Energiestrategie 2050 – was bedeutet sie für uns und unser Klima?
Bis 2050 muss das gesamte Energiesystem der Schweiz umgebaut werden. Deshalb hat der Bundesrat im April 2012 ein erstes Massnahmenpaket vorgelegt. Die Frauen für Energie (FFE) haben mit Prof. Dr. Silvio Borner, dem emeritierten Basler Ökonomieprofessor, über die Auswirkungen der Energiestrategie von Bundesrat und Parlament auf die Gesellschaft und das Klima gesprochen.
FFE: Welche Auswirkungen hat die Energiestrategie von Bund und Parlament auf die Gesellschaft und unseren Lebensstandard?
Prof. Silvio Borner: Die möglichen Auswirkungen sind völlig offen, weil wir ausser einer politischen Deklaration – künftig auf den Ersatz von KKWs zu verzichten – rein gar nichts entschieden haben. Weder ist klar, wie der Ausstieg aus der Kernenergie im Verhältnis zum Klimaschutz (ausstieg aus fossilen Energieträgern) zu gewichten ist, noch mit welchen Instrumenten die Nachfrage reduziert und das Angebot an Alternativenergien forciert werden soll. Eine Strategie ist somit nicht einmal auf dem Papier vorhanden, geschweige denn politisch verankert.
Welche Auswirkungen wird die Energiestrategie auf das Klima haben?
Zwei Punkte sind völlig klar. Erstens: die Nachfrage nach Elektrizität wird in der Schweiz weiter steigen, und zweitens: die neuen alternativen Energien werden die Ausfälle der KKW niemals kompensieren können. Also müssen wir entweder direkt Gas oder indirekt Gas-, Öl- oder Kohle-Strom importieren. Nur erneuerbare Energie einzuführen, dürfte scheitern, weil alle Länder selber eine steigende Nachfrage dafür entwickeln werden. Und Atomstrom zu importieren, reduziert die Risiken sicher nicht, weil unsere Werke bereits zu den sichersten der Welt gehören.
Ist die Bevölkerung bereit für die Konsequenzen der Energiewende? Wird sie höhere Preise in Kauf nehmen?
Angesichts der steigenden Nachfrage nach Strom infolge des Bevölkerung- und Wirtschaftswachstums, werden die Preise von der Angebots- und Nachfragseite her dramatisch ansteigen müssen, was die energieintensiven Branchen auf die Barrikaden oder ins Ausland treiben wird. Die stark erhöhten Kosten werden im Wesentlichen bei den privaten Haushalten hängen bleiben. Nicht zu vergessen sind auch die einschneidenden Verbrauchsregulierungen bei Geräten oder gar die mengenmässige Rationierung des Stromverbrauches. Die so eingesparten Kilowattstunden könnten extrem teuer werden und so direkt unseren Wohlstand reduzieren! Die 2000-Watt-Gesellschaft ist nur durch diktatorische Massnahmen und empfindliche Wohlstandseinbussen realisierbar.
Können sich nur reiche Staaten wie die Schweiz und Deutschland eine Energiewende leisten?
Die Schweiz und Deutschland sind die einzigen Länder, die neu den Ausstieg aus der Kernenergie zumindest in Aussicht gestellt haben. Alle anderen 29 Staaten mit Kernenergie im Portfolio wollen an dieser Technologie festhalten oder sie gar ausbauen. Neue Länderstandorte sind in Planung. Im Vergleich zu Deutschland ist unsere Abhängigkeit von der Kernenergie etwa doppelt so gross. Zudem haben wir keine Kohle und erst noch schlechtere Bedingungen bezüglich Windenergie. Wenn nun die Deutschen mit ihrer Wende bereits gewaltige Probleme haben, so lässt sich daraus ableiten, dass es in der Schweiz noch viel schwieriger wird. Deshalb bin ich nach wir vor der Meinung, dass die Kernenergie-Option früher oder später wieder auf den Tisch kommen wird.
Welcher erneuerbaren Energie schreiben Sie am meisten Potential zu?
Das ist schwer abzuschätzen und sollte deshalb nicht staatlich geplant, sondern auf der Basis staatlicher Grundlagenforschung dem Markt bzw. den Investoren überlassen werden. Dabei ist offen, ob sich die Kernenergie in Zukunft nicht auch in den Kreis der Erneuerbaren einzureihen vermag (Fusion statt Fission). Klar ist, dass in der Schweiz der Ausbau von Hydro-Elektrizität begrenzt ist und die Chancen von Photovoltaik und Wind, aufgrund der geografischen Lage und des hohen Platzbedarfes, bestenfalls Nischen bleiben. Hinzu kommt eben, dass sich zwischen physikalisch-technologischen Potenzialen und ökonomisch-politisch realisierbaren Projekten eine Differenz von Faktor drei bis vier auftut. Der Einstieg in die Kernenergie erfolgte ja gerade wegen der ökologischen Widerstände gegen einen Vollausbau der Wasserkraft in den Bergen. Dass diese sich heute wieder bemerkbar machen, ist aus meiner Sicht verständlich, ja sogar verdienstvoll.
Wie steht es um die Versorgungssicherheit im Jahr 2050?
Die Versorgungssicherheit ist für die relativ kleine und reiche Schweiz nicht so sehr das zentrale Problem, weil andere Staaten in fossile und atomare Grossanlagen investieren und uns gerne (zu hohen Preisen) beliefern werden. Allerdings setzt dies eine volle Integration in den liberalisierten europäischen Markt und hohe Investitionen in Verbundnetze voraus. Damit werden wir aber klimapolitisch wieder zu «free riders», denn Kohle, Öl und Gas werden in Europa noch lange die erste Geige spielen. Und wenn wir davon los kommen - also entkarbonisieren - wollen, müssen wir bei Heizung (Wärmepumpen) und Transport (Elektroautos) auf Strom umstellen. Ohne Kernkraft wird das vielleicht in der kleinen Schweiz dank Importen aufgehen, aber sicher nicht global. Aber das Klima verändert sich nun einmal global. Was wir machen, ist dabei vernachlässigbar.
Prof. Silvio Borner
Prof. em. Dr. Silvio Borner ist emeritierter Basler Ökonomieprofessor und leitet die WWZ Summer School for Law, Economics & Public Policy an der Universität Basel. Im März 2012 hat er mit weiteren Autoren die Publikation «Volkswirtschaftliche Auswirkungen der Energiestrategie 2050 des Bundesrates» herausgegeben, welche die Entscheidungsgrundlagen des Bundesrates einer kritischen Würdigung unterzieht, die Ergebnisse der ETH Zürich analysiert und die schweizerische Energiepolitik insgesamt evaluiert.
Quelle
Veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung der FFE