Fragwürdige Rechtsauffassung der deutschen Regierung beim Kernenergieausstieg

Über das Symposium "Rechtsfragen zum Atomausstieg" vom 14. und 15. Januar 2000 an der Friedrich-Schiller-Universität Jena wurde bereits kurz berichtet. Die teilnehmenden Wirtschafts- und Staatsrechtler haben die Ergebnisse in 13 von den Professoren Peter M. Huber und Walter Bayer redigierten Thesen zusammengefasst.

14. Jan. 2000

Sie stellen die beliebige Rechtsauffassung bestimmter Mitglieder der deutschen Bundesregierung über den Ausstieg völlig in Frage. Weil den Thesen Bedeutung über Deutschland hinaus zukommt, werden sie hier leicht gekürzt im Wortlaut wiedergegeben:

  1. Eine Unumkehrbarkeit des Atomausstiegs kann es schon aus Gründen des Demokratieprinzips nicht geben. Auch der 14. Deutsche Bundestag kann nur für die Periode, für die er gewählt wurde, verbindliche Festlegungen treffen. Eine Bindung nachfolgender Parlamente und damit Generationen kann es rechtlich nicht geben.
  2. Ein Bundesgesetz über den Atomausstieg bedarf der Zustimmung des Bundesrates. Ein solches begleitende Verträge können nur unter Einbeziehung der Länder geschlossen werden.
  3. Bundesregierung und Parlamentsmehrheit haben ein demokratisches Mandat zur Umsetzung des Atomausstiegs. Dieses findet seine Grenzen jedoch an den Grundrechten. Grundrechte dienen dem Minderheitenschutz.
  4. Verfassungsrechtlicher Anknüpfungspunkt für die Beurteilung des Atomausstiegs ist das Eigentum der Kraftwerksbetreiber an ihren Anlagen.
  5. Dieses Eigentum würde durch einen gesetzlich angeordneten Atomausstieg praktisch "entleert", weil den Eigentümern nicht mehr bliebe als die "grüne Wiese", und diese belastet mit den Kosten eines Abbruchs der Kraftwerke.
  6. Diese "Entleerung" ist eine Enteignung, die nur gegen angemessene Entschädigung zulässig ist. Sie kann durch Restlaufzeiten grundsätzlich nicht abbedungen werden.
  7. Erst wenn das Eigentum an den Anlagen wirtschaftlich wertlos geworden ist, stellt die Entziehung der Betriebsgenehmigung Entzug des Sacheigentums dar, weil Grund- und Anlageneigentum deckungsgleich sind. Das ist bei einer typisierenden Betachtungsweise erst nach 40 Jahren effektiver und individueller Betriebszeit der Fall.
  8. Die These, die "Entleerung" des Eigentums der Kraftwerksbetreiber stelle lediglich eine Neudefinition des Eigentums dar, die das Eigentum an Kernkraftwerken aus der Rechtsordnung ausschliesse, und sei daher letztlich eine Inhalts- und Schrankenbestimmung im Rahmen eines "Eigentumreformgesetzes", konnte nicht überzeugen. Die in der Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts herangezogenen Fälle betreffen Konstellationen, in denen aus dem Grundeigentum einzelne Nutzungsbefugnisse ausgegliedert wurden, in denen das Stammrecht jedoch fortexistierte. Genau das ist angesichts der "Entleerung" des Eigentums beim Atomausstieg jedoch nicht der Fall.
  9. Die Enteignung ist eine ultima ratio. Sie ist nur aus zwingenden Gründen des Gemeinwohls zulässig. Für diese Gründe trifft der Gesetzgeber eine Darlegungs- und Abwägungslast. Er muss die durch den Atomausstieg intensivierte Schutzpflicht zu Gunsten des Lebens und die Vorgaben des Staatsziels Umweltschutz in Beziehung setzen zu den völkerrechtlichen Verpflichtungen Deutschlands zur CO2-Reduktion etc. Keinesfalls genügt die isolierte Anführung des Ausstiegswillens. Ob zwingende Gründe des Gemeinwohls vorliegen, kann das Bundesverfassungsgericht überprüfen.
  10. Das Europarecht betrachtet den Atomausstieg im Wesentlichen als innerstaatliche Angelegenheit Deutschlands. Das gilt allerdings nur so lange, wie keine Unternehmen aus anderen Mitgliedstaaten der EU am Betrieb deutscher Kernkraftwerke verantwortlich beteiligt sind. Dann ist die Niederlassungsfreiheit des EAGV (Europäischer Atomgemeinschafts-Vertrag) zu beachten. Denkbar ist darüber hinaus, dass die Grundrechte des Europarechts auch zu Gunsten der deutschen Kraftwerksbetreiber zu beachten sind.
  11. Ein Atomausstieg im Konsens kann diese verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen nicht umgehen. Er setzt zudem eine Änderung des Atomgesetzes voraus. Öffentlich-rechtliche Verträge können auf dieser Grundlage nur unter Einbeziehung aller Kraftwerksbetreiber abgeschlossen werden und müssen die eigentumsrechtlichen Vorgaben beachten. Ein Verzicht der Elektrizitätsversorgungsunternehmen auf die Enteignungsentschädigung ist deshalb nicht möglich.
  12. Der Ausstieg setzte unter dem Blickwinkel der Aktiengesellschaften zudem die Beteiligung der Hauptversammlung voraus.
  13. Der sogenannte ausstiegsorientierte Vollzug auf der Grundlage des geltenden Atomgesetzes ist ein eklatanter Verfassungsbruch und verletzt das Rechtstaatsprinzip des Grundgesetzes. Daran wird sich bei einer Novellierung des Gesetzes nichts ändern.

Quelle

P.B. nach Presseerklärung der Friedrich-Schiller-Universität Jena

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