweiten nuklearmedizinischen Versorgung
Steven Van Dyck, stellvertretender Geschäftsführer des Forschungsreaktors BR2 im belgischen nationalen Forschungszentrum SCK-CEN (Centre d’Etude de l’Energie Nucléaire), im Gespräch mit der internationalen Kernenergie-Nachrichtenagentur NucNet über die weltweite Krise bei der medizinischen Versorgung mit Radioisotopen sowie die Probleme, denen man sich bei der Produktion von Molybdän-99* gegenüber sieht.
Inwieweit haben die weltweiten Probleme mit der Produktion von Molybdän-99 den Betrieb des BR2 beeinflusst? Hat der Reaktor zusätzliche Arbeitslast übernommen?
Bislang läuft alles wie gehabt, im kommenden Jahr jedoch wird es erhebliche Auswirkungen geben. 2010 werden wir mit dem BR2 einen zusätzlichen Reaktorzyklus fahren, der allein auf die Produktion von Molybdän-99 zielen wird. Darüber hinaus werden wir die Produktionskapazität im Rahmen des zweiten Reaktorzyklus’ im April 2010 um 50% steigern. Unsere Verarbeitungskapazität wird ab diesem Zeitpunkt der der beiden bisherigen europäischen Produzenten von Molybdän-99 – des National Institute for Radioelements (IRE) in Belgien und der Covidien in den Niederlanden – entsprechen.
Kann man sagen, dass der Engpass bei der Versorgung mit Molybdän-99 durch eine Optimierung der Ablaufprogramme innerhalb der europäischen Forschungsreaktoren nicht beseitigt, sondern lediglich entschärft werden wird?
Dem ist in der Tat so. Auf einem Treffen der AIPES-Gruppe im September** wurde rasch klar, dass in Europa auch weiterhin mit kurzzeitigen Versorgungsunterbrüchen zu rechnen sein wird. Bis dahin also sollte entweder der NRU-Reaktor in Kanada wieder in Betrieb sein, oder der Safari-Reaktor im südafrikanischen Pelindaba könnte einen Teil der Produktion übernehmen. Freilich sind angesichts der Halbwertszeit des Isotops von 66 Stunden diese beiden Reaktoren wenig attraktiv, wenn man die langen Transportwege nach Europa bedenkt.
Was liesse sich zur Entschärfung der Mangelsituation sonst noch unternehmen?
Im kommenden Jahr sehen wir uns einer recht ungewöhnlichen Situation gegenüber, da eine Abschaltung mehrerer grösserer Reaktoren zu sowohl planmässigen als auch ausserplanmässigen Revisionen ansteht. Auf lange Sicht werden wir an einer Politik arbeiten müssen, die auch künftig eine gute Zusammenarbeit zwischen den Produktionsreaktoren gewährleistet. Zur Vermeidung unvorhergesehener Engpässen, wie sie etwa bei einem Ausfall mehrerer führender Produzenten gleichzeitig einträten, wird es darauf ankommen, die Forschungsreaktoren weiterzubetreiben und dabei in gutem Zustand zu erhalten. Wir müssen zusehen, nicht noch einmal in eine Situation zu geraten, in der wir es mit gerade mal einem Grossproduzenten zu tun haben und eine Anzahl kleinerer Anbieter lediglich die von diesem Grossproduzenten gelassenen Lücken ausfüllt. Eine solche Situation ist längerfristig nicht tragbar. Es wird also darum gehen, ein neues Gleichgewicht zu finden, denn es ist allemal besser, wenn fünf Produzenten zur Verfügung stehen, die über eine Kapazität von 30% verfügen, als einer mit 80% und daneben noch drei mit lediglich 20%. Ein Ausfall des Reaktors mit 80% Produktionskapazität liesse sich bei einem solchen Szenario nämlich nicht auffangen.
Wie bewerten Sie den Vorschlag der französischen Autorité de Sûreté Nucléaire (ASN,) ein Netzwerk für einen Informationsaustausch über Radioisotope zwischen den nationalen Sicherheitsbehörden einzurichten?
Unter Aspekten der Instandhaltung älterer Forschungsreaktoren könnte sich dies meiner Meinung nach als vorteilhaft erweisen. Derzeit ist es so, dass die Länder, die Molybdän-99 produzierende Forschungsreaktoren betreiben, mit auftretenden Produktionsproblemen unterschiedlich umgehen. Ein stärkerer proaktiver Ansatz könnte dazu beitragen, dass eine Situation, wie wir sie derzeit erleben und mit der wir uns in ein paar Jahren erneut konfrontiert finden könnten, künftig nicht mehr eintritt.
Würde dies zusätzliche Investitionen erforderlich machen?
Das lässt sich nicht so ohne weiteres sagen, da in die aktuell betriebenen Reaktoren bereits investiert wird, die mit inzwischen 40 bis 50 Jahren Laufzeit indes auch nicht jünger werden. Was den BR2 angeht, sehen wir die Notwendigkeit, diesen mittelfristig zu ersetzen. Natürlich gibt es in Frankreich ein laufendes Programm für den Bau des Jules-Horowitz-Reaktors, der allerdings nicht in erster Linie auf die Produktion von Radioisotopen ausgerichtet sein wird. Der geplante Pallas-Reaktor in den Niederlanden dagegen würde in erster Linie der Produktion von Isotopen dienen. Er soll den Hochflussreaktor am Standort Petten ersetzen, dessen Stilllegung für etwa 2015 geplant ist.
Wie wird sich der Radioisotopen-Engpass auf andere Bestrahlungsangebote beim BR2 auswirken?
Wir sind dabei, zur Durchführung weiterer Experimente in unsere normalen Betriebsabläufe einen zusätzlichen Zyklus einzufügen. Es lässt sich nicht ausschliessen, dass es bei der Durchführung anderweitiger Bestrahlungen Probleme geben wird, vor allem im Hinblick auf die Verfügbarkeit von Systemen, die wie etwa heisse Zellen bei der Bestrahlung im Hintergrund stehen. Wir benötigen solche heisse Zellen zur Aufnahme gewisser Materialien nach erfolgter Betrahlung, da im kommenden Jahr – angesichts dieses zusätzlichen Zyklus’ – die Zyklen recht kurz ausfallen werden. Das bedeutet unter Umständen, dass wir uns zur Herstellung einer Reihe von Produkten möglicherweise nicht in der Lage sehen werden. Die Verknappung hat somit durchaus Auswirkungen auf sonstige Bestrahlungsangebote. Was jedoch den von mir angesprochenen zusätzlichen Zyklus angeht, haben wir beschlossen, der Produktion von Molybdän-99 Vorrang einzuräumen.
Wie würden Sie die Lieferkettenprobleme in der aktuellen Krise beurteilen?
Natürlich sehen wir uns durch den Ausfall eines unserer beiden Reaktoren einer Isotopenversorgungskrise gegenüber. Noch kritischer jedoch stellt sich die Situation in den Produktionsanlagen dar, in denen das Molybdän-99 aus dem von den Reaktoren gelieferten bestrahlten Uran extrahiert wird. Die Zahl der Anlagen, die hierzu in der Lage sind, ist sogar noch geringer als die der Reaktoren. Vergangenen September kam es zu einer vorübergehenden Schliessung des IRE, da dieses jedoch auf dem Weltmarkt eine eher untergeordnete Rolle spielt, hielten sich die Auswirkungen in Grenzen. Würde das gleiche indes bei einem der führenden Akteure geschehen, sähen wir uns einer noch dramatischeren Situation gegenüber als der, die wir derzeit erleben.
Der BR2 arbeitet mit hoch angereichertem Uran. Gibt es international Druck, den BR2 dahin gehend umzurüsten, dass sich dieser auch mit schwach angereichertem Uran betreiben lässt?
Wir beziehen unser hoch angereichetes Uran aus den USA, und in der Tat drängt das US-Energieministerium auf eine Umrüstung. Allerdings gibt es keinen Brennstoff aus schwach angereichertem Uran (LEU), der für die für unseren Reaktor erforderlichen Bedingungen geeignet wäre. Belgien hat sich als Staat ebenso wie wir als Unternehmen dem Ziel verschrieben, zur Forschung und Entwicklung von LEU-Brennstoff jener Art beizutragen, die für die Verwendung in unserem Reaktor geeignet wäre. Innerhalb von Europa werden wir zudem mit dem Beginn der Umrüstung unseres Reaktors auf LEU die Führung in einem Konsortium übernehmen, das Brennstoffprüfungen dieser Art durchführt und dessen Programmplanung bis etwa Ende 2016 reicht.
Was nun den Myrrha-Reaktor angeht, wurden Details des Projekts dem belgischen Energieminister mit der Bitte um finanzielle Unterstützung vorgelegt. Zu welchen Fortschritten sind Sie in Ihren Gesprächen mit der belgischen Regierung gelangt?
Einstweilen liegt dazu noch keine eindeutige Reaktion vor, wenn ich auch unlängst eine Nachricht erhalten habe, wonach zumindest die moralische Unterstützung innerhalb der belgischen Regierung wächst. Von daher würde ich sagen, die Entwicklung geht in die richtige Richtung.
* Molybdän-99 (Mo-99) wird zur Herstellung von Technetium-99m (Tc-99m) benötigt, eines Radioisotops, das in über 80% der nuklearmezinischen Diagnoseverfahren weltweit zum Einsatz gelangt. Mo-99 entsteht bei der Bestrahlung von hoch angereicherten Uran-Targets in einem Hochflussreaktor. Derzeit existieren weltweit fünf grössere Reaktoren zur Target-Bestrahlung – NRU in Kanada, Safari in der Republik Südafrika, Osiris in Frankreich, HFR in den Niederlanden und BR2 in Belgien – sowie vier Anlagen zur Abscheidung von Molybdän-99.
** AIPES steht für die Association of Imaging Producers and Equipment Suppliers, die auch unter dem Namen European Industrial Association for Nuclear Medicine and Molecular Healthcare firmiert.
Quelle
NucNet, 1. Dezember 2009, aus dem Englischen übersetzt