Besichtigung des Wendelstein 7-X

In Mecklenburg-Vorpommern wird 2014 eines der grössten Forschungsprojekte in Betrieb gehen: der Fusionsreaktor Wendelstein 7-X. Einem Redaktionsmitglied des Bulletins bot sich Ende März 2012 die Möglichkeit, das Max-Planck-Institut für Plasmaphysik (IPP) in Greifswald und die dort im Bau stehende Fusionsanlage vom Typ Stellarator – der grössten ihrer Art – zu besichtigen.

23. Juli 2012
Blick auf die Aussenhülle des Stellerators Wendelstein 7-X Ende März 2012.
Blick auf die Aussenhülle des Stellerators Wendelstein 7-X Ende März 2012.
Quelle: Nuklearforum Schweiz

Der Wind treibt die Wolken zum Greifen nah über die Dächer von Greifswald. Mit dem Auto von Norden her kommend führt eine halbkreisförmige Umgehungsstrasse die Besucher direkt zum IPP, das am südlichen Ende der Universitäts- und Hansestadt liegt. Die ländliche Umgebung lässt kaum darauf schliessen, dass hier in den nächsten Jahren neue Erkenntnisse für die Fusionsforschung gewonnen werden sollen. Ein Blick in die Demographie lässt jedoch erkennen, dass sich Greifswald als attraktiver Standort für Lehre und Forschung zu präsentieren weiss: ein Viertel der 60'000 Einwohner ist zwischen 18 und 30 Jahre alt. In der Stadt sind etwa 70 Institute, Zentren und Forschungseinrichtungen ansässig. Keine grosse Überraschung, dass ein Drittel der Greifswalder in Forschung, Entwicklung und Hochschulbildung tätig ist.

Dank des wellenförmigen Daches ist das Hauptgebäude des IPP einfach zu erkennen. Das Modell einer für den Wendelstein 7-X charakteristischen, modularen Spule neben dem Institutseingang bringt dem Besucher Gewissheit, am richtigen Ort zu sein. Rund 500 Forschende und Techniker sind hier beschäftigt. In Empfang genommen wird der Autor von Antje Lorenz, Mitarbeiterin in der Öffentlichkeitsarbeit und Verantwortliche für den Besucherservice im IPP Greifswald. Lorenz erklärt, dass täglich Besucher durch das Institut geführt werden. Die Besucherführer passen dabei den Inhalt den Bedürfnissen an, denn die Besucherpalette reicht von Schulklassen über Politiker und Ingenieure bis zu Rentnergruppen. Bei der Bevölkerung auf grosses Interesse stiess der Tag der offenen Tür vor zwei Jahren, führt Lorenz weiter aus. Das Institut engagiere sich zudem seit zehn Jahren bewusst auch kulturell und unterhalte eine Galerie, in der bisher 60 Ausstellungen gezeigt wurden. Bevor wir die Halle betreten, in dem das Fusionsexperiment Wendelstein 7-X aufgebaut wird, geleitet uns Lorenz zu einem Vorlesungssaal in den oberen Stockwerken des Hauptgebäudes, wo uns Ralf Kleiber, Physiker und Astronom, einen Überblick über die Entwicklung, Herausforderungen und Möglichkeiten des Fusionsprojekts gibt.

Ein Blick zurück

Erste Versuche, durch die kontrollierte Verschmelzung von Atomkernen Energie zu gewinnen, wurden bereits Mitte des letzten Jahrhunderts unternommen. Federführend waren damals Grossbritannien, Russland und die USA. In dieser Zeit wurden auch die beiden heute noch weiterverfolgten Fusionsreaktortypen mit Magneteinschluss erfunden: der Tokamak und der Stellarator. Bei beiden halten Magnetfelder das Plasma im Innern eines ring- oder torusförmigen Gefässes in der Schwebe. Um das Plasma stabil im Gleichgewicht zu halten und Ansammlungen elektrisch geladener Teilchen (Elektronen und Ionen) vorzubeugen, müssen die Magnetfeldlinien entlang des Torus zusätzlich verdrillt werden. Beim Tokamak wird dieses Problem damit gelöst, dass mit einem Transformator von aussen im Plasmaring ein Strom erzeugt wird, der zu einem inneren Magnetfeld führt. Das bedingt jedoch, dass der Strom im Transformator und damit das innere Magnetfeld ständig seine Richtung wechseln muss. Ein Tokamak arbeitet deshalb im Pulsbetrieb, erklärt Kleiber.

Vom klassischen zum optimierten Stellarator

Im Stellarator dagegen erfolgt die Verdrillung der Feldlinien einzig von aussen. Spiralförmige, sogenannte helikale Spulen, erzeugen zusammen mit ebenen Hauptfeldspulen das passende, wenn auch komplexere Magnetfeld. Diese Anordnung ermöglicht den stationären Betrieb und ist gut kontrollierbar, führt Kleiber weiter aus. Ein Nachteil bei diesem klassischen Stellarator seien jedoch unter anderem die verschachtelten Spulen und die geringe Flexibilität. Abhilfe schafft ein modulares Spulensystem, mit dem kompliziert geformte Spulen ein torusförmiges Feld und gleichzeitig dessen Verdrillung erzeugen. Diese für den Wendelstein-Fusionsreaktor typischen modularen Spulen sind das Ergebnis mehrerer Optimierungsschritte. Für die Auslegung designten die Forscher zuerst das Plasma im Innern der Anlage und leiteten in einem zweiten Schritt die nötige Spulenform ab. Der Fusionsreaktor in Greifswald wird deshalb auch optimierter Stellarator genannt.

Wir machen uns auf den Weg zur Torushalle, wo die IPP-Wissenschafter den Dauerbetrieb des Wendelstein 7-X nachweisen wollen. Unterwegs passieren wir Labore und Werkstätten. Auf Plakaten erfährt der Besucher mehr über die hinter Absperrungen liegenden Messeinrichtungen. Der Weg führt weiter in die Eingangshalle, wo Anlagenteile von externen Lieferanten angenommen werden. Ein mit einer massiven Betonwand verschliessbarer Durchgang zu einer nebenstehenden Halle steht offen. Dahinter ist der Wendelstein 7-X zu erkennen. Wir treten in die Halle ein. Vor uns liegt ein 4,5 m hoher Torus mit einem Durchmesser von 16 m. Wir sehen «nur» noch das Aussengefäss. In seinem Innern sind die 50 nichtplanaren und 20 planaren Spulen untergebracht, die wiederum das Plasmagefäss umschliessen. Aber von diesen Elementen ist nicht mehr viel zu erkennen, seit im November 2011 das letzte der fünf Module auf das Maschinenfundament gesetzt worden ist. Kleiber deutet auf eine der 254 Öffnungen hin, durch die das Plasmagefäss noch auszumachen ist. Durch diese Öffnungen werden in den kommenden Monaten vakuumdichte Stutzen montiert. Bei drei der fünf Module wurden diese Arbeiten bereits im November 2011 durchgeführt.

Hohe Anforderungen

Die Öffnungen, sogenannte Ports, dienen unter anderem zum Abpumpen von Verunreinigungen, zum Heizen des Plasmas und zur Wasserstoffversorgung, erklärt Kleiber weiter. Etwa die Hälfte der Ports benötigen die Forscher jedoch zur Beobachtung des Plasmas. Da sich das Plasmagefäss während des Betriebs verformen wird, werden die Stutzen am Aussengefäss über bewegliche Bälge befestigt.

Die Montage stellt an die Erbauer grosse Herausforderungen. Ein Stutzen kann bis zu einer Tonne wiegen und muss millimetergenau justiert und verschweisst werden. Dazu entwickelten die Techniker eine hochgenaue Justiereinrichtung. Ein Lasersystem hilft bei der anspruchsvollen Positionierung. An den Hallenwänden sind zu diesem Zweck kleine Spiegel angebracht.

Die Forscher gehen davon aus, den Betrieb von Wendelstein 7-X 2014 aufnehmen zu können. Nach einer mehrjährigen Experimentierphase soll der eingebaute Testdivertor durch einen hochbelastbaren ersetzt werden, damit schliesslich das Hauptziel des Wendelstein 7-X in Angriff genommen werden kann – der Nachweis des Dauerbetriebs.

Quelle

M.B.

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