Belgiens Beitrag zur globalen Versorgung mit Radioisotopen – heute und morgen
Der belgische Forschungsreaktor BR2 ist ein wichtiger Grundpfeiler für die globale Versorgung der für die Nuklearmedizin ausserordentlich wichtigen Radioisotope. Professor Eric van Walle, Generaldirektor des Centre d'étude de l'énergie nucléaire SCK•CEN, erläutert im Gespräch mit dem Nuklearforum Schweiz, welchen Herausforderungen der Betrieb des BR2 gegenüber steht und wie Belgien langfristig seinen Beitrag zur globalen Versorgung mit Radioisotopen leisten will.
Der Forschungsreaktor BR2 am belgischen SCK•CEN ist wegen der Produktion des Radioisotops Molybdän-99 (Mo-99) von zentraler Bedeutung für die Medizin. Mo-99 dient als Ausgangsisotop für das in der Nuklearmedizin wichtige Tochterisotop Technetium-99-m (Tc-99-m). Der BR2 ist einer von fünf Forschungsreaktoren weltweit, die den grössten Teil des global benötigten Mo-99 herstellen. Im Jahr 2013 hat der BR2 eine Betriebsdauer von 50 Jahren erreicht. Wie sieht seine Zukunft aus?
Eric van Walle: Der Forschungsreaktor BR2 entspricht den höchsten gegenwärtigen Sicherheits- und Betriebsnormen, was sich in seinem äusserst zuverlässigen Betrieb zeigt. Der Reaktor wird in naher Zukunft – im Einklang mit den vorherigen fortlaufenden Verbesserungsmassnahmen gemäss den strengsten Normen – nachgerüstet. Die Modernisierung ist Teil unserer Bemühungen zur Vorbereitung auf die nächste zu lizenzierende Betriebsdauer von 2016 bis 2026.
Temporäre Stillstände für ungeplante Reparaturarbeiten und Instandhaltung in einigen der für die Medizin eminent wichtigen Forschungsreaktoren haben gezeigt, dass eine verlässliche Produktion von Radioisotopen aufrechterhalten werden muss. Wie hat das SCK•CEN auf den Versorgungsengpass bei Radioisotopen reagiert?
Das SCK•CEN hat die Produktionskapazität des BR2 um 50% und auch die Anzahl der Betriebstage erhöht, um den Versorgungsengpass möglichst zu mildern. Dennoch betreiben wir den BR2 maximal 150 Tage im Jahr, damit ausreichend Zeit für Instandhaltungsarbeiten und Sicherheitskontrollen bleibt.
Was ist Ihrer Meinung nach nötig, um langfristig die Versorgungssicherheit mit Radioisotopen in Europa und weltweit zu gewährleisten?
Es braucht ein geeignetes Netzwerk verlässlicher, effizienter und leistungsfähiger Reaktoren, das gut koordiniert ist, um den Bedarf ausgewogen zu decken. Die Produktionszyklen müssen über genügend Reserve-Betriebskapazitäten verfügen, um bei unvorhergesehenen Ereignissen eingreifen zu können. Nur so kann eine sofortige Versorgung mit den kurzlebigen Radioisotopen zu jeder Zeit gewährleistet werden.
Gemäss der Kernenergieagentur (NEA) der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) haben alle wichtigen Lieferanten von Radioisotopen bestätigt, dass sie aus Non-Proliferations-Gründen die Radioisotopenproduktion von Targets aus hoch angereichertem Uran (HEU) auf solche mit schwach angereichertem Uran (LEU) umrüsten werden. Wo steht Belgien in diesem Prozess?
Das SCK•CEN beteiligt sich an einigen Forschungs- und Entwicklungs- sowie Qualifikationsprogrammen zur Entwicklung von LEU-Targets. Wir rechnen damit, im Jahr 2015 über ein zertifiziertes LEU-Target zu verfügen und werden solche Targets langfristig in der Praxis optimieren.
Welche Auswirkungen hat die Nutzung von LEU- anstelle von HEU-Targets für einen Produktionsbetrieb?
Der Einsatz von LEU-Targets reduziert die Produktionsausbeute, da mehr Targets bestrahlt und verarbeitet werden müssen, um die gleiche Menge an Radioisotopen herzustellen. Dies führt zu einer Erhöhung der eigentlichen Produktionskosten, insbesondere durch die höhere Radiotoxizität des Abfalls, der bei der Verwendung von LEU-Targets entsteht.
Ihre Kollegen in den Niederlanden führen gegenwärtig Tests mit LEU-Targets am Hochflussreaktor HFR des European Union Joint Research Centre (JRC) in Petten durch. Gemäss einer Medienmitteilung vom August 2012 rechnet die Nuclear Research and Consultancy Group BV (NRG) damit, Ende 2015 auf LEU-Targets umzurüsten. Wie sieht der Zeitplan in Belgien aus?
Im Jahr 2015 sollen auch in Belgien LEU-Targets umfassend eingeführt werden. Das SCK•CEN beteiligt sich am Entwicklungs- und am Zertifizierungsprozess von LEU-Targets der niederländischen NRG. Diese Targets werden im BR2 in Belgien bestrahlt. Ähnliche Projekte werden auch am belgischen Institut national des radioéléments (IRE) durchgeführt.
Die NEA befasst sich zudem mit der Frage, ob die Produktion von Radioisotopen mit LEU-Targets immer noch wirtschaftlich rentabel ist. Wie sieht dies das SCK•CEN als betroffene Lieferantin?
Das LEU-Target ist kein entscheidender Faktor im Produktionsprozess von Radioisotopen und als solches kein ausschlaggebender wirtschaftlicher Faktor in der Herstellungskette.
Das SCK•CEN arbeitet ebenfalls am beschleunigergesteuerten Forschungsreaktor Myrrha. Was ist der Hauptverwendungszeck dieses neuen Reaktortyps?
Der Forschungsreaktor Myrrha (Multipurpose Hybrid Research Reactor for High-technology Applications) ist ein multidisziplinärer Forschungsreaktor – wie der BR2. Sein Einsatz umfasst die Transmutationsforschung, die Kernspaltung- und Fusionsmaterialforschung, sowie nukleare Grundlagenforschung. Zudem dient er der Herstellung von Radioisotopen und dotiertem Silizium.
Wann rechnen Sie mit der Betriebsaufnahme?
Die vollständige Betriebsaufnahme des Forschungsreaktors Myrrha ist für 2024 geplant. Davor liegt eine Einlaufzeit zwischen 2022 und 2024.
Welche Herausforderungen hat das Myrrha-Projekt vor der Betriebsaufnahme noch zu meistern?
Für das Myrrha-Projekt steht als erstes die Gründung eines geeigneten Konsortiums für die Finanzierung und die Leitung auf dem Programm. Später werden der Bau und die Lizenzierung des Reaktors im Budget- und Zeitrahmen entscheidend sein. Andere wichtige Programmpunkte für das SCK•CEN sind der Matrixwechsel beim BR2, die Lizenzierung des BR2 für die Jahre 2016 bis 2026 und die weitere Entwicklung der medizinischen Verwendung von Radioisotopen in einer nuklearen Umgebung.
Prof. Eric van Walle
Prof. Eric van Walle promovierte 1985 in Nuklearphysik an der Katholieke Universiteit Leuven in Belgien. 1989 stiess er zum SCK•CEN und übernahm 1998 die Leitung der Abteilung Reactor Materials Research. Seit 2001 arbeitet er zudem als Teilzeit-Professor an der Faculty of Applied Science of the Katholieke Universiteit Leuven und unterrichtet im Belgian Nuclear Higher Education Network. Seit 2006 ist er Generaldirektor des SCK•CEN.
Quelle
Das Interview führte Max Brugger