Fachtagung des Nuklearforums: Analyse von Fukushima als Kontrapunkt zur Schweizer Energiepolitik

Schnell ist nicht immer gut: Der politische Entscheid zum Atomausstieg der Schweiz wurde ohne seriöse Analyse der Gründe für den Reaktorunfall im japanischen Kernkraftwerk Fukushima-Daiichi gefällt. Diese Analyse ergab, dass die Schweizer Kernkraftwerke und ihre Sicherheitskultur keinesfalls mit den japanischen Verhältnissen vergleichbar sind. Die Schweizer Werke wurden umsichtiger geplant und frühzeitig nachgerüstet und sind sicherheitstechnisch auf einem sehr hohen Niveau. Dieser Leistungs- und Sicherheitsnachweis der Kernenergie in der Schweiz findet grosse internationale Anerkennung. Das ist das Fazit einer Fachtagung des Nuklearforums Schweiz zu den Lehren aus Fukushima.

6. Feb. 2012
Reges Interesse an den Ausführungen von Hans Wanner, Ensi.
Reges Interesse an den Ausführungen von Hans Wanner, Ensi.
Quelle: Nuklearforum Schweiz

Am 31. Januar 2012 haben Fachleute aus dem In- und Ausland auf Einladung des Nuklearforums Schweiz in Olten eine Bilanz zu den Lehren aus dem Reaktorunfall in Fukushima-Daiichi gezogen. Dabei wurde offensichtlich, dass das Sicherheitsniveau bei Naturkatastrophen in den Schweizer Kernkraftwerken um ein entscheidendes Mass höher ist als in Fukushima und laufend weiter verbessert wird. Deshalb haben sich seit dem Reaktorunfall im März 2011 schon mehrere Delegationen aus Japan in der Schweiz über die nukleare Sicherheit informiert.

Schnellschuss mit unbekannten Konsequenzen

In ihrer Begrüssungsansprache richtete Nationalrätin Corina Eichenberger als Präsidentin des Nuklearforums Schweiz kritische Worte an Medien und Politik: «Die Ereignisse in Japan haben eindrücklich demonstriert, wie manche Medien – und leider manchmal auch die Politik – funktionieren. Eine gewaltige Naturkatastrophe, die zehntausende von Opfern forderte und ganze Landstriche verwüstete, trat in den Hintergrund gegenüber der Havarie in Fukushima-Daiichi. Der Massstab zur Einordnung der Ereignisse ging verloren.» Den Ausstiegsbeschluss von Bundesrat und Parlament bezeichnete sie als Schnellschuss, der ein fundamentales Problem unserer Informationsgesellschaft aufzeige. Dessen ungeachtet hätten die Experten des Ensi und die Betreiberfirmen, statt Schlagworte zu verbreiten, die bis heute bekannten Fakten analysiert und Massnahmen zur weiteren Verbesserung der Sicherheit umgesetzt. Die Präsidentin appellierte an die Öffentlichkeit, diese Analyse vorurteilslos zur Kenntnis zu nehmen. Sie mahnte zugleich, dass das gute Zeugnis bei den inzwischen erfolgten Sicherheitsüberprüfungen der Schweizer Kernkraftwerke nicht zu Selbstzufriedenheit führen dürfe.

Sicherheit als Daueraufgabe

«Sicherheit ist kein Zustand – Sicherheit ist ein Prozess», erklärte Hans Wanner, Direktor des Eidgenössischen Nuklearsicherheitsinspektorats (Ensi). Der Reaktorunfall in Fukushima-Daiichi bringe neue Erkenntnisse und neue Verpflichtungen für weitere Nachrüstungen und Optimierungen der Sicherheit. «Die Erkenntnisse aus Fukushima machen unsere Kernkraftwerke noch sicherer», sagte Wanner. Der Ausstiegsbeschluss ändere nichts an der Schweizer Sicherheitskultur. Diese stehe im internationalen Vergleich sehr gut da. So ist es laut Wanner beispielsweise weltweit ziemlich einzigartig, dass die Schweizer Betreiber per Gesetz dazu verpflichtet sind, ihre Werke auf dem neusten Stand der Sicherheitstechnik zu halten. Dieses Gesetz wurde auch von der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO) löblich hervorgehoben. Das Ensi wacht über die Einhaltung und Umsetzung dieser und anderer von der Politik vorgegebener gesetzlicher Bestimmungen, während für die Sicherheit der Kernkraftwerke die Betreiber zuständig sind. Von den Betreibern forderte Wanner, ihre Planung bezüglich Investitionen offen zu kommunizieren, denn letztendlich bestimme nicht das Ensi die Laufzeit der Schweizer Kernkraftwerke; sie hinge vielmehr davon ab, wie viel die Betreiber noch darin investieren wollten.

Umfassende Nachrüstungen vor Jahrzehnten

«Fukushima zeigte nicht das Restrisiko der Kernenergie», betonte Johannis Nöggerath, Präsident der Schweizerischen Gesellschaft der Kernfachleute (SGK). In Japan wurde die Häufigkeit schwerer Erdbeben und grosser Tsunami unterschätzt und teilweise fahrlässig ausgeblendet. In der Schweiz hingegen wurde der Schutz vor Naturgefahren schon beim Bau der Werke sehr ernst genommen und seither weiter verstärkt. Die in Fukushima nach der Überschwemmung durch die Tsunami aufgetretenen Probleme wie Stromausfall, Verlust der Kühlfähigkeit sowie Wasserstoffexplosionen sind in der Schweiz bereits vor zwei Jahrzehnten analysiert worden. Als Folge der seither durchgeführten Nachrüstungen auf den aktuellen Stand der Technik verfügen die Schweizer Kernkraftwerke über all jene Vorsorge- und Notfallmassnahmen, die in Japan zur Beherrschung des Unfalls fehlten. Eine solche Sicherheitskultur war in Japan nicht vorhanden, machte Nöggerath deutlich. So habe die IAEO festgestellt, dass die Unfallursache auch in Defiziten bei Behördenaufsicht und Gesetzgebung lag.

Herausforderungen für Mühleberg

Hermann Ineichen

, Leiter Energie Schweiz der BKW FMB Energie AG (BKW), legte dar, wie sich die Perspektiven der Mitarbeitenden des Kernkraftwerks Mühleberg (KKM) im März 2011 mit einem Schlag veränderten. Die Herausforderungen im Bereich Personalmanagement meisterte die BKW gut und konnte auf Anfangs 2012 sogar 26 neue Mitarbeitende im KKM begrüssen. Demgegenüber gab Ineichen offen zu, dass sein Unternehmen auf die Kommunikation, wie sie nach dem Reaktorunfall nötig war, zu wenig vorbereitet war und aus der Defensive handelte. Kreative Kritiker, «Profi-Protestler» und «Hobby-Experten» banden wertvolle personelle Ressourcen, die es beispielsweise für die Bearbeitung der Ensi-Verfügungen dringend gebraucht hätte. Trotz dieser und weiterer Herausforderung erachtet Ineichen das Kernkraftwerk Mühleberg als personell und organisatorisch gut aufgestellt und bereit für den Langzeitbetrieb.

Hermann Ineichen, BKW: «Organisatorisch und personell ist das Kernkraftwerk Mühleberg bereit für den Langfristbetrieb.»
Hermann Ineichen, BKW: «Organisatorisch und personell ist das Kernkraftwerk Mühleberg bereit für den Langfristbetrieb.»
Quelle: Nuklearforum Schweiz

Auch deutsche KKW sicherer als japanische

Ein ähnlicher Technikstand wie in der Schweiz gilt auch für die deutschen Kernkraftwerke, wie Prof. Frank-Peter Weiss von der deutschen Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS) und Mitglied der Reaktor-Sicherheitskommission (RSK) ausführte. Er erklärte in seinem Referat, wie in Deutschland die von der Regierung verlangte Sicherheitsüberprüfung der Kernkraftwerke durchgeführt und bewertet wurde. Weiss zeigte auf, dass die deutschen Kernkraftwerke – altersunabhängig – durchgehend robuster gegen Stromausfall und naturbedingte Ereignisse wie Überflutungen seien als die Anlagen in Fukushima-Daiichi. In der Diskussion bestätigte Weiss, die verfügten Abschaltungen seien mit dem Ergebnis der Sicherheitsüberprüfung nicht zu begründen.

Internationale Anerkennung

Gustavo Caruso

, Leiter der Regulatory Activities Section der IAEO, lobte die Schweiz für ihre Vorstösse, im Nachgang zu Fukushima international verbindliche Sicherheits-Regelwerke zu schaffen. Er legte den 12-Punkte-Plan der IAEO dar und verglich diesen mit dem europäischen Stresstest. Gleichzeitig forderte Caruso alle Kernkraftwerksbetreiber auf, sich an den freiwillig gebliebenen Massnahmen zu beteiligen und offen zu kommunizieren. Transparenz sei ein Schlüssel zu noch mehr Sicherheit.

Gustavo Caruso, IAEO, verlangte von KKW-Betreibern Transparenz.
Gustavo Caruso, IAEO, verlangte von KKW-Betreibern Transparenz.
Quelle: Nuklearforum Schweiz

Auch der Beitrag von Jean-Daniel Praz, dem stellvertretenden Leiter Rüstungskontrolle, Abrüstung und Nonproliferation beim Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA), bewegte sich im globalen Rahmen. Praz erörterte die internationalen gesetzlichen Rahmenbedingungen der Nuklearsicherheit und beleuchtete die proaktive Rolle der Schweiz. Wie sein Vorredner betonte er, dass die Schweiz zu jenen Ländern gehöre, die weltweit verbindliche Sicherheitsstandards fordern. Bis anhin wurde die Verbindlicherklärung jedoch von einflussreicheren Ländern blockiert.

Lehren aus der Vergangenheit für eine sichere Zukunft

Das letzte Referat des Tages von Prof. Hansruedi Völkle vom Physikdepartement der Universität Freiburg zeigte auf, wie in der Schweiz die Radioaktivität am Boden und in der Luft überwacht wird. Er verglich den Reaktorunfall von Fukushima-Daiichi in verschiedenen Aspekten mit dem von Tschernobyl: Die Freisetzung und die stark kontaminierte Fläche um Fukushima-Daiichi seien rund zehn Mal kleiner als diejenigen von Tschernobyl und die kollektive Strahlendosis für die Bevölkerung dürfte laut Völkles betont vorsichtiger Beurteilung etwa 100 Mal kleiner ausfallen. Trotz einiger noch offener Fragen kam Völkle zum Schluss, beide Unfälle wären mit vertretbarem Aufwand zu vermeiden gewesen. Daher plädiere er für eine strikte internationale Atomaufsicht und für die weitere Nutzung der Kernenergie.

Denn, wie Stephan Döhler, Leiter der Division Kernenergie der Axpo in seinem Schlusswort festhielt: «Die Kernenergie ist eine sichere, zuverlässige, wirtschaftliche und umweltschonende Form der Stromerzeugung mit einem beachtlichen Technologie-Potenzial in der Zukunft.»

Quelle

M.Re. nach Fachtagung Nuklearforum Schweiz «Die Lehren im Jahr nach Fukushima», 31. Januar 2012

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