50 Jahre IAEO: mehr als nur Safeguards

Ein Gespräch mit Professor Werner Burkart, stellvertretender IAEO-Generaldirektor und Leiter der Sparte für nukleare Wissenschaften und Anwendungen, zum 50. Jubiläum der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO)

21. Okt. 2007
Werner Burkart: «Klimaschutz, mangelnde Versorgungssicherheit und Preissteigerungen bei fossilen Brennstoffen haben das Interesse an der Kernenergie stark ansteigen lassen.»
Werner Burkart: «Klimaschutz, mangelnde Versorgungssicherheit und Preissteigerungen bei fossilen Brennstoffen haben das Interesse an der Kernenergie stark ansteigen lassen.»
Quelle: IEAO

Die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEO) wurde am 29. Juli 1957 gegründet. Wie und wozu ist diese neue weltumspannende UNO-Organisation entstanden?

Das Mandat der IAEO beruht auf «Atoms for Peace» und beinhaltet im Kern die Unterstützung aller Mitgliedsländer in der Nutzung der Atomenergie, solange durch die IAEO-Überwachung vor Ort sichergestellt ist, dass damit keine militärischen Ziele verfolgt werden. Dieses Doppelmandat wurde in den letzten Jahren um die Sicherheit (störungsfreier und nachhaltiger Betrieb, Strahlenschutz) und Sicherung (Schutz vor Nuklearterrorismus) ergänzt. Atomenergie ist hier weit gefasst und beinhaltet auch nukleare Anwendungen in der Medizin, Nahrung und Landwirtschaft, Wasserbewirtschaftung und Industrie.

In welchen Bereichen wurden die ursprünglichen Ziele mit Erfolg umgesetzt: in der nuklearen Sicherheit, in den kerntechnischen Anwendungen, in der Erstellung von Normen?
Dank Forschungskoordination, Ausbildung und grenzüberschreitender Harmonisierung haben vor allem die nichtenergetischen nuklearen Anwendungen in allen 144 Mitgliedsländern stark zugenommen. Nukleare Stromerzeugung wird zurzeit nur in 30 Ländern, also 21% der Mitglieder, betrieben. Da mehrere Mitgliedsländer die Kernenergie ablehnen, liegen unsere Bemühungen auf diesem wichtigen Gebiet vor allem bei der Erhöhung der Sicherheit der Kernkraftwerke und des Brennstoffkreislaufes inklusive Endlagerung.
IAEO-Empfehlungen für eine globale nukleare Sicherheitskultur, die Safety Standards, dienen den Mitgliedsländern als Basis ihrer Gesetzgebung und Verordnungen. Bei den Safeguards-Aktivitäten zur Verhinderung militärischer Anwendungen kann einerseits vermerkt werden, dass es heute deutlich weniger Waffenstaaten gibt als die zehn bis zwanzig, die der damalige amerikanische Präsident J.F. Kennedy schon für das Ende des Jahrhunderts befürchtet hatte. Indien, Pakistan und Israel sind jedoch weiterhin ausserhalb des Atomwaffensperrvertrags und Nordkorea, Irak, Iran und Libyen hatten oder haben Programme, die ernste Besorgnis erwecken.

Im Bereich Ihrer Zuständigkeit bei der IAEO: Welche Meilensteine der letzten 50 Jahre liegen Ihnen besonders am Herzen?
Die konkrete Hilfe durch angewandte Forschung und Ausbildung in unseren drei Laboratorien in Seibersdorf, Monaco und Wien hat in vielen Entwicklungsländern die medizinische Grundversorgung und die landwirtschaftliche Infrastruktur verbessert (www-naweb.iaea.org/na/index.html). Unsere neue Initiative zur Krebskontrolle PACT (Program of Action for Cancer Therapy), für die auch die Mittel des an die IAEO gegangenen Nobelpreises verwendet wurden, zeitigt erste Erfolge. An den vielen von uns unterstützten Forschungsreaktoren und Beschleunigern in den Entwicklungsländern wächst eine neue Generation von Nuklearspezialisten heran. Ich durfte in den letzten Jahren auch viele der Ministertreffen leiten, die im Beschluss des Baus des Iter, eines Fusionsreaktors in Cadarache, Frankreich, gipfelte. Obwohl Strom aus der Kernfusion noch ein Zukunftstraum ist, sind die Forschungsimpulse für die Nuklearwissenschaften überlebenswichtig. Die materialtechnischen Herausforderungen werden auch neuen energieeffizienteren Hochtemperatur-Spaltreaktoren zu Gute kommen.

Welche besondere Rolle spielt die IAEO im Zusammenhang mit der bisherigen und zukünftigen Entwicklung der Kernenergie?
Die sich abzeichnende Renaissance der Kernenergie wird hunderte von Milliarden Euros bewegen. Unsere Rolle wird im Verhältnis dazu bescheiden sein und sich vor allem auf die wichtigen Aspekte Harmonisierung, Safeguards, Sicherheit, Sicherung und Notfallbereitschaft konzentrieren. Es ist auch äusserst wichtig, Schwellenländern die komplexen Voraussetzungen zum erfolgreichen und sicheren Betrieb eines Kernkraftwerkes klarzumachen.

Kurz nach ihrer Entstehung hat die IAEO eine Überwachungsfunktion übernommen, die Sicherungskontrolle (Safeguards) von Kernanlagen, um deren friedliche Natur zu überprüfen. Diese politische Funktion hat seitdem stark zugenommen, einige meinen sogar zu viel mit dem Ergebnis, dass die vorher erwähnten Tätigkeiten sehr oft überschattet werden.
Die Safeguards-Funktionen sind eines von drei IAEO-Mandaten und würden sich vor allem bei vermehrter Wiederaufarbeitung in Nichtwaffenstaaten nochmals stark ausweiten. Dazu kommen forensische Aktivitäten zur Aufdeckung illegaler Nuklearaktivitäten in unserem Safeguards Analytical Laboratory in Seibersdorf bei Wien. Es ist eindeutig, dass die sogenannte Watchdog-Funktion unser Bild zu Lasten der konstruktiven Entwicklungs- und Aufbauarbeit dominiert.

Sollte nicht die IAEO in zwei aufgeteilt werden: eine Organisation für die Verbreitung, die Unterstützung und die sichere Begleitung der kerntechnischen Anwendungen - eine andere für die Ausführung der aus dem Atomsperrvertrag erforderlichen Kontrollen?

Das Gleichgewicht zwischen Safeguards-Aktivitäten und Förderung sicherer und nachhaltiger Nuklearanwendungen auf den Gebieten Energie, Gesundheit, Landwirtschaft und Wasserwirtschaft ist eine Art Gesellschaftsvertrag zwischen den Mitgliedsländern. Während die reichen Länder grösstes Interesse an unseren Arbeiten in Safeguards sowie Sicherheit/Sicherung haben, konzentrieren sich die Entwicklungsländer auf die Beiträge, die nukleare Anwendungen zu ihrer Entwicklung beisteuern können. Um erfolgreich zu sein, muss der Atomsperrvertrag global anerkannt sein. Die vielen stolzen Länder im Süden wollen für ihre Unterschrift einen Beweis, dass sie damit an den Früchten der Nukleartechnik teilhaben können. Die vordergründig logische Trennung dieser zwei Mandate würde einerseits die globale Gültigkeit des Atomsperrvertrags und andererseits die Finanzierung des umfangreichen IAEO-Tätigkeitsbereichs «Technische Kooperation» gefährden.

Bei allen ihrer Facetten, welche Zukunftsperspektiven hat die IAEO?
Die friedlichen und nachhaltigen nuklearen Anwendungen sind noch lange nicht ausgereizt. Wir versuchen, auf diesem Wachstumsmarkt die Funktionen auszuüben, die weder vom Markt noch von nationalen oder regionalen Institutionen ausgefüllt werden können. Safeguards, Sicherheit, Harmonisierung, Ausbildung und Entwicklungshilfe sind die Hauptfelder. Als Vertreter des Sekretariats muss ich hier auch klar festhalten, dass die Mitgliedsländer und der 35-köpfige Gouverneursrat das Programm und Budget bestimmen. Die Schweiz hat soeben für drei Jahre im Gouverneursrat Einsitz genommen.

Wie sehen Sie die weitere Entwicklung der Kernenergie weltweit?
Klimaschutz, mangelnde Versorgungssicherheit und Preissteigerungen bei fossilen Brennstoffen haben das Interesse an der Kernenergie stark ansteigen lassen. Die schnell wachsenden Schwellenländer China und Indien setzen auf die nukleare Karte. Auch in der oft technologiefeindlichen Debatte im deutschen Sprachraum - Österreich, der Sitz der IAEO ist pikanterweise einer der rigorosesten Gegner der Kernenergie - wird sich früher oder später die Erkenntnis durchsetzen, dass die nukleare Option das kleinere Übel ist als Kohle oder Öl. Die Kernenergie schlägt zudem Wind oder Solar - Wie hoch ist der Beitrag von November bis Januar in unseren Breitengraden? - bezüglich Verlässlichkeit und Kosten um Längen.

Eine letzte Frage. Sie sind in der Schweiz aufgewachsen und haben ihre berufliche Laufbahn dort begonnen. Was kann die Schweiz tun, um der IAEO zu helfen: mehr junge Schweizer im Stab der Organisation, mehr Mitteln zur Forschung und technische Förderung in Entwicklungsländer, mehr Sichtbarkeit im Allgemeinen?
Vor allem für kleinere Länder sind die Netzwerke internationaler Organisationen in einer globalisierten Welt von grossem Wert. Zusätzlich zu den Beiträgen der Schweiz zum IAEO-Budget - und den daraus resultierenden Anstellungsmöglichkeiten für Schweizer und Schweizerinnen - besteht auch die Möglichkeit, junge Nuklearfachleute aus Forschungsinstituten, Kernkraftwerken oder Verwaltung für ein, zwei Jahre nach Wien auszuleihen. Oft werden PACT- und andere Hilfsprojekte in Medizin, Industrie und Landwirtschaft durch zusätzliche Beiträge von Mitgliedsländern angestossen. Wir würden uns sehr freuen, wenn die Schweiz zusätzliche Patenschaften für Krebstherapiezentren oder für nachhaltige Wasserbewirtschaftung übernehmen würde. Dies ist auch hilfreich für die Akzeptanz der Kernenergie, denn mit Radioaktivität und Strahlung vertraute Ärzte und Umweltwissenschafter sind die besten Botschafter für eine nüchterne Debatte über nukleare Risiken.
Persönlich erinnere ich mich gerne an meinen beruflichen Werdegang im international hoch angesehenen nuklearen Verbund der Schweiz mit Paul Scherrer Institut, Universitätsinstituten, Kliniken - und nicht zuletzt den fünf Kernkraftwerken -, der mich zum nuklearen Generalisten geformt hat. Die Schweiz hat hier viel zu bieten.


Das Gespräch fand am 20. September 2007 in Wien statt. Die Fragen stellte der Präsident des Nuklearforums Schweiz, Dr. Bruno Pellaud, ehemaliger stellvertretender Generaldirektor der IAEO.

Werner Burkart studierte Biochemie und Mikrobiologie an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich und promovierte dort in Biochemie. Am Institute of Environmental Medicine des New York University Medical Center schloss er zudem ein Studium in Public Health mit einem Master in Environmental Health ab.
Nach Tätigkeiten an der Abteilung Biologie und Medizin des Schweizerischen Nationalfonds war Burkart am heutigen Paul Scherrer Institut (PSI) angestellt, ab 1988 als Leiter der Abteilung Strahlenhygiene. Heute ist er Professor für Strahlenbiologie an der Ludwig-Maximilians-Universität in München und seit 2000 einer der stellvertretenden Generaldirektoren der IAEO und Leiter der Sparte für nukleare Wissenschaften und Anwendungen.

Bleiben Sie auf dem Laufenden

Abonnieren Sie unseren Newsletter

Zur Newsletter-Anmeldung

Profitieren Sie als Mitglied

Werden Sie Mitglied im grössten nuklearen Netzwerk der Schweiz!

Vorteile einer Mitgliedschaft