Vier SMRs für Darlington: Grosse Dinge fangen klein an

Beim kanadischen Kernkraftwerk Darlington sollen vier kleine, modulare Reaktoren (SMRs) die bestehenden Kernkraftwerkseinheiten als Darlington New Nuclear Project ergänzen. SMRs sollen in der Provinz Ontario zu einem Aufschwung der Kernkraft führen und zu einer grossen Exportchance für Kanada werden.

11. März 2025
Das am Ontariosee gelegene Kernkraftwerk Darlington mit seinen vier Candu-Schwerwasserreaktoren.
Das am Ontariosee gelegene Kernkraftwerk Darlington mit seinen vier Candu-Schwerwasserreaktoren.
Quelle: OPG

Der kanadische Stromversorger Ontario Power Generation (OPG) betreibt in Darlington seit Anfang der 1990er-Jahre vier 878-MW-Candu-Reaktoren. Das Kernkraftwerk liegt in der Provinz Ontario in der Gemeinde Clarington am Ontariosee. Ursprünglich wollte OPG als Ergänzung weitere grosse Leistungsreaktoren zubauen. Doch es kam anders: Ein Rückblick mit Informationen zum aktuellen Stand des Neubauprojekts.

Erweiterung mit weiteren grossen Kernkraftwerksblöcken auf Eis gelegt

In den Nullerjahren startete OPG das ursprüngliche Darlington-Erweiterungsprojekt. Ende September 2009 reichte der Stromversorger bei der Canadian Nuclear Safety Commission (CNSC) einen Umweltverträglichkeitsbericht (Environmental Impact Statement) und den Antrag für eine aktualisierte Lizenz zur Standortvorbereitung vor dem eigentlichen nuklearen Bau (Licence to prepare site) für bis zu vier neue Kernkraftwerkseinheiten ein. Auch der Long-Term Energy Plan 2010 der Provinz Ontario sah neue grosse Leistungsreaktoren als Ergänzung zu den bestehenden Reaktoren vor.

Die CNSC erteilte OPG im August 2012 die Genehmigung zur Vorbereitung des Standorts für einen Zeitraum von zehn Jahren. Diese Genehmigung erlaubt vorbereitende Arbeiten wie Rodung, Aushub und Planierung auf dem zukünftigen Kraftwerksgelände. Ebenfalls erhielt OPG die Umweltgenehmigung für Darlington. Er ist somit der bisher einzige Standort in Kanada mit einer gültigen Standortvorbereitungslizenz respektive Umweltgenehmigung.

Im Dezember 2013 forderte die Regierung Ontarios aber OPG dazu auf, den Bau neuer Reaktoren auf Eis zu legen. Die Versorgungslage wurde als gut eingeschätzt und man ging nur von einem moderat steigenden Stromverbrauch aus. Die bestehende Standortvorbereitungslizenz für Darlington wurde im Hinblick auf eine zukünftige Erweiterung jedoch aufrechterhalten. Um die Lebensdauer der bestehenden Reaktoren um 30 Jahre zu verlängern, beschloss OPG im Jahr 2016 die umfassende Modernisierung aller Blöcke in Darlington. Diese wird voraussichtlich 2026 abgeschlossen sein.

Ein neues Bauprojekt für Darlington basierend auf SMRs entsteht

Damit die Standortvorbereitungslizenz für Darlington nicht ausläuft, reichte OPG im Juni 2020 bei der CNSC einen Antrag auf Verlängerung ein, dem im Oktober 2021 stattgegeben wurde. Im November 2020 kommunizierte der Energieversorger seine Neubaupläne. Das sogenannte Darlington New Nuclear Project sah vorerst die Errichtung eines einzelnen kleinen, modularen Reaktors (SMR) vor. «OPG ebnet den Weg für die Entwicklung und den Einsatz der nächsten Generation von Kernkraftwerken in Kanada», sagte damals Ken Hartwick, Präsident und CEO von OPG. Das Unternehmen hatte bereits ab 2018 damit begonnen, sich mit verschiedenen SMR-Technologien zu beschäftigen.

OPG bekräftigte das SMR-Neubauprojekt mit Erkenntnissen im Rahmen einer Studie von 2021 der unabhängigen, gemeinnützigen Forschungsorganisation Conference Board of Canada: Diese Studie zeigte, dass «der Bau und der 60-jährige Betrieb einer einzigen Anlage in der Provinz Ontario einen starken wirtschaftlichen Nutzen für die Provinz mit sich bringen.» Diese positiven Auswirkungen bezogen sich sowohl auf das kanadische Bruttoinlandsprodukt, steigende Steuereinnahmen für die Provinz Ontario sowie auf die Schaffung gesicherter Arbeitsplätze über einen Zeitraum von 60 Jahren. Ebenfalls wiesen Regierungsvertreter auf die bereits vorhandene Lieferkette für Kernanlagen in Ontario hin. Diese Industrie wurde bei der Modernisierung der Candu-Reaktoren hinsichtlich einer Laufzeitverlängerung ertüchtigt und könnte auch weitere SMR-Projekte unterstützen und von möglichen Exporten profitieren.

Für einen neuen SMR sprachen zudem neue Schätzungen, die einen steigenden Energiebedarf identifizierten. In einem 2022 veröffentlichten Bericht des Independent Electricity System Operator (IESO) von Ontario wurde prognostiziert, dass die Provinz möglicherweise ihre Stromerzeugungskapazität von 42’000 MWe bis ins Jahr 2050 auf 88’000 MWe erhöhen muss. In dem Bericht wurde empfohlen, dass Ontario mit der Planung, Standortbestimmung und Umweltverträglichkeitsprüfung für Stromerzeugungsanlagen mit einer langen Lebensdauer, einschliesslich Kernkraft, beginnt.

Ein weiterer Faktor war die Reduktion der Menge an benötigten fossilen Energieträgern durch den Einsatz von Kernkraftwerken und somit der Klimaschutz. Ende November 2020 kommunizierte OPG seine Verpflichtung, bis 2040 eine «Net-zero Company», also ein Unternehmen mit Netto-Null-Kohlenstoffemissionen zu werden.

Der BWRX-300 von GE Hitachi Nuclear Energy machte das Rennen

OPG unterzog 2020 «bestimmte SMR-Technologien» einem gründlichen Prüfverfahren. «Auf dieser Grundlage erstellte OPG eine Liste mit drei Entwicklern, die über Technologien verfügen, mit denen wir unsere Verpflichtungen im Rahmen der Umweltverträglichkeitsprüfung erfüllen und unser Ziel erreichen können, bis 2029 einen SMR kommerziell verfügbar zu haben.» Die drei Entwickler waren GE Hitachi Nuclear Energy (GEH), Terrestrial Energy und X-energy. Jede Technologie sei anhand von Schlüsselbereichen bewertet worden, darunter: Sicherheit, technologische Reife, Lizenzierbarkeit am Standort in Darlington, Umweltauswirkungen, wirtschaftliches Entwicklungspotenzial und Kosten.

Im Dezember 2021 gab OPG bekannt, GEH mit seinem Siedewasser-SMR BWRX-300 ausgewählt zu haben (mehr zu diesem SMR im Kasten). «OPG ist zuversichtlich, dass die BWRX-300-Reaktortechnologie von GEH am besten geeignet ist, um eine neue Quelle kohlenstofffreier Kernenergie für den zukünftigen prognostizierten Energie- und Strombedarf Ontarios bereitzustellen und das Potenzial für den Einsatz von SMRs in anderen kanadischen Bundesstaaten zu unterstützen, die an einer Reduzierung des Verbrauchs fossiler Brennstoffe interessiert sind.»

Fotorealistische Darstellung eines Siedewasser-SMR des Typs BWRX-300 von GEH für das Darlington New Nuclear Project.
Fotorealistische Darstellung eines Siedewasser-SMR des Typs BWRX-300 von GEH für das Darlington New Nuclear Project.
Quelle: GEH

Finanzierung der Vorbereitungsarbeiten durch die CIB

Im Oktober 2022 schloss die Canada Infrastructure Bank (CIB) eine Vereinbarung mit OPG ab und stellte CAD 970 Mio. (CHF 609 Mio.) für Kanadas ersten SMR bereit. Die von der CIB finanzierten Arbeiten umfassen alle vor dem eigentlichen nuklearen Bau des SMR erforderlichen Vorbereitungen, einschliesslich Projektplanung, Standortvorbereitung, Beschaffung von Ausrüstung mit langer Vorlaufzeit, Versorgungsanschlüsse, Umsetzung einer digitalen Strategie und alle mit der Vorbereitung verbundene Projektmanagementkosten.

Ebenfalls im Oktober 2022 beantragte OPG bei der CNSC eine Bewilligung für den Bau eines BWRX-300 am Standort Darlington. Der Antrag ist derzeit noch in Bearbeitung.

Am 7. Juli 2023 kündigten der damalige Energieminister von Ontario, Todd Smith (links), und der Präsident und CEO von OPG, Ken Hartwick (rechts), drei zusätzliche SMRs für den Standort Darlington an.
Am 7. Juli 2023 kündigten der damalige Energieminister von Ontario, Todd Smith (links), und der Präsident und CEO von OPG, Ken Hartwick (rechts), drei zusätzliche SMRs für den Standort Darlington an.
Quelle: OPG

Kosten senken durch den Bau von insgesamt vier SMRs

An einer Medienkonferenz im Juli 2023, gab Todd Smith, der damalige Energieminister von Ontario, bekannt, dass die Provinz mit OPG zusammenarbeite, um mit der Planung und Genehmigung von drei weiteren SMRs, insgesamt also vier, in Darlington zu beginnen. «Durch einen Serienansatz mit dem Bau mehrerer SMRs werden die Projektkosten gesenkt, indem eine gemeinsame Infrastruktur wie die Kühlwasserzufuhr von allen vier Einheiten genutzt wird», schreibt OPG auf seiner Website. Durch den modularen Charakter der Einheiten liessen sich nach dem Bau einer Einheit die folgenden Einheiten leichter replizieren. «Der Bau der nachfolgenden Einheiten wird zeitlich gestaffelt, um sicherzustellen, dass wir die Erkenntnisse aus dem Bau der ersten Einheit nutzen können, um bei den nachfolgenden Einheiten Kosten- und Zeiteinsparungen zu erzielen. Vor dem Bau und Betrieb weiterer Einheiten sind zusätzliche behördliche Genehmigungen erforderlich.»

Das Conference Board of Canada erstellte zum wirtschaftlichen Nutzen des erweiterten SMR-Projekts die Studie «Ontario Power Generation – Economic Impact Analysis of Small Modular Reactors (SMRs)». Darauf verwies OPG im Oktober 2023: Der Bau von vier SMRs in Darlington werde sich «erheblich positiv auf die Wirtschaft in Ontario und Kanada auswirken». Dem Bericht zufolge wird der Bau und Betrieb einer Serie bestehend aus vier SMRs etwa CAD 15,3 Mrd. [CHF 9,6 Mrd.] zum kanadischen BIP beitragen, davon CAD 13,7 Mrd. [CHF 8,6 Mrd.] zum BIP von Ontario.» In Kanada würden dadurch 2000 Arbeitsplätze geschaffen und während den nächsten 65 Jahren erhalten bleiben. Ebenfalls generiere das Projekt über einen Zeitraum von 65 Jahren Steuereinnahmen in Höhe von CAD 4,9 Mrd. (CHF 3,1 Mrd.) auf Kommunal-, Provinz- und Bundesebene. «Die bereits robuste Nuklearversorgungskette in Ontario wird ein beträchtliches Wachstum verzeichnen und sich als Lieferant sauberer Energietechnologie für die Welt etablieren», erklärte OPG.

Am 22. April 2024 gab CNSC bekannt, dass die bestehende Umweltverträglichkeitsprüfung (Environmental Assessment, EA) in Darlington auf den BWRX-300-Reaktor «anwendbar ist». Noch dauert es bis zur Erteilung der nuklearen Baugenehmigung für die erste SMR-Einheit: CNSC führt im Oktober 2024 und im Januar 2025 eine zweiteilige öffentliche Anhörung durch. Indigene Nationen und Gemeinschaften sowie die Öffentlichkeit haben die Möglichkeit, sich zum OPG-Antrag zu äussern und Fachwissen sowie Informationen einzubringen, die für die Kommission nützlich sein könnten.

OPG rechnet damit, die Baugenehmigung für den ersten SMR im Jahr 2025 zu erhalten. Danach können sofort die nuklearen Bauarbeiten des ersten SMR begonnen und bis Ende 2028 abgeschlossen werden. Voraussichtlich 2028 wird der Antrag auf Betriebsgenehmigung gestellt und dazu eine öffentliche Anhörung durchgeführt. Ende 2029 soll der erste SMR in Betrieb sein. Gemäss gegenwärtiger Planung könnten die drei weiteren SMRs bis Mitte der 2030er-Jahre in Betrieb gehen.

Fortschritt bei den nicht nuklearen Bauarbeiten im Darlington
Fortschritt bei den nicht nuklearen Bauarbeiten im Darlington New Nuclear Project mit Stand Juli 2024: Nach dem Erstellen der Stützmauer des Startschachts der Tunnelbohrmaschine (unterer Bildrand) wird die Stützwand für den Aushub des ersten Reaktorgebäudes (Bildmitte) gebohrt. Die Tunnelbohrmaschine dient dem Erstellen des Tunnels für die Zuleitung des Kühlwassers aus dem Ontariosee.
Quelle: OPG via YouTube

Die Bauvorbereitungen in Darlington laufen wie geplant

Die ersten vorbereitenden, nicht nuklearen Bauarbeiten der sogenannten Phase 1 begannen in Darlington bereits im September 2022. Zu diesen Bauarbeiten gehörten die Planierung des Geländes, der Bau von provisorischen Strassen und Baustelleneinrichtungsflächen, die Installation von Regenwasserkanälen und die Einrichtung von Versorgungsleitungen vor Ort.

Am 11. März 2024 gab OPG bekannt, dass «das Darlington New Nuclear Project einen weiteren wichtigen Meilenstein erreicht hat und im Zeit- und Kostenrahmen liegt». Die erste Phase der Baustellenvorbereitung sei im Februar abgeschlossen worden. Die Baustelle wurde sodann für die Phase 2 mit den nicht nuklearen Hauptvorbereitungsarbeiten an den Baupartner Aecon übergeben. Im Laufe des Jahres 2024 führt dieser die Standortvorbereitung mit den Hauptarbeiten in Übereinstimmung mit der Standortvorbereitungslizenz durch. Laut OPG umfassen die Arbeiten den Bau der Stützwand für die Aushubarbeiten am Reaktorgebäude von Block 1 sowie die Aushubarbeiten selbst. Weiter werden Rodungs-, Vorbereitungs- und Planierungsarbeiten für die SMR-Blöcke 2, 3 und 4 durchgeführt. Inzwischen wurde die Stützmauer des Startschachts für die Tunnelbohrmaschine fertiggestellt, welche den Tunnel für die Zuleitung des Kühlwassers aus dem Ontariosee bohren wird. Ebenfalls haben erste Arbeiten für den Bau der Fertigungs- und Vormontagehallen begonnen. «In der Fertigungshalle vor Ort werden die angelieferten Materialien zu fertigen, installationsbereiten Komponenten zusammengebaut. Die fertigen Komponenten werden von der Fertigungshalle in die Vormontagehalle gebracht, wo sie endmontiert und in grössere Systeme integriert werden», schrieb OPG.

Bekenntnis zur Kernenergie auch des neuen Ministers

Stephen Lecce, der neue Minister für Energie und Elektrifizierung der Provinz Ontario, besuchte die Baustelle in Darlington im Juni 2024. «Tatsache ist, dass wir mehr Energie brauchen. Die Aufgabe der Regierung besteht darin, auf Ontarios bereits ehrgeizigem Plan aufzubauen, unsere Energie unter Verwendung aller Erzeugungstechnologien zu steigern, sei es Kernenergie, Erdgas oder erneuerbare Energien. Dabei muss man einen ganzheitlichen Ansatz verfolgen, um für die Zukunft gewappnet zu sein», erklärte Lecce. «Der Schwerpunkt unseres Ministeriums wird auf der Ausweitung erschwinglicher, zuverlässiger und natürlich sauberer Energie für die Menschen in Ontario liegen. «Was wir nicht tun werden, und das kann ich nicht genug betonen, ist, [...] einen ideologischen Weg einzuschlagen, der einige Energieformen ablehnt, obwohl wir sie alle brauchen, um unsere Wirtschaft anzukurbeln […].»

Zum BWRX-300

Der BWRX-300 von GE Hitachi Nuclear Energy (GEH) ist ein kleiner, modularer Siedewasserreaktor mit einer elektrischen Leistung von 300 MW. Er basiert auf dem von der amerikanischen Nuclear Regulatory Commission (NRC) zertifizierten Economic Simplified Boiling Water Reactor (ESBWR), besitzt aber eine stark vereinfachte Auslegung. Der BWRX-300 nutzt bereits in anderen Reaktoren erprobte Komponenten und setzt auf eine natürliche Kühlwasserzirkulation mit passiven Sicherheitssystemen. Ausgelegt ist er auf eine Lebensdauer von 60 Jahren. Laut OPG produziert ein SMR genug saubere Energie, um die jährlichen Treibhausgasemissionen von 160’000 Autos auszugleichen. Ein einzelner 300-MW-SMR kann je nach Art des durch ihn ersetzten Stroms zwischen 0,3 und 2 Megatonnen an CO2-Emissionen pro Jahr verhindern. Alle vier geplanten SMRs werden klimafreundlichen Strom für 1,2 Millionen Haushalte bereitstellen.

In verschiedenen Ländern hat der BWRX-300 bereits mehrere Schritte zur Vorlizenzierung erfolgreich absolviert, welche die Einhaltung der regulatorischen Anforderungen sicherstellen. In Kanada hat die Canadian Nuclear Safety Commission (CNSC) die Vorlizenzierungsprüfung (Vendor Design Review) für den Reaktor vollständig abgeschlossen, was den eigentlichen Lizenzierungsprozess beschleunigen sollte. Auch international besteht grosses Interesse am BWRX-300. Neben Darlington untersucht GEH Einsatzmöglichkeiten in Ländern wie Estland, Grossbritannien, Polen und der Tschechischen Republik.

Verfasser/in

B.G. nach OPG und verschiedenen weiteren Quellen

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