Ansprache anlässlich der Eröffnung des Automobilsalons 2003 in Genf

31. März 2003

Der Autosalon ist eine der wenigen Veranstaltungen, an denen traditionsgemäss der Bundespräsident teilnimmt. Die Sache scheint einfach, aber ich muss Ihnen etwas gestehen: Es ist nicht so einfach, wie es scheint.
Die Liste dieser obligatorischen Veranstaltungen wird jedes Jahr einer neuerlichen kritischen Überprüfung unterzogen. Jedes Jahr schwört sich der Bundesrat, den Automatismus zu brechen und darauf zu verzichten, zwingend seinen Präsidenten an den Autosalon zu delegieren. Aber an der gleichen Sitzung gibt der amtierende Präsident jeweils bekannt, dass, soweit es ihn betrifft, er trotzdem an der nächsten Eröffnung des Automobilsalons teilnehmen wird. Und das wiederholt sich Jahr für Jahr.
Das zeigt die Anziehungskraft Ihrer Veranstaltung. Ich gratuliere Ihnen dazu. Sie ist Beweis für die Qualität dieses Treffens, für die Möglichkeit, den Verantwortlichen eines Wirtschaftssektors zu begegnen, aber auch dafür, über Fragen unserer Gesellschaft nachzudenken und gleichzeitig seinen Geschäften nachzugehen. Denn der Automobilsalon ist vor allem Ausdruck eines offenen, konkurrenzfähigen und globalisierten Marktes, des Automobilmarktes.
Bevor ich zu meinen allgemeinen Überlegungen komme, erlauben Sie mir, in Dankbarkeit und Freundschaft Jean-Marie Revaz zu gedenken, Ihren vor kurzem verstorbenen Präsidenten. Ich kannte und schätzte ihn seit den Jahren am Kollegium, wo er mir einige Jahre voranging. Ich hatte darauf die Gelegenheit, an einigen Gebirgs-Wiederholungskursen mit ihm zusammen zu sein. Ich bewunderte seine Eleganz, seine Fähigkeit zu motivieren, seine Vorliebe für konkrete Lösungen für gestellte Probleme, sein Engagement. Kurz gesagt, ich bewunderte die Qualitäten, die er an der Spitze des Salons bewies. Wir werden ihn nie vergessen. Ich bin sicher, dass seine Nachfolger auf den soliden Fundamenten, die er in der schönen Tradition des Automobilsalon und der Genfer Messe gesetzt hat, weiterbauen können.
Der Automobilsalon ist ein Markt, da er im grossen Massstab das Gegenüberstellen von Angebot und Nachfrage erlaubt. Das ist die Erfahrung eines offenen und globalisierten Marktes, denn die Automobilindustrie ist je länger desto weniger zentralisiert. Sie arbeitet mit vielen Unterlieferanten, darunter auch zahlreichen schweizerischen Unternehmen. Die Fachleute sagen mir, dass diese Unterlieferanten auf dem Automobilgebiet in der Schweiz Zehntausende Arbeitsplätze und ein Geschäftsvolumen von mehreren Milliarden Franken repräsentieren. Bemerkenswert ist die Qualität dieser Arbeitsplätze. Die Schweizer haben sich auf die Herstellung von Autoteilen mit hoher Wertschöpfung spezialisiert. Dieser Sektor fortschrittlicher Technologie ist selber wieder Träger von Innovationen, die auch auf anderen Gebieten Anwendung finden.
Ich wünsche mir, dass die Hunderttausende von Besuchern, die hier in den kommenden Tagen vorüberziehen werden, von dieser Realität Kenntnis nehmen, von der Verflechtung unserer Industrie mit der Industrie der ganzen Welt. Ich wünsche mir, dass sie sich über die tatsächlichen Möglichkeiten der Globalisierung für eine mittelgrosse Wirtschaft hoher Qualität, wie sie die Schweiz darstellt, Rechenschaft ablegen. Die kleine Zahl Schweizer Konsumenten würde die Idee eines helvetischen Protektionismus in welchem Sektor auch immer völlig illusorisch machen.
Das Automobil ist beliebt. Der Aufmarsch von Besuchern am Automobilsalon beweist dies jährlich. Wer Automobil sagt, spricht von Energie-, Umwelt- und Verkehrspolitik.
Die Energiefrage ist zum jetzigen Zeitpunkt, in dem das Risiko eines Kriegs im Irak unmittelbar droht, ganz besonders präsent. Der Erdölpreis steigt im Angesicht der geopolitischen Unsicherheit. Aus diesem Grund verzögert sich das Wirtschaftswachstum. Allgemeiner betrachtet zeigt uns diese Situation das Problem unserer Energieabhängigkeit.
Nun müssen wir in den kommenden Wochen, mit Blick auf die Abstimmungen vom 18. Mai, auf diesem Gebiet einen Entscheid fällen. Zwei Vorlagen betreffen die Energiezukunft der Schweiz: Die Abstimmung über die Initiative "Strom ohne Atom" und jene über die Initiative "Moratorium plus".
Der Bundesrat lädt das Schweizervolk ein, die beiden Initiativen klar abzulehnen. Die zwei Initiativen sind zwei Wege - der eine subtiler, der andere direkter-, unsere Abhängigkeit auf dem Gebiet der Energie zu vergrössern. Heute stammen 40% unserer Elektrizitätsproduktion aus der Kernenergie. Darauf ohne glaubwürdige Alternative zu verzichten, heisst - erlauben Sie mir die etwas einfache Ausdrucksweise - 'uns bei Jagdbeginn eine Kugel ins eigene Bein zu schiessen'. Ein solcher Verzicht ist falsch aus wirtschaftspolitischer Sicht, er ist falsch aus energiepolitischer Sicht.
Wirtschaftlich betrachtet verfolgen diese beiden Initiativen das Ziel, aus der Atomenergie zu einem Zeitpunkt auszusteigen, in dem die getätigten Investitionen noch nicht überholt sind. Der Bundesrat ist sich in einem Punkt völlig einig: Die Sicherheit muss den Vorrang haben. Aus diesem Grund haben wir im Verlauf der Jahre die Aufforderungen an die Betreiber, namentlich auch was die Stilllegung der Anlagen am Ende ihrer Laufzeit betrifft, verschärft.
Aber nachdem dieser Priorität Genüge getan ist, wäre es bedauerlich, getätigte Investitionen nicht so lange wie möglich auszunutzen. Es geht um unsere Fähigkeit, unsere wirtschaftlichen Mittel einzusetzen, die angesichts des Bedarfs an ihre Grenzen stossen. Es geht um unsere Fähigkeit, unsere Mittel rationell einzusetzen. Und wenn ich das sage, dann sage ich das auch als Minister für Sozialwerke wie auch als Gesundheitsminister. Ich weiss, dass der Bedarf unserer gesellschaftlichen Gruppen in den Sektoren Gesundheit und Sozialversicherung noch zunehmen wird, auch wenn wir den Rhythmus des Anstiegs abbremsen möchten.
Die Zeit ist nicht gekommen, diese Entwicklung unmöglich zu machen, indem wir Mittel da, wo es nicht nötig ist, verschwenden. Das wäre aber der Fall, wenn wir es ablehnten, aus getätigten Investitionen unter anderem im Energiesektor Nutzen zu ziehen.
Und dann müssen wir die Umsetzung der Umweltanliegen weiterverfolgen. Das dringendste auf globaler Ebene zu lösende Problem ist die Klimaerwärmung. Die beiden Initiativen anzunehmen bedeutet, ein zusätzliches Hindernis vor diesem Ziel zu errichten, auch wenn wir uns alle einig sind, dass die Kernenergie längerfristig ebenfalls Umweltprobleme stellt.
In der Politik ist es aber gefährlich, ja unmöglich, alle Probleme gleichzeitig lösen zu wollen. Man muss Prioritäten setzen, und heute liegt die Priorität auf dem Treibhauseffekt.
Bei meinem Besuch am Automobilsalon ist einer der Knackpunkte die Frage, in welchem Masse die Autohersteller Fortschritte beim Treibstoffverbrauch der Fahrzeuge erzielt haben oder noch erzielen werden.
Ich wünsche, dass die Schweizer Konsumenten, und die Autokäufer sind Konsumenten, in ihre Wahl immer die Umweltschutz-Kriterien einbeziehen. Ist es nur ein Traum zu glauben, damit zusätzliche staatliche Massnahmen zum Schutz der Natur vermeiden zu können?
Ich möchte noch einige Worte zur Verkehrspolitik sagen. Auch dazu wird uns bei der Abstimmung vom 18. Mai eine Initiative unterbreitet. Es handelt sich um die "Sonntagsinitiative", die uns den Gebrauch des Autos an einem Sonntag in jeder Jahreszeit verbieten will.
Warum soll ich es verheimlichen? Das Ziel dieser Initiative ist mir eher sympathisch. Und dennoch empfehle ich, sie deutlich abzulehnen. Das Ziel ist mir sympathisch, weil ich glaube, dass man beim Gebrauch des Autos, wie bei allen menschlichen Aktivitäten, seine Freiheit wahren muss. Man muss fähig sein, nein zu sagen und seine Unabhängigkeit von Mobiltelefonen wie auch dem übermässigen Gebrauch des Autos zu bewahren.
Aber auch hier soll der Staat den schwachen Willen nicht ersetzen. Der Staat kann und soll nicht durch sein Handeln Ziele verfolgen, die der individuellen Entscheidung unterliegen. Und zudem ist diese Art von Massnahme kaum angemessen. Das, was vielleicht für den Tourismus gut ist, ist für ein anderes Gebiet nicht gut. Der gewählte Sonntag würde den einen Probleme bringen, wenn andere davon profitierten.
Wenn man es zu vielen gut machen will, wird der Staat ausgelaugt und er vernachlässigt das Wichtige. Wichtig ist, den Verkehrsfluss umweltgerecht zu gewährleisten. Und dafür müssen wir neue Lösungen erfinden. Ich möchte nicht im voraus die gute Stimmung trüben, indem ich Sie einlade, Ihre Blicke ins Ausland zu lenken.
Ich freue mich dennoch auf einen Besuch in London, wo unter der Führung eines klar linken Bürgermeisters das gemacht wird, was der autoritäre Staat Singapur oder die gemässigte Mehrheit von Oslo macht, das heisst, man verhängt einen Strassenzoll für den Zugang ins Stadtzentrum.
Eine solche Lösung wird in der Schweiz nicht von einer Mehrheit der Bevölkerung getragen, die nur den Steuereffekt und das Negative sieht. Aber ich bin nicht sicher, ob im Verlaufe der Zeit und mit der Unterstützung durch die Technik diese Lösung nicht eines Tages von den Automobilisten selber gewünscht wird.
Jawohl, meine Damen und Herren, der Automobilsalon ist eine populäre Institution. Ich freue mich darüber und bin ehrlich überzeugt, dass das Auto eine der schönsten Errungenschaften des Menschen ist. Sie lässt uns von der Freiheit träumen. Sie lässt sie uns manchmal geniessen. Aber sie erlaubt es auch, anlässlich der Eröffnung des Automobilsalons, einige Diskussionsthemen ins Spiel zu bringen. Das Auto kann deshalb auch Menschen zusammenbringen.
Meine Damen und Herren, nun ist die Zeit da, die neuesten Produkte der Maschinentechnik, der künstlerischen Kreativität und des Geschäftstalents der Auto-Produzenten zu entdecken. Es ist Zeit zu träumen - wagen wir einen Blick an die Stände des Automobilsalons.

Quelle

Bundespräsident Pascal Couchepin, Übersetzung SVA

Bleiben Sie auf dem Laufenden

Abonnieren Sie unseren Newsletter

Zur Newsletter-Anmeldung

Profitieren Sie als Mitglied

Werden Sie Mitglied im grössten nuklearen Netzwerk der Schweiz!

Vorteile einer Mitgliedschaft