Auswirkungen von Reaktorunfällen auf Tierreich geringer als angenommen
Die Radioaktivität aus den Kernkraftwerksunfällen von Tschernobyl und Fukushima-Daiichi dürften auf das Tierreich weniger Einfluss haben, als bisher angenommen. Zu dieser Einschätzung kommt Professor Jim Smith, University of Portsmouth, der zusammen mit Kollegen an der University of West England erstmals die Effekte ionisierender Strahlung auf die Vogelpopulation in der Umgebung von Tschernobyl untersucht hat.
Wissenschafter waren bisher der Meinung, dass die beim Reaktorunfall von Tschernobyl freigesetzten radioaktiven Stoffe bei Tieren und Pflanzen wichtige Schutzfunktionen von Zellen beschädigten und in diesen einen sogenannten oxydativen Stress auslösten – ein Zustand, der eine Störung bei der Schutzfunktion von Zellen gegenüber freien Radikalen beschreibt. Smith hat mit seinen Kollegen diesen Effekt bei Vögeln nun genauer unter die Lupe genommen. Sie haben dazu die Konzentration freier Radikale untersucht, die durch ionisierende Strahlung hervorgerufen werden. Die Studie kommt zum Schluss, dass die Zellschutzfunktion mit erhöhten Strahlenwerten, wie sie heute um Tschernobyl und Fukushima im Schnitt gemessen werden, leicht fertig werde. Konzentrationsänderungen der Radikalfänger (Antioxidantien) in den Zellen von Vögeln rund um Tschernobyl könnten nicht auf die Wirkung direkter Strahlung zurückgeführt werden. Smith erwartet, bei anderen Tierarten unter den gegebenen Umständen eine ähnliche Strahlenresistenz vorzufinden.
Für Smith ist es unbestritten, dass die hohen Strahlendosen kurz nach dem Tschernobyl-Unfall Organismen in Mitleidenschaft gezogen haben. Die Strahlendosen sind dort heute jedoch um ein Vielfaches kleiner. Smith ging mit seinen Kollegen von einer Ortsdosisleistung von 417 µGy/h aus – ein Wert, der heute für die am höchsten kontaminierten Gebiete rund um Tschernobyl gilt. Aufgrund der Studienresultate rechnen die Wissenschafter in Fukushima mit ähnlichen Auswirkungen.
Quelle: M.B. nach J.T. Smith, N. J. Willey und J.T. Hancock, «Low dose ionizing radiation produces too few reactive oxygen species to directly affect antioxidant concentrations in cells», Biol. Lett. 11. April 2012, DOI: 10.1098/rsbl.2012.0150, und University of Portsmouth, Medienmitteilung, 11. April 2012