Informationsreise des Nuklearforums nach Schweden

Das Nuklearforum Schweiz hat vom 9. bis 12. September 2009 erneut eine Informationsreise für Medienschaffende durchgeführt. Ziel der Reise war Schweden, wo im Juni 2009 der Standort für das Tiefenlager für den hochaktiven ausgedienten Kernbrennstoff ausgewählt worden ist – mit grosser Unterstützung der lokalen Bevölkerung. Die schwedische Entsorgungspolitik und der Entscheid von Regierung und Parlament, den vor rund 30 Jahren getroffenen Ausstiegsbeschluss aufzuheben und den Bau neuer Kernkraftwerke zu ermöglichen, waren die Hauptthemen der Reise nach Stockholm, Forsmark und Oskarshamn, an der zwölf Medienschaffende teilnahmen.

19. Okt. 2009
Das Tiefenlager für schwach- und mittelaktive Abfälle (SFR) in Forsmark (Gemeinde Östhammar) liegt im Granitgestein unter der Ostsee. Die heutige Lagerkapazität ist nur für die Betriebsabfälle ausgelegt. Für die Aufnahme der Stilllegungsabfälle soll das Lager in den kommenden Jahren erweitert werden (im Vordergrund das Eingangsgebäude des SFR, im Hintergrund die drei Blöcke des Kernkraftwerks Forsmark).
Das Tiefenlager für schwach- und mittelaktive Abfälle (SFR) in Forsmark (Gemeinde Östhammar) liegt im Granitgestein unter der Ostsee. Die heutige Lagerkapazität ist nur für die Betriebsabfälle ausgelegt. Für die Aufnahme der Stilllegungsabfälle soll das Lager in den kommenden Jahren erweitert werden (im Vordergrund das Eingangsgebäude des SFR, im Hintergrund die drei Blöcke des Kernkraftwerks Forsmark).
Quelle: Vattenfall

In der Schweiz hat die Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle (Nagra) nach Jahrzehnten der Vorarbeit nachgewiesen, dass alle Arten von radioaktiven Abfällen in der Schweiz auf Dauer sicher entsorgt werden können. Im vergangenen November hat das Bundesamt für Energie (BFE) das Verfahren für die Standortwahl nach dem «Sachplan geologische Tiefenlager» gestartet, das nach Einschätzung des Eidgenössischen Departements für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (Uvek) rund zehn Jahre in Anspruch nehmen soll. Ziel ist, im Jahr 2030 ein Lager für schwach- und mittelaktive Abfälle und 2040 ein Lager für hochaktive Abfälle in Betrieb zu nehmen.

Schweden ist bei der Entsorgung der radioaktiven Abfälle einige Schritte voraus: Das Tiefenlager für schwach- und mittelaktive Abfälle steht seit über 20 Jahren in Betrieb, und die schwedische Entsorgungsgesellschaft hat ihren Vorentscheid für den Standort des Tiefenlagers für den hochaktiven ausgedienten Kernbrennstoff im Sommer dieses Jahres gefällt (in Schweden werden die Kernbrennstoffe ohne Wiederaufarbeitung direkt der Entsorgung zugeführt).

Hoher Stromkonsum

Im Vergleich zu den meisten westlichen Ländern hat Schweden einen sehr hohen Stromkonsum. Dies liegt unter anderem an der energieintensiven Industrie und am kalten Klima – geheizt wird zu einem grossen Teil mit Elektroheizungen – und auch an den tiefen Strompreisen in der Vergangenheit. Der Elektrizitätsverbrauch pro Kopf war im Jahr 2008 mit 146,2 TWh bei 9,2 Mio. Einwohnern fast doppelt so hoch wie in der Schweiz (61,8 TWh bei 7,6 Mio. Einwohnern).

Mehr Unabhängigkeit durch Elektrifizierung

In den 1980er-Jahren reduzierte Schweden den Erdölverbrauch drastisch um fast die Hälfe. Insbesondere bei der Raumheizung wurde Erdöl durch Elektrizität und in jüngster Zeit auch durch Wärme-Kraft-Koppelung mit Biomasse ersetzt. Die fossilen Energieträger decken in Schweden heute nur noch knapp 40% des gesamten Energieverbrauchs (Schweiz: fast 70%).

Seinen Strom produziert Schweden – ähnlich wie in der Schweiz – CO2-arm aus Wasserkraft und Kernenergie. Je nach Wasserführung der Flüsse stammen 45–50% des Stroms aus Wasserkraftwerken und 40–45% aus Kernkraftwerken. Das erste kommerzielle Kernkraftwerk, Oskarshamn-1, nahm 1971 den Betrieb auf. Heute sind in Schweden zehn Kernkraftwerksblöcke an drei Standorten am Netz.

Abkehr vom Ausstiegsbeschluss

Als Folge des Unfalls im amerikanischen Kernkraftwerk Three-Mile-Island im Jahr 1979 beschloss das schwedische Parlament den Ausstieg aus der Kernenergie bis 2010 – dies aufgrund eines (für die Regierung unverbindlichen) Referendums, bei dem sich die Stimmberechtigten mehrheitlich dafür aussprachen, die damals im Bau befindlichen Blöcke fertigzustellen, aber die Nutzung der Kernenergie zeitlich zu begrenzen.

Aus politischen Gründen verfügte die schwedische Regierung gegen lokalen Widerstand 1999 und 2005 die vorzeitige Stilllegung der beiden Blöcke in Barsebäck in Südschweden. Am 5. Februar 2009, fast 30 Jahre nach dem Ausstiegsbeschluss, hob die derzeitige Regierungskoalition aus einem Mitte-Rechts-Bündnis das Bauverbot für neue Kernkraftwerke auf. Mit Zustimmung des Reichstags wurde der Beschluss im Juni 2009 rechtskräftig.

Demnach dürfen an den bestehenden drei Standorten neue Kernkraftwerke als Ersatz für die heutigen Anlagen gebaut werden, wobei ihre Gesamtzahl auf zehn begrenzt bleibt. Gründe für diese Neuorientierung sind unter anderem der kontinuierlich zunehmende Stromverbrauch, die Klimapolitik und die fehlenden Alternativen zur Kernenergie.

Erstes Tiefenlager in Forsmark

Mit dem frühen Einstieg in die kommerzielle Nutzung der Kernenergie begann in Schweden auch die Forschung für die Entsorgung der radioaktiven Abfälle. 1972 gründeten die Kernkraftwerksbetreiber die Svensk Kärnbränslehantering AB (SKB), die wie die Nagra in der Schweiz für die Entsorgung der radioaktiven Abfälle aus den Kernkraftwerken wie auch aus Medizin, Industrie und Forschung zuständig ist.

Bereits 1988 konnte das Tiefenlager für schwach- und mittelaktive Abfälle (Final repository for short-lived radioactive waste, SFR) in der Nähe des Kernkraftwerks Forsmark nördlich von Stockkholm den Betrieb aufnehmen. Das SFR befindet sich im Granit des kristallinen Grundgebirges, 50 m unter dem Meeresboden der Ostsee. Es besteht aus vier 160 m langen Tunneln sowie einer Felskaverne mit einem 50 m hohen Betonsilo. Die Kavernen bieten Raum für 63’000 m3 Abfallmaterial. Bisher wurden rund 31’000 m3 eingelagert. Pro Jahr kommen rund 1000 m3 dazu. Für die Aufnahme des Materials aus dem Rückbau der Kernkraftwerke sollen in den nächsten Jahren weitere Felskavernen ausgebrochen werden.

Die Felskavernen des SFR sind nicht wasserdicht. Aus den Wänden kann Grundwasser eindringen. Dieses stammt aus dem Felsboden unter dem Meer, wo überall derselbe Druck herrscht. Daher bewegt sich dieses Wasser kaum – das heute in die Anlage eindringende Grundwasser ist 7000 Jahr alt. Dieses sich sehr langsam bewegende Wasser ist im Lagerkonzept berücksichtigt. Zusammen mit den Barrieren aus Beton und wasserdichtem Bentonit stellt das Lagerkonzept sicher, dass die Radioaktivität längst abgeklungen sein wird, bevor allenfalls Material aus dem Lager in die Umwelt gelangt.

Hohe Akzeptanz für zweites Tiefenlager

Die Einwohner der Gemeinde Östhammar, in der Forsmark liegt, zeigen eine hohe Akzeptanz für die geologische Tiefenlagerung in ihrer Region. Gemäss der jüngsten Umfrage aus diesem Jahr unterstützen rund 80% der Gemeindebürger ein Tiefenlager für hochaktiven ausgedienten Kernbrennstoff in ihrer Region.

Die SKB entschied sich diesen Sommer, das Tiefenlager für den ausgedienten Kernbrennstoff in Forsmark zu bauen, unmittelbar neben den bestehenden Nuklearanlagen. Der Gemeinderat von Östhammar begrüsste diesen Entscheid. 2010 will die SKB das Baugesuche einreichen. Definitiv über den Standort wird die schwedische Regierung entscheiden, wobei die betroffene Gemeinde das Vetorecht hat.

Ausschlaggebend für die Standortwahl der SKB waren die geologischen Vorteile gegenüber dem anderen näher untersuchten Standort in Oskarshamn im Südosten Schwedens. Dort hatten sich sogar mehr als 80% der Bevölkerung für das Tiefenlager ausgesprochen.

Gespräche am Küchentisch

Saida Laarouchi Engström, die Leiterin des Bereichs Umweltverträglichkeitsprüfung und Öffentlichkeitsarbeit der SKB, erklärte den Medienschaffenden aus der Schweiz an einem Nachtessen in Stockholm, wie die SKB das Vertrauen der Bevölkerung gewinnen konnte. Ursprünglich glaubten die Fachleute der SKB, dass sie die Zustimmung der Bevölkerung dank der vorausgegangenen langjährigen Forschungsarbeiten und erfolgreichen Machbarkeitsstudien durch einfache Information in kurzer Zeit erreichen könnten. Es dauerte dann aber acht Jahre, bis der Standortvorentscheid für das Tiefenlager für die hochaktiven ausgedienten Kernbrennstoffe mit Zustimmung der Bevölkerung gefällt werden konnte.

Gelernt hätten ihre Kollegen und sie selbst während dieser Zeit viel, blickte Laarouchi Engström zurück. Vor allem die Fähigkeit, zuzuhören. Dazu setzten sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der SKB abends auch an die Küchentische, um Fragen zu beantworten und um auf Bedenken einzugehen. Die so entstandene Zwischenmenschlichkeit und Authentizität sei sehr wichtig, betonte Laarouchi Engström. Die von den Anwohnern aufgeworfenen Bedenken betrafen meist weniger die technische Sicherheit des Tiefenlagers, sondern die konkreten Auswirkungen von Bau und Lagerbetrieb auf ihren Lebensraum an der Erdoberfläche bzw. auf ihren Alltag.

Kernenergie – eine lange Bekanntschaft

Anders als in der Schweiz dienen in Schweden die kristallinen Gesteine (Granit) als Wirtsgestein für Tiefenlager, die in weiten Teilen des Landes den unmittelbaren Untergrund bilden. Diese Geologie ermöglicht zahlreiche potenzielle Standorte. Im Verlauf des Auswahlverfahrens fokussierte die SKB die Untersuchungen auf die beiden Standorte Forsmark und Oskarshamn.

Beide Regionen sind mit der Kernenergie vertraut. In Forsmark wie in Oskarshamn stehen je drei der zehn Kernkraftwerksblöcke Schwedens, und die Nuklearindustrie ist ein wichtiger Arbeitgeber. Allein das Kernkraftwerk Forsmark bietet rund 1000 Arbeitsplätze. Diese Zahl wird mit dem Tiefenlager für den hochaktiven ausgedienten Kernbrennstoff, dessen Inbetriebnahme im Jahr 2023 geplant ist, deutlich ansteigen.

In Oskarshamn ist es ähnlich: Neben dem Kernkraftwerk befinden sich dort das seit 1985 in Betrieb stehende unterirdische Zwischenlager für ausgedienten Kernbrennstoff (Interim Storage Facility, Clab), das «Canister Laboratory», wo die Lagerbehälter für den Langzeiteinschluss des ausgedienten Kernbrennstoffs entwickelt werden, und das Felslabor «Äspö Hard Rock Laboratory», in dem seit 1995 im Granitgestein in einer Tiefe bis zu 460 m Forschung zur Tiefenlagerung des Kernbrennstoffs betrieben wird.

Die Stollen des «Äspö Hard Rock Laboratory» reichen bis in eine Tiefe von 460 m. Die Gesamtlänge der Tunnel beträgt 3600 m. Das Felslabor Äspö wird – wie die Felslabors im Mont Terri und auf der Grimsel in der Schweiz – keine radioaktiven Abfälle aufnehmen. Es dient allein der Forschung, an der sich Forschungsgruppen aus Deutschland, Finnland, Frankreich, Japan, Kanada, Spanien, der Schweiz und Tschechien beteiligen.
Die Stollen des «Äspö Hard Rock Laboratory» reichen bis in eine Tiefe von 460 m. Die Gesamtlänge der Tunnel beträgt 3600 m. Das Felslabor Äspö wird – wie die Felslabors im Mont Terri und auf der Grimsel in der Schweiz – keine radioaktiven Abfälle aufnehmen. Es dient allein der Forschung, an der sich Forschungsgruppen aus Deutschland, Finnland, Frankreich, Japan, Kanada, Spanien, der Schweiz und Tschechien beteiligen.
Quelle: SKB

Vereinbarung zwischen den Gemeinden

Die lokale Bevölkerung habe kaum Vorbehalte gegen die Kernenergie oder das Tiefenlager, erklärte Oskarshamns stellvertretender Bürgermeister Lars Blomberg beim gemeinsamen Mittagessen in Oskarshamn, nachdem die Medienschaffenden aus der Schweiz das Zwischenlager Clab besucht hatten. Er bedauert, dass das Tiefenlager nicht in seiner Gemeinde, die bis zuletzt zur Auswahl stand, gebaut wird. Aber selbstverständlich waren die Sicherheitskriterien entscheidend, so Blomberg.

Ein Transportbehälter mit ausgedientem Kernbrennstoff wird in das Verladebecken des zentralen Zwischenlagers «Clab» in Oskarshamn abgesenkt. Das «Clab» befindet sich 40 m unter der Erdoberfläche und ist ein Nasslager.
Ein Transportbehälter mit ausgedientem Kernbrennstoff wird in das Verladebecken des zentralen Zwischenlagers «Clab» in Oskarshamn abgesenkt. Das «Clab» befindet sich 40 m unter der Erdoberfläche und ist ein Nasslager.
Quelle: SKB

Leer wird seine Gemeinde allerdings nicht ausgehen. Die SKB wird in den nächsten Jahren Investitionen vor allem in regionale Infrastrukturprojekte und Bildung unterstützen, die einen Mehrwert von ungefähr SEK 2 Mrd. (ca. CHF 295 Mio.) generieren sollen. Drei Viertel dieser Investitionsbeiträge fliessen dabei in die Gemeinde, die das Tiefenlager nicht erhält – also Oskarshamn. Das haben die Gemeinden Östhammar und Oskarshamn so ausgemacht.

Quelle

M.S./M.R.

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