Chinas Nuklearprogramm zielt auf Unabhängigkeit
China hat sein Programm zur friedlichen Nutzung der Kernenergie stark vorangetrieben und die weltweit am schnellsten wachsende kommerzielle Nuklearindustrie geschaffen. Das verhalf dem Land zu einer Spitzenposition in Konstruktion, Forschung und Auslegung. Dies sowie der Wille des Landes, der internationalen Kernenergie-Community anzugehören, machen China bereit für eine führende Rolle im Kernanlagenbau und in der Kerntechnik. Zu diesen Schlüssen kam William Fork, Anwalt für Energieprojekte und -infrastruktur der Kanzlei Pillsbury, in seiner Rede im Rahmen des «Princeton-Harvard China and the World Program» an der amerikanischen Princeton University. Im folgenden Interview mit der internationalen Kernenergie-Nachrichtenagentur NucNet legen Fork und sein Kollege Li Zhang die wesentlichen Trends des chinesischen Kernenergieprogrammes dar.
Von allen Kernenergie-Neubauprojekten der Welt laufen die meisten in China. 28 Blöcke sind entweder im Bau oder haben ihre Baubewilligung erhalten. In welchem Verhältnis stehen diese Zahlen?
Fork: In den USA sind 104 Blöcke in Betrieb. Sie produzieren ungefähr 100 GW Strom und decken etwa 20% des amerikanischen Elektrizitätsbedarfs. In China sind aktuell 13 Blöcke mit zusammen rund 11 GW am Netz, die knapp 2% des Strombedarfs decken. Vor dem Hintergrund von Chinas zahlreichen Neubauprojekten im Nuklearbereich sagen Experten voraus, dass die Kernkraftwerkskapazität 2015 auf 40 GW steigen wird.
Ausserdem ist Chinas Ziel für 2015 im Vergleich zum ursprünglichen Plan um fünf Jahre vorverschoben worden … Es wird erwartet, dass die chinesischen Kernkraftwerksbetreiber im Jahr 2020 über 70 GW verfügen und somit rund 5% der Stromerzeugungskapazität des Landes stellen werden. Wenn alles nach Plan läuft, wird die nukleare Stromproduktion Chinas bis 2020 diejenige aller Länder bis auf die USA übertreffen.
Wie will die Regierung dieses Wachstum im Nuklearsektor erreichen?
Fork: Die staatlichen Kernenergiefirmen übernehmen die Führung. Die China National Nuclear Corporation (CNNC) ist das grösste der drei bedeutendsten Unternehmen. Daneben entwickeln sich die China Guangdong Nuclear Power Corporation und die China Power Investment Corporation zu wichtigen Akteuren. Die Planung wird von der National Development and Reform Commission und der National Energy Administration koordiniert, während die National Nuclear Safety Administration für die Sicherheitsvorschriften zuständig ist. Heute wird rund die Hälfte der neusten Reaktoren und der restlichen Ausrüstung von ausländischen Herstellern nach China geliefert. Mit der Ausweitung seines «nuklearen Fussabdruckes» will China auch die inländische Produktion von Kernanlagen und Ausrüstung vorantreiben und bei der Auslegung und dem Projektmanagement selbstständig werden.
Chinas Wirtschaftswachstum belastet seine Energieinfrastruktur erheblich. Warum setzt China für seine Stromversorgung auf die Kernenergie?
Zhang: In Erdöläquivalenten gemessen hat China 2009 die USA als grössten Energieverbraucher abgelöst. Der Grossteil des chinesischen Stromes stammt aus Kohlekraftwerken, dahinter folgt auf dem abgeschlagenen zweiten Platz die Wasserkraft. Die Auswirkungen von Verschmutzungen auf Umwelt und Gesundheit führten zu einem Erlass der Regierung, wonach 15% der Energie aus nicht-fossilen Quellen stammen sollen. Die friedliche und sichere Nutzung der Kernenergie passt in diesen Energiemix.
Hat China neben der Bereitstellung sauberer Energie noch andere Ziele für sein Nuklearprogramm?
Fork: Primärziel ist sicherlich die Produktion von sauberem und kostengünstigem Strom für die 1,3 Milliarden Einwohner Chinas. Daneben will das Land aber auch Kernenergietechnologie für den Export entwickeln. Chinas State Nuclear Power Technology Corporation (SNPTC) ist der Zweig für Technologieentwicklung und verantwortlich für die Koordination von Forschungsprojekten sowie für die Entwicklung von proprietären Reaktoren und Prozessen, die schlussendlich für Dritte lizenziert werden. Neben weiteren Projekten entwickelt die SNPTC den CAP1400, einen 1400-Megawatt-Reaktor der fortgeschrittenen dritten Generation, der auf dem AP1000 von Westinghouse basiert. Er soll ab 2017 kommerziell genutzt werden. Die CNNC plant, bis 2020 Investitionen von mehr als 100 Milliarden Dollar [CHF 84 Mrd.] in die Entwicklung der Infrastruktur der Nuklearindustrie zu stecken. Letztes Jahr gab sie ihre Pläne für die Errichtung einer Kernenergiebasis namens Haiyan Nuclear City bekannt, rund 100 km südwestlich von Schanghai, sowie für einen ganzen Kerntechnologie-Park in Peking, welcher der Forschung und Entwicklung dienen soll.
Zhang: Zwei in China entwickelte Reaktortypen haben in der weltweiten Nuklearindustrie für Aufsehen gesorgt. Einer davon ist der Chinese Experimental Fast Reactor (CEFR), ein Schneller Reaktor mit einer Leistung von 20 MW, der als russisch-chinesische Kooperation am China Institute of Atomic Energy bei Peking gebaut wird. Das Vorprojekt und die Planung von zwei kommerziellen natriumgekühlten Schnellen Reaktoren begannen 2009. Der Baubeginn ist auf August 2011 angesetzt.
Der zweite Reaktortyp ist das High Temperature Reactor-Pebble Bed Module (HTR-PM), ein Hochtemperatur-Kugelhaufenreaktor, der auf dem 10-Megawatt-Forschungsreaktor HTR-10 der Tsinghua-Universität in Peking basiert. Den Bau des HTR-PM planen die China Huaneng Group (CHNG), die CNNC und die Tsinghua-Universität gemeinsam.
Wie geht China mit dem Thema Brennstoffversorgung um?
Fork: China strebt den Zugang zum internationalen Brennstoffmarkt an, um den steigenden Bedarf zu decken, und sucht nach Möglichkeiten der Brennstoffproduktion. Weiter zieht China Wiederaufarbeitungstechnologien in Betracht. Die CNNC berichtet, dass sie mindestens ein Jahrzehnt von der kommerziellen Kernbrennstoff-Wiederaufbereitung im grossen Rahmen entfernt ist.
Chinas Erfahrung beim Bau, seine Möglichkeiten bei der wettbewerbsfähigen Finanzierung und Preisgestaltung im Bau- und Ingenieurswesen sowie die Fortschritte des Landes bei der Reaktortechnologie scheinen grosse Vorteile auf seinem Weg zum wichtigen Akteur der nuklearen Community zu sein. Was braucht es sonst noch, damit China seine Exportchancen erhöhen kann?
Zhang: Ein starkes Engagement bei der Sicherheit gehört zum Standard für Länder, die Expertise und Technologie exportieren wollen. 2010 ergab ein Bericht des Regulatory Review Service IRRS der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO), dass China sich stark für die nukleare Sicherheit engagiert und dass es bei der Entwicklung seiner gesetzlichen Rahmenbedingungen die Sicherheitsstandards der IAEO anwendet. Der internationalen Kernenergie-Community beizutreten und ihre Normen einzuhalten, ist ebenfalls entscheidend. China hat 1992 das Nonproliferations-Abkommen ratifiziert und ist 1997 dem Zangger-Komitee beigetreten. 2004 trat es der Nuclear Suppliers Group (NSG) bei, deren Mitglieder sich auf die Koordination ihrer Exportkontrollen für Nuklearmaterial verpflichten und freiwillig ihre eigenen Export-Richtlinien geschaffen haben und sie durchsetzen. Die chinesischen Exportkontrollbestimmungen widerspiegeln weitgehend die herrschenden internationalen Normen und Verfahren, für welche sich die NSG einsetzt.
Wie sieht es mit gesetzlichen und politischen Richtlinien bezüglich der Kernenergiehaftung aus?
Fork: China setzt die Obergrenze für die Haftung der Betreiber auf 300 Millionen chinesische Yuan [knapp CHF 40 Mio.] mit einer Staatsgarantie von bis zu 800 Millionen Yuan. Es wurden Bedenken laut über die Durchsetzbarkeit dieses Erlasses, seine Haftungsgrenzen und das Fehlen eines umfassenden Kernenergiehaftpflichtgesetzes, das die international anerkannten Prinzipien zur Kompensation im Falle eines Nuklearunfalles mit einbezieht.
Hintergrund
William Fork und Li Zhang sind Mitglieder der Pillsbury Law's Energy Infrastructure and Projects Practice, die Kunden bei Projekten in mehr als 75 Ländern beratet. Pillsbury unterstützt mehrere Länder bei den gesetzlichen Aspekten nuklearer Neubauprogramme.
Quelle
NucNet, Insider No 3, 29. April 2011