Nukleartechnik hilft beim Aufdecken von Lebensmittelbetrugsfällen
Gerade bei hochwertigen und teuren Lebensmitteln wie Manuka-Honig oder gewissen Kaffeesorten werden Fälle von Lebensmittelbetrug aufgedeckt. Aber auch Olivenöl kann verändert worden sein und zu gesundheitlichen Problemen bei Allergikern führen. Um Lebensmittelbetrug aufzuspüren, unterstützen die Nuklearwissenschaftler der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO) mit Forschungs- und Kooperationsprogrammen die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO).

Wussten Sie, dass in Ihrer Küche möglicherweise Lebensmittel stehen, die gar nicht die Qualitätsansprüche erfüllen, an einem ganz anderen Ort angebaut wurden, als deklariert, oder andere falsche Angaben auf dem Etikett enthalten? Betrug ist ein wachsendes Problem in der Lebensmittelindustrie, das Länder auf der ganzen Welt betrifft und die Exporte beeintr ächtigt. Auch die Schweiz ist davon betroffen. «Bund kämpft gegen Lebensmittelbetrug: Dein Paprikapulver könnte mit Staub und Gips gestreckt sein!» titelte die Schweizer Boulevardzeitung «Blick» im Dezember 2022 anlässlich europa- und schweizweiter Untersuchungen von Gewürzen.
Viele Menschen bevorzugen Produkte bestimmter Marken oder Herkunft, da diese für ihre gute Qualität oder besondere Eigenschaften bekannt sind. Ein Beispiel ist die antibakterielle Wirkung von Manuka-Honig. Oftmals zahlen Menschen hohe Preise für solche Lebensmittel. Dies zieht Betrüger an. «Betrüger sind heimlich in den lukrativen globalen Lebensmittelmarkt eingedrungen und haben Methoden entwickelt, um die Verbraucher zu betrügen und Profit zu machen», schreibt die IAEO, die sich ausführlich mit dem Thema beschäftigt. Sie zählt verschiedene gängige Betrugsmethoden auf: die Herstellung von gefälschten Lebensmitteln, die bestimmte Rezepte oder Marken imitieren, der Zusatz von nicht deklarierten Stoffen zu Lebensmitteln, die Verdünnung oder der Austausch hochwertiger Zutaten durch minderwertige, die Verschleierung minderwertiger Zutaten und die falsche Kennzeichnung. Lebensmittelbetrug ist gemäss IAEO jede Handlung, die mit der Absicht unternommen wird, die Kunden über die Identität, Qualität und Zusammensetzung von Lebensmitteln zu täuschen, um einen finanziellen Gewinn zu erzielen. Aber es gibt noch eine weitere Schattenseite: «Lebensmittelbetrug wirkt sich nicht nur auf die Geldbörse der Verbraucher aus und schadet dem internationalen Handel, sondern kann auch die öffentliche Gesundheit und Sicherheit gefährden.»
Genaue Schadensumme unbekannt, Handeln aber dringend notwendig
«Es ist davon auszugehen, dass nur ein geringer Anteil der Lebensmittelbetrugfälle aufgedeckt werden. Konsumentinnen und Konsumenten erhalten meist keine oder viel zu spät Informationen zu Food Fraud, nämlich dann, wenn der Betrug bereits vollzogen wurde», kommunizierte die Eidgenössische Kommission für Konsumentenfragen (EKK) im April 2021 zu Betrugsfällen im Lebensmittelbereich in der Schweiz. Als Hochpreisinsel sei die Schweiz ein «interessantes» Zielland für solchen Betrug. Genaue Zahlen für die Schweiz gibt es aber nicht. «Tatsächlich kann das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) auf Anfrage den Umfang und den daraus entstehenden Schaden beim Lebensmittelbetrug nicht beziffern», schrieb der Tagesanzeiger in einem Artikel vom Dezember 2022.
Auch die IAEO hält fest, dass sich die genauen Kosten für die weltweite Lebensmittelindustrie angesichts des im Verborgenen begangenen Betrugs nur schwer berechnen lassen. Man schätze aber, dass diese Art von Betrug die Hersteller jährlich USD 40 Mrd. (rund CHF 35 Mrd.) koste. Das Risiko von Lebensmittelbetrug zu minimieren, kann laut IAEO aber schwierig sein. «Betrug kann in jeder Phase der Lieferkette vorkommen und in manchen Fällen kann er ohne spezielle Ausrüstung nicht aufgedeckt werden.» In Entwicklungsländern werde das Problem durch den Mangel an technischen Kapazitäten zur Aufdeckung von Lebensmittelbetrug noch verschärft.

Um Ländern bei der Betrugsbekämpfung bei hochwertigen Lebensmitteln wie Premium-Honig, Kaffee und Reisspezialitäten zu helfen, rief die IAEO im Jahr 2019 ein Forschungsprogramm mit Experten aus 16 Ländern ins Leben. Zu den teilnehmenden Ländern gehören China, Costa Rica, Dänemark, Indien, Indonesien, Italien, Jamaika, Japan, Malaysia, Marokko, Myanmar, Neuseeland, Slowenien, Spanien, Thailand und Uruguay. Das Programm wird in Zusammenarbeit mit der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) durchgeführt. Ziel des Programms ist es, Methoden zur Anwendung nuklearer und verwandter Techniken zu verbessern, mit denen die Korrektheit von Lebensmittelkennzeichnungen überprüft, Betrug bekämpft und die öffentliche Gesundheit geschützt werden können. Konkret geht es laut IAEO darum, die Herkunft von Lebensmitteln nachzuverfolgen, ihre Echtheit zu überprüfen und sie auf Verfälschungen zu testen. Eine nukleare Technik, welche die IAEO zur Überprüfung der Echtheit und Rückverfolgbarkeit von Lebensmitteln einsetzt, ist beispielsweise die Analyse stabiler Isotope (siehe Grafik).
Olivenöl, Honig und Meeresfrüchte: Zielscheibe von Betrügern
Den Bedarf nach Analysenmethoden sieht man zum Beispiel beim thailändischen Hom-Mali-Reis (Jasminreis), der gemäss IAEO von gefälschten Lebensmittelkennzeichnungen betroffen sein kann. Diese hochwertige Langkornsorte riecht beim Kochen angenehm nach Jasmin und macht 13–18% der thailändischen Reisausfuhren aus. Sie wird im Norden und Nordosten Thailands angebaut, wo ideale Boden- und Klimabedingungen herrschen. «Wir haben kein Labor, das diese Art von Analyse durchführen kann, deshalb möchte ich lernen, wie man diese Methode anwendet», sagte Wannee Srinuttrakul, Wissenschaftlerin am Thailändischen Institut für Kerntechnik zu Beginn des Forschungsprojekts der IAEO im Jahr 2019.

Zu den am stärksten von Lebensmittelbetrug betroffenen Produkten gehören laut IAEO aber Olivenöl (das wegen seiner positiven Auswirkungen auf das Herz beliebt ist), Meeresfrüchte (die wegen ihrer essenziellen Omega-3-Fettsäuren begehrt sind) und Honig (der wegen seiner natürlichen Süsse und seiner gesundheitsfördernden Eigenschaften geschätzt wird).
Im Mittelmeerraum tötet das extrem aggressive Bakterium Xylella fastidiosa massenhaft Olivenbäume, sodass die Preise für Olivenöl durch Missernten drastisch gestiegen sind. In den Medien finden sich auch Artikel zu gestreckten Olivenölen und gefälschten Etiketten. «Olivenöl kann mit billigeren Alternativen wie Sonnenblumen-, Raps- oder sogar Haselnussöl gepanscht werden, was für Personen, die allergisch auf die Ersatzöle reagieren, ein Gesundheitsrisiko darstellt», warnt die IAEO. Diese Praxis habe Auswirkungen auf die Lebensmittelsicherheit, da das gepanschte Öl andere Verbindungen enthalten kann, die potenziell giftig oder schädlich seien.
«Honigbetrug ist ebenfalls weit verbreitet, wobei billigere Süssungsmittel wie Maissirup mit hohem Fruchtzuckergehalt dem natürlichen Honig zugesetzt werden», so die IAEO. Die Analyse stabiler Isotope und schnelle Screening-Tools könnten dazu beitragen, Honigverfälschungen aufzudecken, Behauptungen über die pflanzliche oder geografische Herkunft zu überprüfen und echten Manuka-Honig – der einen hohen Preis hat – von gefälschten Versionen zu unterscheiden. Manuka-Honig wird von Honigbienen aus dem Blütennektar der Südseemyrte (Manuka-Baum) erzeugt, welche in bergigen Regionen Neuseelands und Südost-Australiens wächst. Der Honig weist antimikrobielle Eigenschaften auf und wird auch zur Unterstützung der Wundheilung eingesetzt. Je nach Gehalt dieser antimikrobiellen Substanzen kostet ein Kilo Honig bis zu CHF 900 und ist somit für Betrüger sehr lukrativ.
Ebenfalls einen hohen Preis haben die slowenischen weissen Trüffel «tuber magnatum pico» mit einem Kilopreis von mehreren tausend Euro und gewisse Kaffeesorten wie der «Jamaica Blue Mountain» für den man über CHF 100 pro Kilogramm bezahlt. Von Betrug können aber auch kostengünstige Gewürze wie Paprika betroffen sein.
Bei Fisch und Meeresfrüchten kommt es auch gemäss einer Studie der FAO aus dem Jahr 2018 häufig zu Etikettenfälschungen, bei denen eine billigere Fischart oder Meeresfrucht als teurere Sorte verkauft wird – eine Praxis, die nicht nur die Verbraucher täuscht, sondern auch die Bemühungen um den Schutz gefährdeter Populationen vor Überfischung untergräbt. In den letzten Jahren haben sich einige Massnahmen und Entwicklungen im Kampf gegen Fischbetrug ergeben, um die Transparenz in der Lieferkette und die Genauigkeit der Etikettierung zu verbessern. Die Analyse stabiler Isotope wird zunehmend zur Bekämpfung von Fischbetrug eingesetzt. Mit ihr können Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler laut IAEO überprüfen, ob die Produkte korrekt gekennzeichnet sind, und sogar zwischen Zucht- und Wildfängen unterscheiden.
Isotope helfen Nuklearwissenschaftler Lebensmittelbetrug aufzudecken
Das 2019 gestartete IAEO-Projekt unterstützt Länder bei der Anwendung der Analyse stabiler Isotope. Doch wie funktioniert diese genau? Jedes Element hat eine chemische Identität, die durch seine atomare Zusammensetzung definiert ist, die aus Neutronen, Protonen und Elektronen besteht. Isotope sind Atome, die die gleiche Anzahl von Protonen, aber eine unterschiedliche Anzahl von Neutronen haben. Stabile Isotope sind nicht radioaktiv und können in einem breiten Spektrum von Anwendungen wie in der Lebensmittelforensik und der Aufdeckung von Lebensmittelbetrug eingesetzt werden. Stabile Isotope werden mit Hilfe der Isotopenverhältnis-Massenspektrometrie (IRMS) gemessen.
«In einer Produktprobe untersucht die [IRMS-]Methode das Verhältnis stabiler Isotope in Elementen – wie Wasserstoff, Sauerstoff und Kohlenstoff – und die Konzentration von Elementen», erklärt die IAEO die Funktionsweise. Damit liessen sich sehr kleine Unterschiede in den Verhältnissen der schweren und leichten Formen der Isotope feststellten. «Diese Verhältnisse sind wie die ‹Fingerabdrücke› oder Signaturen der Natur, die in einem Lebensmittel eingeschlossen sind.» Anhand dieser versteckten Beweise kann man beispielsweise feststellen, ob Lebensmittel die auf dem Etikett angegebenen Zutaten enthalten. Bei Unstimmigkeiten im Vergleich zu den erwarteten Isotopensignaturen eines Produkts hingegen erhält man Hinweise auf eine Fälschung. Rückschlüsse auf den Herstellungsprozess könne man mit IRMS ebenfalls ziehen und so zwischen biologisch und konventionell erzeugten Lebensmitteln unterscheiden.
Auch lasse sich der einzigartige Fingerabdruck einer Probe mit dem Ort das Anbaus der Kulturpflanze in Verbindung bringen und können somit Angaben zur geografischen Herkunft eines Lebensmittels gemacht werden. Hierzu ist laut IAEO aber eine Datenbank mit Referenzwerten authentischer Produkte notwendig, mit denen eine gemessene Probe verglichen werden kann. Neure Forschungen zielen darauf ab, Isotopensignaturen anhand von Klimadaten für einen bestimmten Ort vorherzusagen, sodass es keine kostspieligen Vergleichsdatenbanken brauchen würde.
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Neben der Isotopenverhältnis-Massenspektrometrie gibt es auch Schnellscreening-Methoden für Lebensmittel. Beispielsweise hat die IAEO in Slowenien die Infrarotspektroskopie und andere Techniken wie die Headspace-Gaschromatographie-Ionenmobilitätsspektroskopie für die Analyse von Proben von Olivenöl im Labor oder direkt auf dem Feld eingesetzt.
Weitere Informationen zur Situation in der Schweiz
Im Artikel wurde bereits erwähnt, dass auch die Schweiz nicht von Lebensmittelbetrug verschont bleibt. Beim europaweiten Lebensmittelskandal im Jahr 2013 um falsch deklarierte Lasagne-Produkte war auch die Schweiz betroffen und Produkte wurden entdeckt, die nicht nur das deklarierte Rindfleisch, sondern auch nicht deklariertes Pferdefleisch enthielten.
Zwischen Juli 2019 und November 2021 führte die EU eine koordinierte Kontrollkampagne zu Kräutern und Gewürzen durch, an der ebenfalls die Schweiz teilnahm. Laut Schweizer Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) wurden Unstimmigkeiten auch bei Proben aus der Schweiz identifiziert.
Im Jahr 2021 wurden in der Schweiz gleich drei parlamentarische Vorstösse gutgeheissen, die auf mehr Kontrollen und eine bessere Vernetzung mit den europäischen Behörden abzielen.
Ebenfalls 2021 berichteten viele Medien darüber, dass Botaniker der Universität Basel eine Methode entwickelt haben, um betrügerische Angaben zur Herkunft von Lebensmitteln aufzudecken. Dabei geht es um die Analyse, mit der weiter oben erwähnten Methode der stabilen Sauerstoffisotope. Damit keine kostspieligen Referenz- und Vergleichsdatenbanken entwickelt werden müssen, haben die Wissenschaftler ein Computermodell entwickelt. Das Sauerstoffisotopenverhältnis in einer Pflanze kann mit diesem anhand von Wetterdaten und Informationen zur Wachstumszeit einer Pflanze errechnet werden.
Verfasser/in
B.G. nach IAEO, Online-Artikel: «IAEA Launches Project to Help Countries Fight Food Fraud», 22. Mai 2019; und Artikel im IAEO-Bulletin, Volume 65-2: «The Top Three Food Frauds and how Nuclear Scientists can Help Detect them», September 2024; Online-Artikel «What Is Food Fraud, and How Can Nuclear Science Detect It?», 19. August 2024, sowie weiteren Quellen