Staatliche Förderung kleiner, modularer Reaktoren in Grossbritannien

Rolls-Royce SMR, der britische Entwickler des kleinen, modularen Reaktors Rolls-Royce-SMR hat die Regierung Grossbritanniens in einem dringenden Appell zur Eile bei Unterstützungsmassnahmen aufgerufen. Der Entwickler befürchtet im weltweiten Rennen um den ersten kommerziellen SMR ins Hintertreffen zu geraten. Dieser Artikel klärt über die Hintergründe auf.

25. Okt. 2023
SMR von RollsRoyce
Quelle: Rolls-Royce SMR Ltd.

Im Zuge der Diskussionen um Energieversorgungssicherheit und der Notwendigkeit, bis 2050 Netto-Null-Emissionen zu erreichen, erlebt die Kernenergie in vielen Ländern einen Aufschwung. Sie soll dazu beitragen diese Ziele zu erreichen. Neben grossen Leistungsreaktoren könnten zukünftig auch kleine, modulare Reaktoren (SMRs) eine Rolle spielen. Demonstrationsanlagen sind bereits in Russland und China in Betrieb und gegen Ende des Jahrzehnts soll auch im Westen der erste kommerzielle SMR seinen Betrieb aufnehmen.

Besonders Entwickler von SMR in Kanada und in den USA werden von ihren Regierung mit Programmen unterstützt wie Advanced Reactor Demonstration Program (ARDP), Gateway for Accelerated Innovation in Nuclear (GAIN), Foundational Infrastructure for responsible Use of Small Modular Reactor Technology (FIRST) oder Enabling Small Modular Reactors Program. Die SMR sollen nicht nur in den USA und in Kanada gebaut, sondern auch in andere Länder exportiert werden. Dabei geht es auch um Aufträge und zehntausende von Arbeitsplätzen in den heimischen Industrien. Gemäss der Nuclear Energy Agency (NEA) gibt es gegenwärtig eine riesige Innovationswelle bei SMRs und ein richtiges Rennen um den ersten kommerziellen SMR am Markt.

International umkämpfter SMR-Markt
Diesen internationalen Konkurrenzkampf und Erfolge der Mitbewerber spürt auch der britische SMR-Entwickler Rolls-Royce SMR. «Das bedeutet, dass sich viele der international laufenden Prozesse verdichten, dass sie vorankommen, und das stellt uns vor eine Herausforderung, denn wir können nicht weiterhin in diesen Prozessen glaubwürdig sein, solange wir noch kein Projekt in Grossbritannien vorweisen können», äusserte sich Alan Woods, Direktor für Strategie und Geschäftsentwicklung bei Rolls-Royce SMR, der den bisherigen Vorsprung seiner Firma gefährdet sieht, an einer Nuklearkonferenz im britischen Carlisle.

In seiner Kritik spielt Woods darauf an, dass in Kanada beispielsweise mit der Unterstützung der dortigen Bundesregierung und der Provinz Ontario der erste SMR BWRX-300 von GE Hitachi Nuclear Energy bald am bestehenden Nuklearstandort Darlington gebaut und bereits 2029 in Betrieb gehen soll. Um mit einem SMR-Projekt voranzukommen und diesen in Serie fertigen und verkaufen zu können, braucht es zuerst ein «Leuchtturmprojekt», das man vorzeigen kann. Gemäss Tufan Erginbilgic, dem neuen CEO des Mutterhauses Rolls-Royce, muss das SMR-Projekt von der Regierung unterstützt werden, damit die Kunden das Vertrauen haben, Vorbestellungen für die Reaktoren zu tätigen.

Grosse Unterstützung der Kernenergie unter dem damaligen Premierminister Boris Johnson
Im November 2021 sprach die damalige britische Regierung unter Boris Johnson GBP 210 Mio. (rund CHF 240 Mio.) als Unterstützung für Rolls-Royce SMR. Die Ausgaben sind Teil des GBP 385 Mio. umfassenden Advanced Nuclear Fund, der 2020 im Rahmen des 10-Punkte-Plans für eine grüne industrielle Revolution von der britischen Regierung angekündigt worden war. Auch die im Frühjahr 2022 vorgestellte Strategie zur Erhöhung der Energieversorgungssicherheit unterstrich die mögliche Rolle von SMR.

Sowohl Woods als auch Erginbilgic wünschen sich auch von der neuen Regierung unter Premierminister Rishi Sunak eine (stärkere) Unterstützung hinsichtlich eines Vorzeigeprojekts und der heimischen SMR-Industrie. Während Länder wie Kanada die SMR-Hersteller auf dem nordamerikanischen Kontinent bevorzugt behandeln, ist dies in Grossbritannien nicht in dem Mass der Fall.

Neu geschaffene Behörde fördert SMR
Mit der Great British Nuclear (GBN) nahm am 18. Juli 2023 in Grossbritannien zwar eine neue staatliche Behörde ihre Arbeit auf. Diese will durchaus den Einsatz von SMRs in Grossbritannien fördern. «Die erste Priorität der GBN ist die Durchführung eines Wettbewerbsverfahrens zur Auswahl der besten Technologien für kleine, modulare Reaktoren (SMRs) aus der ganzen Welt», schreibt GNB und startete diesen Wettbewerb am ersten Tag ihrer Tätigkeit. Die erste Auswahl werde im Herbst dieses Jahres stattfinden. Die Regierung wird die ausgewählten Technologien während ihrer Entwicklung mitfinanzieren und mit den Gewinnern auch bei den Standortvereinbarungen zusammenarbeiten. Ziel ist es, dass in der nächsten Legislaturperiode (2025–2029) ein endgültiger Investitionsentscheid für zwei Neubauvorhaben getroffen wird.

Noch steht offen, ob Rolls-Royce SMR zum Zug kommt
Was bereits Monate voraus bekannt war, bestätigte sich aber: Im Vergleich zu anderen Ländern soll der heimische SMR-Entwickler Rolls-Royce-SMR nicht bevorzugt behandelt werden. Dies führte bereits im März 2023 zur Kritik in der Tageszeitung «The Telegraph»: «Insider befürchten, dass die Bemühungen um eine wettbewerbsorientierte Ausschreibung dazu führen könnten, dass Rolls-Royce einen Regierungsauftrag verliert, obwohl bereits 210 Millionen Pfund an Steuergeldern in die Bemühungen des Unternehmens zur Errichtung kleiner, modularer Reaktoren investiert wurden. […] Es wird nun davon ausgegangen, dass die Regierung sich darauf vorbereitet, eine Schönheitsparade von Vorschlägen für die nächste Generation von Kernkraftwerken aus der ganzen Welt zu veranstalten, die letztendlich dazu führen könnte, dass Aufträge an andere Unternehmen vergeben werden.»

Zum Start des Wettbewerbs kündigte Grossbritanniens Minister für Energiesicherheit, Grant Shapps, zudem Zuschüsse in Höhe von bis zu von GBP 157 Mio. (CHF 177 Mio.) an, etwa zur Beschleunigung der Entwicklung von Nuklearunternehmen in Grossbritannien (bis zu GBP 77,1 Mio.), zur Unterstützung neuer Auslegungen oder für Entwicklung und Bau eines neuen fortgeschrittenen modularen Reaktors. Während Entwickler von fortgeschrittenen SMRs wie Ultra Safe Nuclear Corporation UK oder MoltexFLEX (mit Mutterhäusern in Nordamerika) namentlich erwähnt werden, taucht Rolls-Royce als Entwickler eines «konventionellen» Druckwasser-SMR darin nicht auf. Da sich bereits der Start von GBN etwas verzögert hatte und zudem eine Wettbewerbsentscheidung erst Anfang 2024 befürchtet wurde, gab dies Woods den Anlass, die britische Regierung zur Eile aufzurufen, damit die Wettbewerbsgewinner möglichst bald feststehen und Rolls-Royce-SMR sein Vorzeigeprojekt hoffentlich möglichst bald starten und weitere Investorengelder sichern kann. «Deshalb machen wir der Regierung klar, dass Tempo wichtig ist», sagte Woods an der Nuklearkonferenz in Carlisle.

Um dem Unternehmen Rolls-Royce SMR Planungssicherheit zu bieten, muss der Wettbewerb möglichst speditiv durchgezogen werden und darf nicht nach wenigen Monaten wieder von der britischen Regierung abgebrochen werden, wie 2017. Welche grundlegenden Dinge sich seit damals geändert haben und wie Great British Nuclear die Kommerzialisierung von SMR in Grossbritannien wirkungsvoll unterstützen könnte, verrät der Nuklearexperte Adrian Bull in einem weiteren Artikel im Bulletin.

Entwicklungsunternehmen für neue Kernkraftwerke in Grossbritannien

Gemäss dem «Nuclear Advanced Manufacturing Research Centre (Nuclear AMRC)» fungieren Entwicklungsunternehmen im Rahmen des britischen Regulierungssystems als Lizenznehmer für den Neubau von Kernkraftwerken. Sie sind verantwortlich für die Finanzierung und die Sicherstellung der Planung und der behördlichen Genehmigung für neue Kraftwerke. Die Entwicklungsunternehmen sind in den Regionen verwurzelt, in denen sie aktiv sind.

Die walisische Cwmni Egino ist ein solches Entwicklungsunternehmen. «Cwmni Egino wurde gegründet, um potenzielle neue Projekte voranzutreiben und wirtschaftliche Möglichkeiten für Nordwest-Wales zu schaffen», schreibt die walisische Regierung zum Entwicklungsunternehmen, das vollständig in ihrem Besitz ist. Ein weiteres Entwicklungsunternehmen ist die Solway Community Power Company (SCPC) aus Copeland in der Grafschaft Cumbria. Sie wurde gegründet, um «dauerhafte, positive sozioökonomische Auswirkungen für die Region und das ganze Land sowie hervorragende Renditen für die Investoren» zu erzielen. «Mit der ersten Bestellung von kleinen, modularen Reaktoren (SMRs) von Rolls-Royce werden wir die Inbetriebnahme der Anlagen bis 2032 ermöglichen, was der Bevölkerung von Cumbria wesentliche und dauerhafte Vorteile bringen wird», schreibt das Unternehmen. «Die Erzeugung von grossen Mengen an sauberem und zuverlässigem Strom in der Region biete die Möglichkeit, energieintensive Industriezweige anzusiedeln und andere Vorhaben wie regionale Wärme- und Dampfnutzung zu untersuchen. «Wir sind davon überzeugt, dass dieses Modell auch auf andere Gemeinden im ganzen Land übertragbar ist», so SCPC.

Verfasser/in

Dr. Benedikt Galliker, technisch-wissenschaftlicher Redaktor, Nuklearforum Schweiz

Quelle

Britisches Department for Energy Security & Net Zero (DESNZ), Medienmitteilung, 18. Juli 2023, britische Regierung, Faktenblatt zum Energiesicherheitsgesetz, 6. Juni 2023, Artikel aus «The Telegraph», Artikel, 10. März und 1. Juli 2023 und weiteren Quellen.

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