Wir sollten Kernkraftwerke bauen dürfen
Die Aufhebung des Neubauverbots von Kernkraftwerken ist nichts anderes als die Grundvoraussetzung für eine ergebnisoffene Neubeurteilung der Energiepolitik.
Eins vorweg: Ich hätte nichts dagegen, wenn die Energiewende ohne neue Kernkraftwerke gelingen würde. Wenn der Plan aufginge, in der Schweiz rechtzeitig und bedarfsgerecht genügend Strom aus anderen klimaschonenden Quellen bereitzustellen, würde ich nicht auf den Bau neuer Kernkraftwerke bestehen. Ich würde mich jedoch kaum an dieser Stelle äussern und wäre ganz sicher nicht im Vorstand des Nuklearforums, wenn ich restlos vom Gelingen der Energiestrategie 2050 überzeugt wäre.
Wie Bundesrat Albert Rösti an der Medienkonferenz zur Blackout-Initiative und dem Gegenvorschlag des Bundesrates erläutert hat, haben sich seit der Annahme der Energiestrategie wesentliche Rahmenbedingungen geändert. Die bedeutendste Veränderung ist dabei aus meiner Sicht das Netto-Null-Ziel, das der Bundesrat 2019 verabschiedet und die Stimmbevölkerung mit dem Ja zum «Klima- und Innovationsgesetz» im Gesetz verankert hat. Dadurch rücken selbst Gaskraftwerke, die unter den fossilen Kraftwerken die CO2-ärmsten sind, als Alternative zur Kernkraft in den Hintergrund – sie kommen höchstens als Notfallreserve infrage.
Fossile Energieträger und Netto-Null schliessen sich aus
Die Schweiz muss, um das Netto-Null-Ziel zu erreichen, praktisch ihren ganzen Energiebedarf klimaschonend decken. Das führt zusammen mit dem Bevölkerungswachstum zu einem stark steigenden Strombedarf. Dass wir uns bei der Deckung dieses Strombedarfs auf ausländische Partner verlassen können, halte ich angesichts der weltpolitischen Lage für alles andere als gewährleistet. Hinzu käme, dass importierter Strom nicht zwingend aus klimaschonenden Quellen kommen würde, was wiederum unsere Klimaneutralität gefährden würde. Dies alles führt mich zur Einsicht, dass wir die Energiestrategie neu denken müssen.
Wenn sich abzeichnet, dass ein Plan nicht funktioniert, muss man sich Alternativen überlegen. Und für eine ergebnisoffene Suche nach Alternativen ist die Technologieoffenheit eine grundlegende Voraussetzung. Die Aufhebung des Neubauverbots für Kernkraftwerke ist der notwendige erste Schritt hin zu einer ergebnisoffenen Auslegeordnung – nicht mehr und nicht weniger. Die Aufhebung des Neubauverbots bedeutet nicht, dass wir am Montag nach der Abstimmung ein neues Kernkraftwerk bauen, und es bedeutet ganz sicher nicht, dass wir mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien aufhören.
Analyse statt Ideologie
Dass sich Kernenergie und erneuerbare Energien gegenseitig ausschliessen oder blockieren, ist eine Behauptung der Anti-AKW-Bewegung. Die gleichen Kreise stellen das Neubauverbot gerne als unumstösslichen Volksentscheid und seine Aufhebung als «demokratiepolitisch äusserst fragwürdig» (Zitat aus der Kampagne der Grünen) dar. Ich erinnere daran, dass seit 1979 sechs Volksinitiativen zum Atomausstieg zur Urne kamen. Sie wurden eine nach der anderen abgelehnt – was die Gegnerinnen und Gegner jeweils nicht daran gehindert hat, weitere Initiativen einzureichen. Auf einen Volksentscheid zurückkommen, wenn sich die Faktenlage geändert hat, ist nicht demokratiefeindlich.
Es wird auch behauptet, mit dem indirekten Gegenvorschlag wolle Bundesrat Rösti den Ausstieg vom Ausstieg «am Volk vorbei» durchbringen. Aber wie jede Gesetzesänderung auf Bundesebene untersteht auch dieser Vorschlag des Bundesrates dem fakultativen Referendum. Es braucht also lediglich 50’000 Unterschriften, um die Aufhebung des Neubauverbotes zur Abstimmung zu bringen. Und auf den Ausgang dieser Abstimmung bin ich gespannt. Ich wage jedenfalls die Prognose, dass es für den Ausstieg vom Ausstieg nicht sechs Volksinitiativen brauchen wird.
Verfasser/in
Peter Schilliger, Vorstandsmitglied des Nuklearforums Schweiz