Forumstreff «Überblick zum Stand des Iter-Projekts»

Auf der Kernfusion ruhen grosse Hoffnungen. Am Forumstreff des Nuklearforums Schweiz am 4. Februar 2010 an der EPF Lausanne gab Norbert Holtkamp, erster stellvertretender Generaldirektor der Iter-Organisation, Einblick in den Stand des Iter-Projekts und dessen Besonderheiten. Er zeigte sich überzeugt, dass sich angesichts des Energiehungers der Menschheit die Investition von Zeit und Forschungsmitteln auszahlen wird.

7. Feb. 2010
Stand des Iter-Projekts: Bauplatz und Zufahrtstrassen sind bereit.
Stand des Iter-Projekts: Bauplatz und Zufahrtstrassen sind bereit.
Quelle: Agence Iter France

Das Gelände für den Internationalen Thermonuklearen Experimentalreaktor (Iter) im südfranzösischen Cadarache ist vorbereitet und der Bau und die Erweiterung von über hundert Kilometern Zufahrtsstrassen vom Mittelmeerhafen Fos-sur-Mer zum Bauplatz ist ebenfalls abgeschlossen. Dies ist der äusserlich sichtbare Stand des internationalen Grossprojekts Iter, an dem indirekt mehr als die Hälfte der Menschheit beteiligt ist. Mit Iter soll nachgewiesen werden, dass Fusionskraftwerke aus wissenschaftlicher und technischer Sicht machbar sind.

Am Forumstreff in Lausanne rief Holtkamp die ungewöhnliche Dimension des Iter-Projekts in Erinnerung:

  • Beteiligt am Bau von Iter sind die EU (und über Euratom auch die Schweiz) mit rund 45% sowie China, Indien, Japan, Russland, Südkorea und die USA mit je rund 9%.
  • Die Versuchsanlage soll über längere Zeit eine Leistung von 500 MW erreichen; die Bauzeit ist mit rund 10 Jahren veranschlagt, die anschliessende Betriebszeit mit 20 Jahren.
  • Das bis heute bewilligte Budget für Bau, Betrieb und Rückbau liegt bei rund EUR 10 Mrd.; die tatsächlichen Kosten dürften aber höher liegen.

Zeithorizont 2027 / 2028

Holtkamp machte deutlich, dass Iter kein herkömmliches, auf möglichst effiziente Abwicklung ausgerichtetes Industrieprojekt ist, sondern ein wissenschaftlich-technisches Entwicklungsprojekt, das schrittweise aufgebaut wird, um die Entwicklungsrisiken im Griff zu behalten. Nach heutigem Fahrplan soll 2018 das erste Plasma erzeugt werden; anschliessend wird die Anlage weiter ausgebaut mit dem Ziel, schliesslich für längere Zeit eine Fusionsreaktion aufrecht zu erhalten. «Es wird bis 2027/2028 dauern, bis wir den Nachweis erbracht haben, dass Iter ein Erfolg ist», umriss Holtkamp den Zeithorizont.

Wie er weiter ausführte, sind seit dem ersten Projektdesign aus dem Jahr 2001 zahlreiche Änderungen vorgenommen worden, was erhebliche Mehrkosten verursachte. Inzwischen seien die meisten der aufgetauchten Probleme gelöst oder der Lösungsweg liege klar vor Augen. Holtkamp erinnerte in diesem Zusammenhang nochmals daran, dass Iter ein wissenschaftlich-technisches Experiment ist und deshalb viele Komponenten enthalten wird, die in ein kommerzielles Fusionskraftwerk kaum eingebaut würden.

Jeder macht alles

Aus der Zielsetzung ergibt sich eine weitere Besonderheit des Iter-Projekts: Jeder der sieben beteiligten Projektpartner ist an der Entwicklung und Herstellung sämtlicher wichtiger Bau- und Überwachungskomponenten des äusserst komplexen Fusionsreaktors beteiligt, «was die Aufgabe natürlich nicht einfacher macht und Zeit benötigt», wie Holtkamp sagte. Der Grund liegt darin, dass alle Partner das durch Iter gewonnene technische Know-how national verankern wollen, um später in der Lage zu sein, Fusionsreaktoren in Eigenregie bauen zu können.

Holtkamp versicherte, dass Iter nicht am Mangel an Fachleuten scheitern werde. Iter sei ein weltweites Projekt, entsprechend werde auch weltweit rekrutiert. «Mir ist einerlei, woher die Leute kommen», machte er deutlich und verwies insbesondere auf Süd- und Ostasien, wo es dank der grossen Kernkraftwerks-Bauprogramme viele qualifizierte Leute gibt. Persönlich bedauerte er, dass sich in Europa und Nordamerika so wenige junge Leute für technische Ausbildungen interessieren – eine Sicht, der sich Gastgeber Prof. Minh Quang Tran, Direktor des Centre de Recherches en Physique des Plasmas (CRPP) der EPF Lausanne – anschloss.

Energiehunger beschleunigt Entwicklung

Gemäss der langfristigen Planung ist nach dem Erfolgsnachweis von Iter der Bau von Demonstrationskraftwerken vorgesehen, als Vorstufe zur kommerziellen Stromproduktion aus der Kernfusion. Persönlich glaubt Holtkamp, dass dieser Zwischenschritt nicht nötig sein wird. Denn spätestens ab Mitte der 2020er-Jahre werden der Energiehunger der Menschheit und die Verknappung der fossilen Energieträger grossen Druck aufbauen und Investitionen in die Kernfusion beschleunigen. «Iter ist eine echte Chance für die künftige Energieversorgung in grossem Massstab», betonte er.

Technologie-Entwicklung Schritt um Schritt: Norbert Holtkamp, erster stellvertretender Generaldirektor der Iter-Organisation, und Minh Quang Tran, Direktor des CRPP.
Technologie-Entwicklung Schritt um Schritt: Norbert Holtkamp, erster stellvertretender Generaldirektor der Iter-Organisation, und Minh Quang Tran, Direktor des CRPP.
Quelle: Nuklearforum Schweiz

Merkel bekennt sich zur Kernfusion

Diese Hoffnung wird von der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel geteilt. Anlässlich eines Besuchs im Max-Planck-Institut für Plasmaphysik in Greifswald von Anfang Februar 2010 erklärte die promovierte Physikerin, dass es fatal wäre, die Möglichkeiten der Kernfusion nicht weiter zu erkunden. Das werde Zeit brauchen und viel Geld kosten – «wenn es aber gelingen würde, den Prozess kontrolliert und wirtschaftlich in einem Reaktor ablaufen zu lassen, wären damit alle Energieprobleme gelöst – umweltfreundlich und zeitlich unbefristet.» In Greifswald wird gegenwärtig «Wendelstein 7-X» gebaut, eine Fusions-Grossanlage vom Typ «Stellarator», die von anderer Bauart ist als Iter.

Quelle

M.S. und deutsche Bundesregierung, Medienmitteilung,1. Februar 2010

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