Kernfusion: Weltrekord für Strom in Supraleitermagneten
Im Forschungszentrum Karlsruhe hat die 60t schwere supraleitende Modellspule für den künftigen Fusionstestreaktor Iter bei Temperaturen um -269°C ihre erste Bewährungsprobe bestanden.
Elektrische Ströme bis zu 80'000 Ampere mussten ohne Verluste fliessen. In Stufen hat man sich dieser Schwelle genähert und sie nun erreicht. Derart hohe Ströme in einer supraleitenden Spule konnten weltweit erstmals realisiert werden. Der Strom von 80'000 Ampere wurde mehrmals reproduzierbar angefahren; die Spule hat den Test erfolgreich bestanden. Damit steht die komplexe Spulentechnologie für die zukünftigen Projekte in der Kernfusion zur Verfügung.
Sonne und Sterne erzeugen ihre Energie durch Kernfusion. Diesen Prozess auf der Erde nachzubilden und so eine neue Energiequelle zu erschliessen ist das Ziel international koordinierter Forschungsarbeiten. Die nächste Entwicklungsstufe hin zu einem künftigen Fusionskraftwerk ist der Testreaktor Iter (International Thermonuclear Experimental Reaktor). Ein detaillierter Entwurf dafür liegt vor. Mit Iter sollen wissenschaftliche und technologische Voraussetzungen für den Bau eines ersten Kraftwerks gewonnen werden. Um den Iter-Standort hat sich als erstes Land Kanada beworben; Standortvorschläge der EU und aus Japan werden ebenfalls erwartet.
Parallel zu den Entwurfsarbeiten wurden wichtige technologische Komponenten weiterentwickelt. Dazu gehört insbesondere das supraleitende Magnetsystem. In seinen magnetischen Feldern wird das heisse Plasma eingeschlossen, in dem bei Temperaturen oberhalb von 100 Mio.°C die Verschmelzung von Wasserstoff- zu Heliumatomen - die Kernfusion - abläuft. Weil normalleitende Spulen für die Erzeugung der benötigten Magnetfelder (bis 13 Tesla) zu viel Energie verbrauchen, müssen spezielle Spulen aus so genannten supraleitenden Materialien entwickelt werden. Supraleitende Materialien leiten Strom verlustfrei, allerdings erst bei sehr tiefen Temperaturen um -269°C, der Temperatur von flüssigem Helium.
Die Entwicklung der supraleitenden Kabel wie auch der Modellspule für die so genannten "Toroidalfeldspulen" des Iter erfolgte in enger Kooperation von europäischen Forschungslabors und der europäischen Industrie unter dem Management von "Efda" (European Fusion Development Activity), der von der EU eingesetzten Management-Gruppe für die technologischen Entwicklungen zur Kernfusion. Für den Test der Spule wurde die grosse Spulentesteinrichtung Toska des Forschungszentrums Karlsruhe ausgewählt und dafür auch aufgerüstet. Die Anlage Toska ist die grösste ihrer Art in Europa und derzeit die einzige, an der ein solcher Test ausgeführt werden kann.
Die Modellspule wurde vom europäischen Industriekonsortium Agan (Ansaldo, Alstom, Noell, Accel) gebaut und Anfang 2001 im Forschungszentrum angeliefert. Nach umfangreichen Installations- und Vorprüfarbeiten begann Anfang Juli der Abkühlprozess der 60t schweren Spule. In mehreren Stufen konnte nun der volle Nennstrom von 80'000 Ampere erreicht werden. Dies ist ein wichtiger Meilenstein, der die Verfügbarkeit der Magnettechnologie für Iter demonstriert. Die Experimente mit der Modellspule in Toska werden mit zahlreichen Detailuntersuchungen fortgesetzt.
Quelle
M.S. nach Medienmitteilung FZK, 8. August 2001