Finnland: Warum berücksichtigt Fennovoima einen russischen Lieferanten für Hanhikivi-1?
Die finnische Fennovoima Oy hatte Ende Dezember 2013 die russische Rusatom Overseas JSC – einer Tochtergesellschaft des russischen Staatskonzerns Rosatom – als Lieferantin für die geplante Kernkraftwerkseinheit Hanhikivi-1 ausgewählt. Die Projektleiterin für Hanhikivi bei der Fennovoima, Minna Forsström, erklärt im Gespräch mit der internationalen Kernenergie-Nachrichtenagentur NucNet die Hintergründe der Wahl und warum diese für Finnland Sinn macht.
NucNet: Warum hat sich die Fennovoima für eine 1200-MW-Druckwasserreaktoreinheit des fortgeschrittenen russischen AES-2006 für den Standort Pyhäjoki auf der Halbinsel Hanhikivi am Bottnischen Meerbusen entschieden?
Minna Forsström: Der AES-2006 hat eine gute Reputation. Es sind über 50 Einheiten des russischen Druckwassertyps weltweit in Betrieb und wir haben gute Erfahrungen damit in Finnland gemacht. Die Fortum betreibt zwei Einheiten am Standort Loviisa und sie haben während Jahrzehnten perfekt funktioniert. Für die Besitzer von Fennovoima ist der AES-2006 die richtige Wahl. Er ist ein mittelgrosser Reaktor und es besteht nicht die Herausforderung des «First of a kind». Die Erfahrungen von Rosatom sind für uns auch wichtig. Sie verfügt über einen grossen Erfahrungsschatz bei Kernkraftwerken und wir glauben, sie hat auch die unternehmerische Fähigkeit, um ein solches Projekt zu stemmen.
Ist der AES-2006 in Finnland bereits lizenziert oder muss er den Lizenzierungsprozess noch durchlaufen?
Das Projekt ist noch nicht lizenziert. Die Atomaufsichtsbehörde, die finnische Radiation and Nuclear Safety Authority (Stuk), verlangt, dass jedes Projekt individuell lizenziert wird. Wir durchlaufen nicht den Lizenzierungsprozess für einen Reaktortyp, wir haben einen für jedes Projekt. Es ist ein langer Weg. Wir beabsichtigen, das Gesuch für die Baugenehmigung im Juni 2015 einzureichen. Die Bewilligung selbst sollte 2017 vorliegen. Im Prinzip rechnen wir mit vier Jahren für die Auslegungs- und Projektgenehmigung der Stuk.
Wird sich die Rosatom finanziell am Projekt Hanhikivi-1 beteiligen?
Ja, die Rosatom wird Anteilseignerin der Fennovoima und 34% davon besitzen. Dazu werden Teile der Projektfinanzierung durch russische Quellen gedeckt. Im Jahr 2009 haben wir die Projektkosten mit EUR 4–6 Mrd. beziffert, und wir sind immer noch in dieser Bandbreite. Gegenwärtig konzentrieren wir uns aber noch nicht auf diesen Aspekt. Wir haben ein gutes Abkommen mit der Rosatom und ein solides Budget.
Hatten der Reaktorunfall in Fukushima-Daiichi oder die Verzögerungen in Olkiluoto-3 einen Einfluss auf das Hanhikivi-1-Projekt?
Natürlich. Einige der Probleme, die sich beim EPR-Projekt Olkiluoto-3 manifestiert haben, haben wir in unserer Projektplanung berücksichtigt und wir hoffen doch, einiges davon gelernt zu haben. Fukushima stellte mehrere Herausforderungen, führte jedoch auch zu Sicherheitsbeurteilungen, die wir in unseren Vorgaben eingefügt haben. Die Aspekte, die sich aus dem Reaktorunfall in Fukushima herauskristallisiert haben, sind in unsere Sicherheitsplanung eingeflossen. Somit erfüllen wir auch die behördlichen Sicherheitsvorgaben.
Was unterscheidet die Fennovoima von den anderen zwei Unternehmen, die in Finnland Kernkraftwerke betrieben, von der Fortum und der TVO?
Zum einen ist die Fennovoima eine junge Unternehmung. Die Fennovoima wurde 2007 von Dutzenden von Gemeinden und Unternehmen aus ganz Finnland gegründet. Ziel des Gemeinschaftsunternehmens ist es, die langfristige Stromversorgung zu einem vernünftigen Preis sicherzustellen. Die Fennovoima ist nicht gewinnorientiert und stellt ihren Anteilseignern Strom zu den Gestehungskosten zur Verfügung.
Wir haben nicht so viel Erfahrung und eine lange Geschichte wie die beiden anderen Unternehmen in Finnland, die Kernkraftwerke betreiben. Wir haben indessen andere Vorzüge. Wir waren schnell bei der Vertragserstellung mit der Rosatom für Hanhikivi-1. Ich glaube, ein neuer Akteur im Markt zu sein ist eine gute Sache. Die Rosatom wird zudem Anteilseignerin am Neubauprojekt und zusätzliche Erfahrung einfliessen lassen. Es geht ja nicht nur um die Unternehmung, sondern um die Mitarbeitenden. Wir haben viele Angestellte mit viel Erfahrung auf diesem Gebiet und wollen uns auch noch zusätzliches Fachwissen aneignen.
Glauben Sie, dass der Bottom-up-Ansatz der Fennovoima zur Finanzierung eines solchen Projekts auch anderswo wiederholt werden kann?
Warum nicht? Er ist sehr effizient, aber es braucht die Zustimmung der involvierten Unternehmen. In jedem Land gibt es grosse Akteure im Energiemarkt. Einen neuen Weg einzuschlagen, kann deshalb eine grosse Herausforderung sein. Am wichtigsten ist es, politische Unterstützung zu haben. Sollte sich jemand für die Fortsetzung unseres Modells entscheiden, so ist es mit politischer Unterstützung sicher einfacher.
Was sagen die Anteilseigner der Fennovoima zum Bau von Hanhikivi-1?
Die Mehrheit der Anteilseigner entschied sich zur Fortführung von Hanhikivi-1 und steht hinter dem Projekt. Ich glaube, wir haben mit der Rosatom einen guten Partner. Wir brauchen Ersatzkapazität. In Finnland wird gegenwärtig sehr viel Strom importiert, und selbst in nachfrageschwachen Perioden entspricht die Menge an importiertem Strom ungefähr der Menge, die ein Kernkraftwerk produziert. Zudem hat Finnland eine der grössten Stromverbrauchsraten pro Einwohner in Europa. Mittelfristig – in den nächsten Jahrzehnten – werden die älteren Kernkraftwerke Finnlands das Ende ihrer Lebensdauer erreichen. Zudem werden auch viele konventionelle Kraftwerke dann wegfallen. Die Nachfrage nach neuer Stromproduktionskapazität wird also vorhanden sein. Finnland verfügt über keine Reserven an fossilen Brennstoffen und alle zur Verfügung stehenden Energiequellen sind bereits ausgeschöpft. Wir müssen unseren Strom von irgendwo beziehen und wir brauchen viel davon während der kalten, dunklen Winter.
Quelle
D.S. nach NucNet, 27. Januar 2014