Neue Erkenntnisse aus Neutrino-Forschung

Forscher des Projekts Enriched Xenon Observatory 200 (EXO-200) haben sich mit einem hochempfindlichen Detektor auf die Suche nach einem äusserst seltenen Kernzerfall gemacht, um den Neutrinoeigenschaften auf den Grund zu gehen. Erste Resultate bringen eine Hypothese unter Druck und deuten darauf hin, dass sich diese Teilchen offenbar doch gemäss dem Standardmodell der Elementarteilchenphysik verhalten.

24. Sep. 2012
Die Time Projection Chamber, das Herzstück des EXO-200 wird in den Kryostat eingeführt. Die Messeinrichtung liegt rund 650 m unter der Erdoberfläche.
Die Time Projection Chamber, das Herzstück des EXO-200 wird in den Kryostat eingeführt. Die Messeinrichtung liegt rund 650 m unter der Erdoberfläche.
Quelle: SLAC

Das bekannteste Beispiel aus der Teilchenphysik, an dem Neutrinos beteiligt sind, ist der Betaminus-Zerfall. Bei diesem Kernprozess zerfällt ein Neutron in ein Proton und sendet ein Elektron sowie ein Elektron-Anti-Neutrino aus. Nun kann es vorkommen, dass dieser Vorgang zweimal abläuft, ohne dass die Zwischenstadien beobachtet oder gemessen werden können. Die Fachwelt spricht von einem doppelten Betaminus-Zerfall. Gemäss Standardmodell entstehen bei diesem Prozess zwei Anti-Neutrinos. Eine Hypothese vertritt jedoch die Ansicht, dass Neutrinos sogenannte Majorana-Teilchen sind. Derartige Teilchen können nicht von ihren Antiteilchen unterschieden werden und tragen keine elektrische Ladung. Die elektrisch neutralen Neutrinos würden in dieses Bild passen und könnten demnach gleich ihrem eigenen Antiteilchen sein. Ein doppelter Beta-Zerfall, der keine Neutrinos emittiert, würde diese Hypothese stützen, da sich die zwei Neutrinos gleich nach der Freisetzung gegenseitig vernichteten (siehe Grafik). Es wäre daran zu erkennen, dass die Gesamtenergie der beiden emittierten Elektronen einen ganz bestimmten Wert aufwiese.

Doppelte Beta-Zerfälle treten äusserst selten auf. Um diesen Prozess untersuchen und gegebenenfalls neutrinolose doppelte Beta-Zerfälle beobachten zu können, haben Forscher das EXO-200-Projekt ins Leben gerufen. Das Herzstück ist ein hochempfindlicher Detektor, der Kernzerfälle nachweisen kann, die nur alle 1025 Jahre eintreten. Im September 2011 wurden erste Messergebnisse vorgestellt: Gemäss den Ergebnissen nach etwas über einem Monat Messzeit beträgt beim Xe-136 die Halbwertszeit des doppelten Beta-Zerfallsprozesses rund 2,11 x 1021 Jahre. Unser Universum ist mehrere Milliarden Mal jünger. Mit anderen Worten: Seit der Geburt des Universums wäre bei acht Milliarden Xe-136-Atomen bis heute ein doppelter Beta-Zerfall eingetreten. Damit war das Experiment aber noch nicht abgeschlossen. Die Suche nach dem neutrinolosen Zerfall ging weiter. Im Juni 2012 teilten die Forscher mit, dass sie bisher keine Hinweise auf neutrinolose doppelte Beta-Zerfälle finden konnten. Würden solche Zerfälle beobachtet, so wären Neutrinos Majorana-Teilchen und hätten eine andere Quantenstruktur als andere Elementarteilchen. Das würde bedeuten, dass das Standardmodell der Physik umgeschrieben werden müsste. Giorgio Gratta, Physikprofessor an der Standford Universität und Sprecher des EXO-Projekts, zeigte sich erfreut über das negative Beobachtungsergebnis. Es bedeute, dass die Hintergrundaktivität sehr tief sei und der Detektor sehr empfindlich reagiere. Das Ergebnis widerspreche dem Resultat des Heidelberg-Moskau-Experiments im Gran-Sasso-Untergrundlabor in Italien. Dieses soll vor zehn Jahren Hinweise auf neutrinolose doppelte Beta-Zerfälle gefunden haben, konnte aber bisher nicht nachvollzogen werden.

Die Messungen mit EXO-200 sollen noch während mehrerer Jahre weitergeführt werden. Die Forscher planen den Bau eines noch grösseren und noch empfindlicheren Detektors.

EXO-200: die Messeinrichtung

Das Herzstück von EXO-200 ist ein dünnwandiger Zylinder aus hochreinem Kupfer, die sogenannte Time Projection Chamber (TPC). Sie ist mit rund 200 kg flüssigem Xenon gefüllt. Das Edelgas ist auf 80% des Xe-136-Isotops angereichert, was dem Projekt seinen Namen gab, und wird auf -100°C gekühlt. Das verflüssigte Gas dient den Forschern gleichzeitig als Szintillator und erlaubt eine hohe Messauflösung, da sowohl Elektronen aus Ionisationen als auch Szintillationsblitze detektiert werden. Damit die empfindliche Messeinrichtung vor kosmischer Strahlung und sonstigen Störeinflüssen bestmöglich geschützt ist, gingen die Forscher nach Carlsbad im Bundesstaat New Mexiko, wo das Department of Energy (DOE) in einer unterirdischen Salzmine bereits die Waste Isolation Pilot Plant (WIPP), ein Pilotendlager für radioaktive Abfälle, betreibt.

Am EXO-200-Projekt sind Forscher aus Instituten verschiedenen Ländern beteiligt, unter ihnen das SLAC National Accelerator Laboratory, das die Stanford University im Auftrag des DOE betreibt. Zu den Projektpartnern zählt auch die Universität Bern.

Neutrinos

Es gibt drei Neutrinoarten (Elektron-, Myon- und Tau-Neutrino). Sie zählen zusammen mit dem Elektron, dem Myon, dem Tau und den sechs Quarks zu den zwölf Elementarteilchen, die als unteilbar gelten. Neutrinos besitzen keine elektrische Ladung und fliegen praktisch ungehindert durch Materie hindurch, was ihre Erforschung erschwert. Die mittlere freie Weglänge von Neutrinos, die beispielsweise in Kernreaktoren in grosser Zahl entstehen, beträgt in Blei ein Drittel eines Lichtjahres (rund 3 Billionen Kilometer).

Quelle

M.B. nach Physics World, «In search of no neutrinos», April 2010, sowie SLAC, Medienmitteilungen, 8. September 2011 und 4. Juni 2012

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