IEA sieht Renaissance der Kernenergie
Laut einem Bericht der Internationalen Energieagentur (IEA) steigt der Strombedarf rasant und dies nicht nur in traditionellen Bereichen wie der Industrie, sondern auch durch neue Anwendungen wie Elektrofahrzeuge, Rechenzentren und künstliche Intelligenz. Deshalb sei das Interesse an Kernenergie so hoch wie seit den Ölkrisen der 1970er-Jahre nicht mehr. Dennoch müssten Herausforderungen wie Kosten, Projektverzögerungen und Finanzierung bewältigt werden.
Der neue IEA-Bericht «The Path to a New Era for Nuclear Energy» bietet eine umfassende Bewertung der aktuellen Situation und zeigt die wichtigsten Herausforderungen auf, die angegangen werden müssen, um auf der aktuellen Dynamik aufzubauen und eine neue Ära zu ermöglichen. Dazu gehören auch Erkenntnisse darüber, wie neue Nuklearprojekte finanziert und gleichzeitig zuverlässige und diversifizierte Versorgungsketten für den Bau und das Vorantreiben dieser Projekte sichergestellt werden können.
«Es ist heute klar, dass das starke Comeback der Kernenergie, das die IEA vor einigen Jahren vorausgesagt hat, in vollem Gange ist und die Kernenergie im Jahr 2025 eine Rekordmenge an Strom erzeugen wird», erklärte IEA-Exekutivdirektor Fatih Birol bei der Vorstellung des Berichts. «Darüber hinaus sind weltweit mehr als 70 GW an neuen Kernkraftkapazitäten in Bau, eine der höchsten Zahlen der letzten 30 Jahre, und mehr als 40 Länder auf der ganzen Welt haben Pläne, die Rolle der Kernkraft in ihren Energiesystemen auszubauen. Vor allem die kleinen, modularen Reaktoren (SMRs) bieten ein interessantes Wachstumspotenzial. Allerdings müssen Regierungen und Industrie auf dem Weg in eine neue Ära der Kernenergie noch einige erhebliche Hürden überwinden, angefangen bei der frist- und budgetgerechten Umsetzung neuer Projekte – aber auch in Bezug auf die Finanzierung und die Lieferketten.»
Laut Bericht ist die Kernenergie nach der Wasserkraft die weltweit zweitgrösste Quelle für emissionsarmen Strom und deckt heute knapp 10% der weltweiten Stromversorgung ab. Die zunehmende Nutzung von Strom – von der Industrie über Klimaanlagen bis hin zu Elektrofahrzeugen und Rechenzentren im Zuge des Aufschwungs der künstlichen Intelligenz – beschleunige das Wachstum der Stromnachfrage. Diese dürfte in den kommenden Jahrzehnten sechsmal so schnell steigen wie der Gesamtenergieverbrauch, wenn man die heutigen politischen Rahmenbedingungen zugrunde legt. Um mit dem rasanten Nachfragewachstum Schritt zu halten, würden neue Erzeugungskapazitäten aus einer Reihe von Technologien benötigt, darunter auch solche, die eine zuverlässige und flexible Leistung erbringen können, wie die Kernenergie.
Der grösste Teil der bestehenden Kernkraftwerke befindet sich heute in fortgeschrittenen Volkswirtschaften, aber viele dieser Anlagen wurden vor Jahrzehnten gebaut. In der Zwischenzeit verändert sich die globale Landkarte der Kernenergie, wobei die meisten Projekte in China gebaut werden, das auf dem besten Weg ist, bis 2030 sowohl die Vereinigten Staaten als auch Europa bei der installierten Kernkraftkapazität zu überholen. Auch Russland ist ein wichtiger Akteur im Bereich der Kerntechnik. Von den 52 Reaktoren, mit deren Bau seit 2017 weltweit begonnen wurde, sind 25 chinesischer und 23 russischer Bauart. Der Bericht zeigt auch, dass die Produktion und Anreicherung von Uran stark in wenigen Ländern konzentriert ist.
SMRs als Gamechanger
Dem Bericht zufolge tragen Innovationen in der Kerntechnik dazu bei, neue Projekte voranzutreiben. SMRs, die schneller gebaut werden können als grosse Kernkraftwerke und mehr Spielraum für Kostensenkungen bieten, stossen auf zunehmendes Interesse des Privatsektors. Der Bericht hebt hervor, wie die Einführung von SMRs zu niedrigeren Finanzierungskosten führen könnte. Mit der richtigen Unterstützung könnten die SMRs bis 2040 eine Leistung von bis zu 80 GW erreichen und damit 10% der gesamten weltweiten Kernkraftkapazität ausmachen. Der Erfolg der Technologie und die Geschwindigkeit ihrer Einführung werden jedoch davon abhängen, ob es der Branche gelingt, die Kosten bis 2040 auf ein ähnliches Niveau wie bei grossen Wasserkraft- und Offshore-Windprojekten zu senken, warnt der Bericht.
Investitionen sind eine Herausforderung
Eine neue Ära für die Kernenergie wird hohe Investitionen erfordern, so der Bericht. Bei einem schnellen Wachstumsszenario für die Kernenergie müssten sich die jährlichen Investitionen bereits bis 2030 auf USD 120 Mrd. verdoppeln. Angesichts des Umfangs der erforderlichen Infrastrukturinvestitionen kann sich die Einführung neuer Kernenergieprojekte nicht ausschliesslich auf die öffentlichen Finanzen stützen. Der IEA-Bericht zeigt, dass die Gewährleistung der Vorhersehbarkeit künftiger Cashflows der Schlüssel zur Senkung der Finanzierungskosten und zur Gewinnung privaten Kapitals für den Nuklearsektor ist. Der Bericht hebt hervor, dass der Privatsektor die Kernenergie zunehmend als investierbare Energiequelle betrachtet, die eine sichere, wettbewerbsfähige und saubere Energieversorgung rund um die Uhr für energieintensive Betriebe verspricht. Vor allem grosse Namen im Technologiesektor unterzeichnen Stromabnahmeverträge mit Entwicklern, um Strom für Rechenzentren und künstliche Intelligenz zu liefern.
Die Rolle der Politik
Regierungen spielen eine zentrale Rolle bei der Förderung der Kernenergie. Um die Chancen, die die Kernenergie bietet, nutzen zu können, müssen die Regierungen dazu bereit sein, stabile rechtliche Rahmenbedingungen zu schaffen, die dem Privatsektor Vertrauen für Investitionen geben. Auch die Standardisierung von Reaktorauslegungen und effiziente Bauprozesse seien entscheidend, um Kosten und Verzögerungen zu minimieren. Der Bericht zeigt zudem auf, wie Anreize und die öffentliche Finanzierung im Allgemeinen die Investitionen freisetzen können, die erforderlich sind, um mehr sauberen und zuverlässigen Strom aus Kernkraft zu erzeugen.
Fazit
Laut IEA ist eine neue Ära der Kernenergie realistisch, jedoch bedarf es entschlossener Massnahmen zur Diversifizierung von Technologien und Lieferketten, zur Sicherstellung von Investitionen und zur Nutzung der Chancen durch Innovationen wie SMRs. Regierungen sind gefordert, eine nachhaltige und sichere Entwicklung der Kernenergie zu gewährleisten.
Quelle
M.A. nach IEA, Medienmitteilung, 16. Januar 2025 und Bericht «The Path to a New Era for Nuclear Energy»
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