Überall Mikroplastik: selbst in der Antarktis

Mikroplastikpartikel kommen auch in den entlegensten Meeresgebiete der Welt vor. Sogar in der Antarktis finden sich grosse Mengen davon. Ein Wissenschaftsteam der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO) hat in Zusammenarbeit mit Argentinien Anfang 2024 ihre erste wissenschaftliche Forschungsexpedition lanciert, um das Vorkommen von Mikroplastik in der Antarktis zu untersuchen. Dies erfolgt im Rahmen einer Initiative der IAEO zur Bekämpfung der Plastikverschmutzung durch Nukleartechnologien.

8. Aug. 2024
IAEO Antarktis
IAEO-Experten nehmen Proben in der Antarktis, die später in Monaco und Buenos Aires auf das Vorhandensein von Mikroplastik untersucht werden.
Quelle: IAEO auf X

Als Mikroplastik werden Kunststoffpartikel mit einem Durchmesser von weniger als 5 Millimetern bezeichnet. Das IAEO-Forschungsteam hat während eines Monats das Vorkommen von Mikroplastik und seine Verteilung im Meerwasser, Seen, Sedimenten, Sand, Abflusswasser und Tieren des antarktischen Ökosystems in der Nähe der argentinischen Forschungsstation Carlini untersucht. Das Team überwachte ausserdem das Vorhandensein von Mikroplastik in Organismen, indem es Muscheln und Napfschnecken sowie den Kot von Pinguinen sammelte. Die Analyse der Proben erfolgt an den Marine Environment Laboratories der IAEO in Monaco und am Instituto Antartico Argentino (IAA) in Buenos Aires. Dabei wird u.a. die Vibrationsspektroskopie eingesetzt, um die Anzahl der Mikropartikel aus Kunststoff zu zählen und die Art der Polymere zu charakterisieren, um bestenfalls auch die Quelle der Mikroplastikverschmutzung zu ermitteln.

Gemäss IAEO kann das Vorhandensein von Mikroplastik dazu beitragen, den Eisverlust in der Antarktis zu beschleunigen, indem es das Reflexionsvermögen des Eises verringert, die Oberflächenrauhigkeit verändert, die mikrobielle Aktivität fördert, als Wärmeisolator wirkt und zu einer mechanischen Schwächung der Eisstruktur beiträgt. «In Verbindung mit dem Klimawandel, den atmosphärischen Bedingungen und den ozeanischen Einflüssen wird das Vorhandensein von Mikroplastik die verheerenden Auswirkungen der polaren Eisschmelze in der Antarktis noch verstärken», schreibt die IAEO in einer Mitteilung zum Start der Forschungsexpedition. Darüber hinaus wirke sich das Eindringen von Mikroplastik in die Nahrungskette der antarktischen Organismen negativ auf die Gesundheit der antarktischen Lebewesen und ihre Widerstandsfähigkeit gegenüber dem Klimawandel aus.

NUTEC Plastics: Überwachungsprogramm der IAEO
Die IAEO-Mission in der Antarktis wird im Rahmen von NUTEC Plastics durchgeführt. NUTEC Plastics (Nuclear Technology for Controlling Plastic Pollution) wurde 2020 gegründet und ist eine Initiative der IAEO zur Bekämpfung der Plastikverschmutzung durch Nukleartechnologien. Über ein Netzwerk von Überwachungslaboratorien werden Nuklear- und Isotopen-Techniken eingesetzt, um durch Probenahme und Analyse von Mikroplastik in der Umwelt, Daten über deren Verteilung im Meer zu gewinnen. So können die Nuklearwissenschaft und -technologie wertvolle Dienste zur Identifizierung, Verfolgung und Überwachung von Kunststoffen im Meer, insbesondere von Mikroplastik, leisten. Derzeit beteiligen sich 63 Länder an der Überwachung von Mikroplastik im Meer und 30 davon entwickeln innovative Recylingtechnologien. Laut IAEO lässt sich auch beim Recycling Nukleartechnologie einsetzen: Durch Bestrahlen könnten vorhandene Kunststoffe behandelt und wiederverwendbar gemacht werden. So werde das derzeitige Recyclingpotenzial erweitert und eine breitere und hochwertigere Wiederverwendung ermöglicht.

Marine Mikroplastik
Analyse von marinem Mikroplastik aus Sedimenten mit Hilfe der Vibrationsspektroskopie – eine Technologie, die in einem von der IAEO koordinierten Forschungsprojekt von 2023 bis 2027 weiterentwickelt werden soll.
Quelle: F. Oberhänsli / IEAO

Das Ziel ist es, mehr als 50 Laboratorien mit der Technologie und dem Know-how auszustatten, die für die Beprobung und Analyse von Mikroplastik in den Ozeanen erforderlich sind, und die Berichterstattung zu Punkt 14 «Leben unter Wasser» der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung zu ermöglichen, um ein globales Überwachungsnetz zu bilden.

Einsatz von Nuklear- und Isotopentechniken zum Überwachen und Charakterisieren von Mikroplastik
Wie bereits dargelegt, entwickeln IAEO-Forschende Methoden, bei denen Nuklear- und Isotopentechniken zum Einsatz kommen, um die Bewegung, den Verbleib und die Auswirkungen von Plastikpartikeln und damit verbundenen organischen und anorganischen Schadstoffen auf eine Reihe von Wasserlebewesen – darunter Fische und Austern – unter kontrollierten Laborbedingungen genau zu quantifizieren. Durch den Einsatz von Radiotracern wie Kohlenstoff-14 können die IAEO-Forscherinnen und -Forscher untersuchen, wie sich Schadstoffe wie polychlorierte Biphenyle (PCB) an Mikroplastik in der Umwelt anheften und ob sie sich von diesen Kunststoffen lösen können, wenn sie von Meerestieren aufgenommen werden.

Die Radiotracer werden auch eingesetzt, um die Bewegung und den Verbleib von Mikroplastik in den Tieren zu untersuchen, um zu verstehen, wie genau es aufgenommen wird – je nach Organismus über den Verdauungstrakt oder über die Kiemen. Die Forschenden wollen auch herausfinden, ob das Mikroplastik ausgeschieden werden kann oder ob es die Organe verstopft. Wenn sich Kunststoffe beispielsweise im Darm ansammeln, könnten die Organismen ein falsches Sättigungsgefühl bekommen, was ihre Nährstoffaufnahme negativ beeinflussen kann.

Genaue und zeitnahe Informationen über die Bewegung, die Menge und die Auswirkungen von Mikroplastik können dazu beitragen, Programme zur Überwachung der Meeresverschmutzung, Umweltmanagementstrategien und Vorschriften zur Sicherheit von Meeresfrüchten zu verbessern.

Recycling von Kunststoffen durch Bestrahlung
Ionisierende Strahlung wird bereits in zahlreichen Verfahren zur Herstellung von Kunststoffen eingesetzt. Die IAEO setzt die Technologie auch im Rahmen der NUTEC-Plastics-Initiative zur Verbesserung des Recyclings von Kunststoffabfällen ein. Denn durch den Einsatz von Gamma- und Elektronenstrahltechnologien werden einige Kunststoffarten so verändert, dass sie leichter recycelt und wiederverwendet werden können. Die IAEO geht davon aus, dass diese neue Methode billig, effizient und umweltfreundlich ist und sich leicht in grösserem Massstab anwenden lässt. Damit sei sie für viele Länder erschwinglich. Diese Technologien können die derzeitigen Recyclingmethoden – bei denen Kunststoffabfälle mechanisch nach Polymertypen getrennt werden – ergänzen bei der:

  • Zerkleinerung der Kunststoffpolymere in kleinere Partikel, sodass sie als Rohstoff für die Herstellung von neuem Kunststoff verwendet werden können
  • Behandlung des Kunststoffs, sodass er mit anderen Materialien gemischt werden kann, um Produkte nachhaltiger zu machen
  • Umwandlung von Kunststoff in Brennstoff durch Radiolyse

Beitrag der IAEO zur UNO-Resolution

Am 2. März 2022 verabschiedeten die Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen eine Resolution zur Beendigung der Plastikverschmutzung und schafften damit die Voraussetzungen für ein rechtsverbindliches internationales Abkommen zur Plastikverschmutzung, das 2025 formell verabschiedet werden soll. Die IAEO-Expedition in die Antarktis kann daher einen entscheidenden Beitrag zur Sammlung von Daten leisten, die für die Aushandlung des globalen Übereinkommens über die Plastikverschmutzung erforderlich sind.

Grossi Antarktis
IAEO-Generaldirektor Rafael Grossi (links) und der argentinische Präsident Javier Milei (zweiter von links) auf dem Antarktisstützpunkt Marambio.
Quelle: IAEO auf X

Mikroplastik und antarktisches Festeis

Der erste Nachweis von Mikroplastik, der im Festeis an der Küste der Antarktis gefunden wurde, stammt aus dem Jahr 2009, als ein Forscherteam der Universität Tasmanien Meereisproben in der Ostantarktis entnahmen. Bei der Analyse einer dieser Eiskerne wurden 96 Mikroplastikpartikel aus 14 verschiedenen Polymertypen nachgewiesen. Die detaillierten Ergebnisse wurden in der Zeitschrift Marine Pollution Bulletin (Volume 154, Mai 2020) veröffentlicht. Erstautorin Anna Kelly: «Die Mikroplastikpolymere in unserem Eiskern waren grösser als die in der Arktis, was auf lokale Verschmutzungsquellen hinweisen könnte, da das Plastik weniger Zeit hat, sich in kleinere Fasern aufzulösen, als wenn es über weite Strecken mit den Meeresströmungen transportiert wird. Als lokale Quellen können laut Kelly Kleidung und Ausrüstung in Frage kommen, die von Touristen und Forschern verwendet werden. «Die Tatsache, dass wir auch Fasern von Lacken und Kunststoffen gefunden haben, die in der Fischereiindustrie verwendet werden, deutet auf eine maritime Quelle hin», erklärte sie zu den Forschungsergebnissen.

Laut IAEO gibt es immer noch kaum Informationen darüber, wo und wie viel Mikroplastik in die Antarktis gelangt und wie viel davon von dortigen Organismen aufgenommen wird. Es gebe auch nur sehr wenige Daten darüber welche Arten von Mikroplastik durch Meeresströmungen, atmosphärische Ablagerungen und die Anwesenheit von Menschen in der Antarktis dieses unberührte Gebiet erreichen.

Verfasser/in

M.A. nach verschiedenen Informationen von IAEO und NUTEC Plastics sowie UN Environment Programme, Medienmitteilung, 2. März 2024

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