Energie und Wirtschaft – heute und morgen

Ansprache von Bundesrat Pascal Couchepin an der Generalversammlung der SVA vom 22. August 2000 in Bern

21. Aug. 2000

An der politischen Energiefront verspricht der Herbst in der Schweiz heiss zu werden. Die drei Vorlagen über Energie- und Umweltsteuern, über die in einem Monat abgestimmt wird, sind politisch sehr umstritten.
Der Bundesrat unterstützt die Grundnorm. Sie verwirklicht die politische Absicht, die ersten Schritte zu einer ökologischen Steuerreform einzuleiten. Zu dieser Vorkehrung ja zu sagen, heisst, die Mittel zu schaffen, um eine politische Vision umzusetzen, die den wirtschaftlichen Faktor Arbeit zu Lasten des Faktors Energie steuerlich entlastet. Trotz des verhältnismässig bescheidenen Ausmasses der Vorlage handelt es sich um einen wichtigen Entwicklungsschritt für unser Steuerwesen. Er darf mit dem Schritt verglichen werden, bei dem das proportionale Steuersystem seinerzeit im Sinn der sozialen Gerechtigkeit in ein progressives umgebaut wurde. Heute geht es darum, den Umweltgedanken einzubeziehen.
Wie Sie wissen ist der Bundesrat der Ansicht, dass die Grundnorm in einer Maximalhöhe von 2 Rappen und die Förderabgabe von 0,3 Rappen wichtig und nötig sind. Dies sowohl für die Umwelt und die Gesundheit, wie auch für den Unterhalt unserer Wasserkraftwerke und für die Förderung moderner Energietechnologien.

Konkret beherrschen zwei Sorgen die Diskussion über die energiepolitische Zukunft:

  1. die Angst, uns fehlten schon bald die nicht erneuerbaren, für uns vitalen Energien wie Erdöl, Gas, Uran und Kohle
  2. die Bedrohung der Menschheit durch die Gefahr einer weltweiten Klimaänderung in Folge der Nutzung fossiler Energien

Erlauben Sie mir, diesen Sorgen nachzugehen und darzulegen, warum ich trotz der oft geäusserten Ängste der weltweiten Energiezukunft mit grossem, kritischem Vertrauen entgegensehe.

"Mangel"? An Energie wird es uns nicht fehlen!

Die Auseinandersetzung um die Frage der Erschöpfung der Energieressourcen oder des Energiemangels geht von der Auffassung aus, die nationalen Volkswirtschaften verschleuderten die nicht erneuerbaren Energierohstoffe Erdöl, Gas, Uran und Kohle. Diese würden somit - mindestens im Massstab der Menschheitsgeschichte gesehen - rasch fehlen würden. Ich glaube nicht, dass dies der Fall ist, und dies selbst dann, wenn ich davon überzeugt bin, dass die Sparmassnahmen bei fossilen Energien nicht nur aus Umweltsicht wünschbar, sondern aus der Sicht des gesunden Menschenverstands auch unerlässlich sind. Die fossilen Energien entstanden in Prozessen, die Jahrmillionen dauerten. Chemisch sind es äusserst komplexe Stoffe. Sie einfach zum Heizen zu verbrennen, ist sicherlich ein Einsatz, der unter ihrer Eigenqualität steht. Die Menschheit handelt in dieser Sicht ein wenig wie der Besitzer von Stilmöbeln, der diese zum Heizen braucht und beschönigend sagt, er habe zu viele davon.
Diese Betrachtungen rechtfertigen die Sparpolitik bei den fossilen Energien. Doch sie geben nicht jenen recht, die behaupten, wir würden einer raschen Erschöpfung der Ressourcen entgegengehen. Nehmen wir das Beispiel Erdöl: 1973 wurde angegeben, die Reserven reichten noch für 30 Jahre. Heute, mehr als 25 Jahre später, wird zugegeben, die jetzt bekannten Erdölreserven reichten mindestens noch für 50 Jahre aus.

Was ist geschehen?

Der Markt hat rechtzeitig auf den drohenden Energiemangel reagiert. Das Erdöl wird im Wesentlichen in Regionen gewonnen, in denen die Produktionskosten durch den Marktpreis gedeckt sind. Wenn diese Vorkommen, wie in den 70er Jahren angenommen, versiegen, werden die Preise ansteigen, weil ein Angebotsrückgang erwartet wird. Der Preisanstieg wird die Industrie und die Haushalte veranlassen, Energie zu sparen. Dies führt zu einem Rückgang der Nachfrage. Der Nachweis dafür ist in der Schweiz erbracht worden. Die entsprechenden Anstrengungen der Industrie sind durchaus beispielhaft.
Gleichzeitig fördern hohe Marktpreise die Erschliessung bisher ungenutzter Vorkommen wie auch Investitionen in bessere Gewinnungstechniken und Alternativenergien. Dies mildert das Problem der Ressourcenerschöpfung weiter. Klar gesagt: Eine allgemeine Energieknappheit wird nicht morgen eintreten. Selbst im 21. Jahrhundert wird es uns nicht an Energie fehlen. Allerdings ist eine aktive Politik unerlässlich, um auf die Klimaherausforderung zu antworten und für die Qualität der fossilen Energien mehr Achtung zu zeigen. Ich bin bereits darauf eingetreten.

Klima: Internationale Anstrengungen sind zu leisten.

Das Problem der fossilen Energien besteht nicht in der vorgegebenen Endlichkeit dieser Ressource, sondern in der Umweltbelastung bei ihrer Nutzung. Die Verbrennung von Erdöl, Gas und Kohle zur Energieerzeugung führt zu lokalen (Luftverschmutzung besonders in Form von Stickoxiden NOX) wie globalen (Treibhausgase, deren wichtigstes das Kohlendioxid CO2 ist) Folgen.
Die Aussage der Wissenschaftler ist klar. Der Treibhauseffekt geht vom Menschen aus und ändert das weltweite Klimasystem, so dass sich die Erde aufwärmt. Entschlossenes Handeln ist somit unumgänglich, um rechtzeitig Schäden und beträchtliche Kosten (zum Beispiel nach Dürreperioden Überschwemmungen, verlorene Ernten und Wanderbewegungen) zu vermeiden. Die Weltgemeinschaft hat die Gefahr erkannt und will koordiniert handeln: 1997 wurden im Kyoto-Protokoll zum ersten Mal bindende Ziele festgesetzt, um die Treibhausgase zu vermindern. Diese Ziele betreffen in einer ersten Runde nur die Industrieländer (OECD-Mitgliedstaaten, mittel- und osteuropäische Länder), die hauptsächlich für die Abgaben verantwortlich sind. Diese Länder müssen ihre Emissionen bis 2008-2012 im Mittel um 5% gegenüber dem Referenzwert von 1990 herabsetzen.
Dieses ehrgeizige Ziel ist nur zu erreichen, wenn die Wirkungsgrade deutlich verbessert und der Energiekonsum neu ausgerichtet wird. Die verlangte Herabsetzung der Treibhausgas-Abgaben wird auch Kosten verursachen.
Aus wirtschaftlicher Sicht muss die Umweltvereinbarung zu den tiefsten möglichen Kosten umgesetzt werden. Zu diesem Zweck umfasst das Protokoll internationale Instrumente, die "Flexibilitätsmechanismen". Sie ermöglichen es den Industriestaaten, gemäss dem Grundsatz der gemeinsamen Umsetzung ("Joint Implementation") gemeinschaftliche Klimaschutzprojekte ausserhalb ihrer Grenzen zu verwirklichen, wo die Treibhausgase zu den günstigsten Kosten vermindert werden können. Das Protokoll sieht im Weitern vor, Emissionsrechte auf globaler Ebene auszuhandeln. Modelle und Pilotversuche zeigen, dass internationale Klimaschutzprojekte und der Markt für Emissionsrechte es erlauben, die Kosten zur Einhaltung der Reduktionsziele um einen Drittel herabzusetzen.
Selbst wenn die Schweiz nur für kaum ein halbes Prozent der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich ist, muss auch unser Land seinen Beitrag zum weltweiten Schutz des Klimas leisten. Denn wenn die Abgaben pro Einwohner betrachtet werden, liegen unsere sechs Jahrestonnen deutlich über den zwei Jahrestonnen CO2, welche die Wissenschaftler für ökologisch verträglich halten.
Die Schweiz beabsichtigt, das Kioto-Protokoll zu ratifizieren und auf nationaler Ebene mit dem Bundesgesetz über Reduktion der CO2-Emissionen umzusetzen. Mit diesem modernen Gesetz, das vor allem auf freiwillig eingegangene Massnahmen abstellt und eine CO2-Steuer nur als "ultima ratio" vorsieht, ist unser Land in der Klimapolitik auf dem rechten Weg.
Das Gesetz sieht auch den Rückgriff auf die Instrumente der "Joint Implementation" und des Handels mit Emissionsrechten vor, die allerdings nur eine Ergänzung der auf nationaler Ebene getroffenen Massnahmen darstellen. Denn ohne nationales Handeln besteht kein Anreiz, umweltfreundliche Technologien weiter zu erforschen und zu entwickeln. Auf diesem Gebiet stehen die schweizerische Wirtschaft und Forschung dank fortschrittlicher Umweltnormen mit an der Weltspitze.

Zukunftsenergien: Die Marktmechanismen spielen bereits.

Langfristig werden die international koordinierten Klimaschutzmassnahmen und die hohen Ausbeutungskosten der neuen Erdölquellen die Preise der fossilen Energie ansteigen lassen. Dies wird den Reiz des Erdöls verblassen lassen und die Umorientierung des Konsums auf erneuerbare Energien fördern. Es besteht auch Anlass zur Hoffnung, dass die Bewusstmachung der zivilisatorischen Verschwendung, die der Einsatz fossiler Energien zur Verbrennung darstellt, zu dieser Umorientierung beitragen wird.
Kommerziell gesehen werden die Alternativenergien im 21. Jahrhundert an Bedeutung gewinnen. Die Wirtschaft hat den Trend in Richtung "Entkohlenstoffung" der Energiesysteme verstanden. Entsprechend hat sie die Forschung auf dem Gebiet der erneuerbaren Energien verstärkt.
Die grossen Energieunternehmen wie BP Amoco oder Royal Dutch/Shell erklären, sie wollten seit Jahren Hunderte von Millionen Franken in die Forschung und Entwicklung von Alternativenergien investieren. Die Firma Daimler-Chrysler und andere Autohersteller arbeiten an der Entwicklung von Fahrzeugen mit Brennstoffzellen-Antrieb. Diese Technologie bietet im Vergleich zum herkömmlichen Benzinmotor beim Wirkungsgrad und Umweltschutz sichere Vorteile. Daimler-Chrysler beabsichtigt, bereits 2004 konkurrenzfähige Serienmodelle mit dieser Antriebstechnik auf den Markt zu bringen.
Welches Potenzial haben Alternativenergien? Der Weltenergierat sieht in einer eher vorsichtigen Abschätzung voraus, dass am Ende des 21. Jahrhunderts die erneuerbaren Energien über 30% des weltweiten Bedarfs decken werden. Heute sind es 17%. Der Anteil der fossilen Energien wird von heute 75% auf unter 50% zurückfallen.
In diesem Szenario kommt der Kernenergie eine wichtige Rolle zu, da sie aus Klimasicht unzweifelhafte Vorteile aufweist. Diese Technologie könnte an Popularität zurückgewinnen, falls für die Entsorgung der Abfälle eine die Mehrheit in der Schweiz überzeugende Lösung gefunden wird.

Welche erneuerbaren Energien haben auf dem Markt die grössten Chancen?

Die Wasserkraft ist bereits dafür gewappnet, sich der Konkurrenz zu stellen. Wir dürfen nicht vergessen, dass unser Land mit der Wasserkraft schon lange über eine wichtige und bewährte erneuerbare Energie verfügt. Ihr Anteil an der schweizerischen Energieversorgung erreicht rund 12%. Die Schweiz darf sich nicht ohne Stolz zu den Pionieren bei den erneuerbaren Energien zählen. Ich bin davon überzeugt, dass unsere Wasserkraft selbst in einem liberalisierten Umfeld gute Chancen hat. Dies trifft um so eher zu, als das Gesetz bei Ablauf der Nutzungsrechte die kostenlose Übergabe der benetzten Teile von Talsperren und Dämmen an die Konzessionsbehörden vorsieht. Zu diesem Zeitpunkt wird die wirtschaftliche Lage der Betreiber hervorragend sein. Bei der Wasserkraft machen die beim Bau der Sperren und Dämme eingegangenen Finanzierungsverpflichtungen die Hauptkosten aus. Wenn die Sperren und Dämme vom neuen Betreiber kostenlos erworben werden, fallen die Grenzkosten der Stromerzeugung auf sehr tiefe Werte.
Die Erneuerung der Wasserkraftanlagen wird nach dem Rückfall der Konzessionen leicht sein und keine Probleme stellen. Dagegen könnten in der Anfangsphase der Marktöffnung bestimmte heutige Betreiber in finanzielle Schwierigkeiten geraten. Die meisten haben allerdings Rückstellungen vorgenommen, die es ihnen ermöglichen werden, diese Probleme zu bewältigen. Auf der anderen Seite sollte ihnen der vom Bundesrat vorgeschlagene moderate Öffnungsrhythmus genügend Anpassungszeit geben. Heute besteht die wirkliche Gefahr darin, dass der Öffnungsrhythmus politisch gebremst wird. Die Folge wäre eine wilde Marktöffnung unter dem Druck der wirtschaftlichen Realitäten und der internationalen Konkurrenz. In diesem Fall bestünde das Regelwerk einzig in den Bestimmungen des Kartellrechts. Im Interesse aller ist zu hoffen, dass das Gesetz rasch einen berechenbaren Rahmen für die Marktöffnung absteckt. Dies ist nicht nur für die Konkurrenzfähigkeit der Industrie und der anderen Energiekonsumenten nötig, sondern auch für die Branche selbst. Wir alle sehen voraus, dass die Marktöffnung entsprechend dem Beispiel der Vorgänge auf dem Telekommunikationsmarkt die Innovationskraft und Kreativität der künftigen Unternehmer und Händler beflügeln wird.

Windenergie- und Biomassen-Kraftwerke sind auf dem Weg zur Marktreife. Für die Schweiz ist die Biomasse interessant. Sie wird bereits heute in kleinen Marktsegmenten für die Wärmeerzeugung genutzt. In Zukunft können auch Holz und Pflanzen einen grösseren Beitrag zur Strom- und Brennstofferzeugung liefern. Einige stellen sich sogar vor - und die Annahme ist nicht abwegig -, dass die Erzeugung von Brennstoff aus Pflanzenanbau in Zukunft eine glaubwürdige Möglichkeit mit Sicherheit nicht nur in Bezug auf die Umwelt, sondern auch die Wirtschaftlichkeit sein wird.
Schliesslich werden sich schon bald auch Fotovoltaikzellen und Wasserstoff einen Platz auf dem Energiemarkt erobern. Dies ist übrigens das Tandem, das sich langfristig eines der grössten Potenziale ausrechnen kann. Zu einem grossen Teil gibt es die nötigen Technologien bereits. Aber sie sind noch nicht bereit, auf dem Markt zu bestehen.

Zukunftsperspektiven und Schlussfolgerung

Zusammengefasst erscheint mir die Zukunft der Energiepolitik nicht so düster, wie sie oft gezeichnet wird. Die Angst vor einem Energiemangel ist unbegründet.
Der Markt ist in der Lage, rechtzeitig auf einen drohenden Mangel zu reagieren. Hingegen ruft die Umweltschutzpolitik nach politischen Antworten. Die Weltgemeinschaft hat die Gefahr einer Klimaänderung bereits erkannt. Sie gibt an, für koordiniertes Handeln auf der nationalen wie der internationalen Ebene bereit zu sein. Aber auf Erklärungen folgt nicht immer Handeln, dies besonders bei den grössten Energieverbrauchern, darunter den Vereinigten Staaten. Früher oder später müssen international koordinierte Massnahmen auch die Abschaffung der Förderung der die Umwelt verschmutzenden Energien und die ökologische Reform der Steuersysteme vorsehen. Die Wirtschaft beginnt, den Respekt vor der Umwelt in die Energienutzung einzubeziehen. Ich meine, die Schweiz sei in dieser Hinsicht einmal mehr vorbildlich. Der Markt funktioniert.
Die Kreativität und der Erfindungsreichtum des Menschen werden dafür sorgen, dass wir auch in Zukunft in ausreichender Menge über umweltfreundliche Energieformen verfügen werden. Aber dieser Vertrauensakt in den Markt darf für die Staaten keine Einladung sein, ihre Rolle zu vernachlässigen. Die Staaten müssen zur Bildung des Problembewusstseins beitragen. Sie müssen den Übergang fördern, indem sie Umweltnormen erlassen, die greifen. Sie müssen marktkonforme Anreize entwickeln. Sie müssen die Grundlagenforschung an den staatlichen Bildungsanstalten unterstützen.
Sie müssen Regeln bei der Marktöffnung festlegen, die der kreativen Konkurrenz unter den wirtschaftlichen Handlungsträgern mehr Chancen einräumen. Aber sie müssen auch vermeiden, die Marktmechanismen durch die Subvention bestimmter Tätigkeiten zu Lasten anderer Projekte zu stören.
Ja, ich beurteile die Energiezukunft unserer Gesellschaften zutiefst optimistisch. Ich bin optimistisch, weil ich die Leistungsfähigkeit der Märkte feststelle, aber auch, weil ich an die Einflussmöglichkeit des Staates glaube, Umweltschutzziele festzulegen und durchzusetzen.

(SVA-Übersetzung der schriftlich abgegebenen französischen Fassung. Es gilt das gesprochene Wort, das davon teilweise abweicht.)

Quelle

Bundesrat Pascal Couchepin

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