Natrium-Kernkraftwerk der Generation IV von TerraPower

Der Reaktorhersteller TerraPower wird in Kemmerer (USA) seinen Natrium-Reaktor bauen und ein Kohlekraftwerk ersetzen. Der Antrag zur Baugenehmigung ist eingereicht. Bauarbeiten für den nicht nuklearen Teil starten bereits diesen Sommer. Höchste Zeit, uns den Reaktor der Generation IV von Bill Gates näher anzuschauen.

20. Aug. 2024
Überblick Natrium Anlage in Kemmerer
Fotorealistische Darstellung des Natrium-Demonstrationsprojekts von TerraPower am Standort Kemmerer.
Quelle: TerraPower

Das kommerzielle Stromerzeugungs- und -speichersystem Natrium wurde im August 2020 von TerraPower und GE Hitachi Nuclear Energy (GEH) vorgestellt. Sie wollen noch in diesem Jahrzehnt in Kemmerer im amerikanischen Bundesstaat Wyoming das erste Natrium-Demonstrationskraftwerk in Betrieb nehmen. TerraPower ist ein amerikanischer Reaktorentwickler, der 2006 von Microsoft-Mitbegründer Bill Gates gegründet wurde. GEH hat die Rolle des technologischen Mitentwicklers.

Technik von Natrium im Überblick
Herzstück des Natrium-Systems ist ein natriumgekühlter Schneller Reaktor mit einer elektrischen Leistung von 345 MW. Er gehört zur Generation IV und damit zu den fortgeschrittenen Reaktoren. Der Natrium-Reaktor erzeugt Hochtemperaturwärme, die sofort zur Stromerzeugung genutzt oder für Stunden im integrierten Energiespeichersystem gespeichert werden kann. Das Speichersystem kann laut TerraPower «enorme Energiemengen speichern, die um Grössenordnungen grösser sind als die in typischen Batteriespeichern gespeicherte Energie». Es ermöglicht eine flexible Stromerzeugung in einem Stromnetz mit einem hohen Anteil an erneuerbaren Energien. Um Nachfragespitzen bei der Stromversorgung abzudecken, kann das System dank des Speichers seine Leistung für mehr als fünfeinhalb Stunden auf 500 MW erhöhen. Das Speichersystem basiert auf Flüssigsalzen, wie sie auch in der solarthermischen Stromerzeugung eingesetzt werden. Auch kann Prozesswärme zur Nutzung abgegeben werden.

Als Kernbrennstoff benötigt Natrium sogenanntes High-Assay Low-Enriched Uranium (Haleu) in Form fester Brennstäbe. Haleu ist zwischen 5% und 20% mit spaltbaren Uran-235 angereichert. TerraPower gibt an, dass sein Reaktor das Uran viermal effizienter nutze als ein Leichtwasserreaktor. Die USA und weitere Länder wie Grossbritannien sind auf gutem Weg, den Brennstoff selbst herzustellen und somit Russland als Lieferanten zu ersetzen. «Die neuartige Architektur der Natrium-Technologie stellt eine Vereinfachung bisheriger Reaktortypen dar», beschreibt TerraPower einen Vorteil seiner Anlage. «Die nicht nuklearen mechanischen, elektrischen und sonstigen Ausrüstungen werden in separaten Strukturen untergebracht, was die Komplexität und die Kosten reduziert.» Die Auslegung soll erhebliche Kosteneinsparungen ermöglichen, da grosse Teile der Anlage nach Industriestandards gebaut werden können. Durch die Optimierungen werden weniger Anlagenschnittstellen benötigt. Dies trägt dazu bei, dass die Menge an Beton in Nuklearqualität im Vergleich zu grossen Reaktoren um 80% reduziert werden kann, bezogen auf das Megawatt elektrischer Leistung. Dazu trägt auch die kompakte Bauweise des passiv gekühlten, kompakten Reaktors bei, der mit einem Arbeitsdruck nahe dem Atmosphärendruck arbeitet. Teure Druckhaltesysteme und druckfeste Bauwerke lassen sich so vermeiden.

Schnittzeichnung
Schnittzeichnung mit den wichtigsten Gebäuden des Natrium-Reaktors.
Quelle: TerraPower

Natrium besitzt inhärente Sicherheitsmerkmale
Die Auslegung bietet viele inhärente Sicherheitsmerkmale, die Unfälle verhindern sollen. Natrium ist ein Schwimmbadreaktor, wodurch der Reaktorbehälter unterhalb des Deckels keine Durchführungen besitzt, was die Möglichkeit eines Lecks oder Kühlmittelverlusts durch eine gebrochene Leitung ausschliesst. Als Reaktorkühlmittel wird flüssiges Natrium eingesetzt, das mit 882 Grad Celsius einen wesentlich höheren Siedepunkt besitzt als Wasser, das zur Kühlung herkömmlicher Reaktoren verwendet wird. «Der Reaktor wird bei einer Temperatur betrieben, die mehr als 350 Grad Celsius unter dem Siedepunkt von Natrium liegt», hält TerraPower fest.

Ausserdem besitzt flüssiges Natrium eine hervorragende Wärmeleitfähigkeit und kann grosse Mengen an Wärme aufnehmen, sodass selbst bei natürlicher Zirkulation die Wärme effizient aus dem Reaktorkern abgeführt werden kann. Es sind keine Pumpen und keine Notstromversorgung erforderlich, um nach der Abschaltung sichere Bedingungen aufrechtzuerhalten.

«Der Reaktor verfügt über einen sogenannten globalen negativen Temperaturkoeffizienten und sucht im Falle einer unerwarteten Temperaturerhöhung automatisch nach sicheren Bedingungen mit niedriger Leistung», sagt der Reaktorentwickler. Die inhärenten Sicherheitsmerkmale und der Betrieb nahe dem Atmosphärendruck bedeuten auch, dass keine grosse Notfallschutzzone um das Kernkraftwerk erforderlich ist, was die Standortoptionen gemäss TerraPower «erheblich erweitert».

Ersatz von Kohlekraftwerken: bestehende Infrastruktur weiter nutzen
TerraPower sieht Natrium als idealen Ersatz für stillzulegende Kohlekraftwerke. Der Bau an einem bestehenden Energiestandort hat den Vorteil, dass ein Teil der bereits vorhandenen Strukturen wie der Kühlturm oder die Anbindung an das Stromnetz weiter genutzt werden können. Ausserdem gibt es vor Ort bereits Fachleute aus dem Energiebereich.

Die Grösse der Anlage beträgt rund 18 Hektar, wobei der nukleare Teil eine Fläche von 6,5 Hektar einnimmt. Das Natrium-System hat somit eine kleinere Grundfläche als heutige Kernkraftwerke mit mehreren Leichtwasserreaktorblöcken. Bezogen auf die Nennleistung hat es ebenfalls eine kleinere Grundfläche als andere Reaktoren der Generation IV.

Energiekreislauf
Der Energiekreislauf des Stromerzeugungs- und -speichersystems Natrium.
Quelle: TerraPower

Rückblick auf das Projekt in Kemmerer
Nach der Vorstellung des Natrium-Projekts im August 2000 erhielt TerraPower im Oktober 2020 vom amerikanischen Department of Energy (DOE) eine Anschubfinanzierung in Höhe von USD 80 Mio. im Rahmen des Advanced Reactor Demonstration Program (ARDP). Ziel des Programms ist es, die Demonstration fortgeschrittener Kernreaktoren in den USA zu beschleunigen, indem die Privatindustrie unterstützt wird. Im Mai 2021 wurde die Kooperationsvereinbarung zwischen dem DOE und TerraPower im Rahmen des ARDP formalisiert.

Im Rahmen des ARDP sollen zwei fortgeschrittene Kernreaktoren innerhalb von sieben Jahre erprobt, lizenziert und gebaut werden. Der vom Kongress vorgegebene ARDP-Zeitplan für TerraPower sieht vor, dass die Natrium-Demonstrationsanlage somit bis 2028 fertiggestellt sein muss. Ende 2022 gab TerraPower bekannt, dass sich die Inbetriebnahme der Demonstrationsanlage rund zwei Jahre verzögern werde. Dies weil Russland in Folge des Ukraine-Kriegs für die USA kein akzeptabler Lieferant für Haleu mehr sei. Im Mai 2024 bestätigte TerraPower 2030 als angestrebtes Inbetriebnahmejahr von Natrium.

Die öffentlich-private Partnerschaft zwischen dem DOE und dem Reaktorentwickler beruht auf Kostenteilungsbasis. Das heisst, dass sich die Privatwirtschaft mit gleich hohen Beiträgen an den Projekten beteiligen muss. Neben Terrapower profitiert auch X-energy mit seinem gasgekühlten Hochtemperaturreaktor Xe-100 von dieser Förderung. Zusätzlich zu den USD 160 Mio. Anfangsfinanzierung unterstützt das DOE in den nächsten Jahren die beiden Reaktorprojekte mit insgesamt USD 2,5 Mrd. aus dem Bipartisan Infrastructure Law.

TerraPower gab im Juni 2021 bekannt, dass das erste Natrium-Demonstrationsprojekt im Bundesstaat Wyoming gebaut werden soll, an einem Standort eines stillzulegenden Kohlekraftwerks. In den Medien wurde berichtet, dass Gillette, Kemmerer, Rock Springs und Glenrock als Standorte diskutiert würden. Im November 2021 entschied sich TerraPower schliesslich für Kemmerer. Natrium soll dort die beiden Blöcke des Kohlekraftwerks Naughton ersetzen, das 2025 stillgelegt wird. Die Begründung für die Wahl von Kemmerer war: «Zu den Faktoren gehörten die Unterstützung durch die Gemeinde, die physischen Merkmale des Standorts, die Eignung des Standorts für die Erteilung einer Genehmigung durch die amerikanische Nuclear Regulatory Commission (NRC), der Zugang zu bestehender Infrastruktur und die Anforderungen des Stromnetzes.»

Antrag auf Baugenehmigung ist eingereicht
Am 29. März 2024 reichte TerraPower für sein Natrium-Reaktor-Demonstrationsprojekt bei der NRC einen Antrag auf Baugenehmigung ein. Es ist in den USA der erste Antrag auf Baugenehmigung für einen kommerziellen fortgeschrittenen Reaktor. «Dieser Antrag ist ein weiterer Schritt auf dem Weg, den Natrium-Reaktor auf den Markt zu bringen», sagte Chris Levesque, Präsident und CEO von TerraPower.

GNF-A
Global Nuclear Fuel-Americas (GNF-A) und TerraPower wollen am existierenden Produktionsstandort von GE Hitachi Nuclear Energy in Wilmington (North Carolina) ab 2026 eine Anlage zur Herstellung von Natrium-Brennstoff bauen. Diese soll 2030 in Betrieb gehen. Im Oktober 2022 wurde eine Vereinbarung dazu unterzeichnet.
Quelle: GNF-A

Wie sieht der weitere Zeitplan aus?

Nachdem Terrapower 2024 bei NRC den Antrag auf Baugenehmigung gestellt hatte, wird «das Team Brennstoffe und Ausrüstungen testen und mit der Industrie zusammenarbeiten, um den für das Demonstrationsprojekt benötigten Brennstoff Haleu und Ausrüstungen zu beschaffen», verkündete der Reaktorentwickler. 2024 soll zudem der Bau des nicht nuklearen Teils der Anlage beginnen.

«Sobald die Baugenehmigung erteilt ist, wird das Team ab 2025 mit der nuklearen Bauphase des Projekts beginnen», sagte TerraPower. 2026 soll bei der NRC der Antrag auf Betriebsgenehmigung gestellt werden. Währenddem die NRC den Antrag prüft, will das Unternehmen das Betriebspersonal schulen und Brennstoff herstellen. Nach dem Erhalt der Betriebsbewilligung kann das Beladen des Reaktors mit Brennstoff beginnen. «Am Ende des Projekts wird die Natrium-Demonstrationsanlage ein von der NRC zugelassener Reaktor im Netzmassstab sein, der den kommerziellen Betrieb aufnimmt», schreibt TerraPower. Das Natrium-Team werde dann auch die Infrastruktur geschaffen haben «die für einen künftigen Reaktorpark in den Vereinigten Staaten und sogar weltweit erforderlich ist». TerraPower geht davon aus, dass sein kommerzielles Natrium-Kraftwerk etwa eine Milliarde US-Dollar kosten wird.

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The Natrium™ Reactor and Energy Storage System

Zukunftspläne mit leistungsstärkeren Brut-Reaktoren
«Die Natrium-Demonstrationsanlage dient der Erprobung der Systeme und des Betriebs der ersten Generation von 345-MWe-Anlagen sowie der Qualifizierung zahlreicher Komponenten für die nachfolgenden grösseren Brut- und Verbrennungsanlagen», schreibt Terrapower. Diese Reaktoren mit ähnlichem Design und Leistung will TerraPower dann zusammen mit dem Energiespeichersystem vermarkten. Je nach Anforderungen des Marktes könne es auch leistungsstärkere Natrium-Reaktoren bis hin zu einer elektrischen Leistung im Gigawatt-Bereich geben. Auf der Firmenwebsite ist eine Natrium-Version mit einer elektrischen Leistung von 600 MW aufgeführt, die sich ihren Brennstoff erbrüten kann und sich auch mit natürlichem, nicht angereichertem Uran oder sogar abgereichertem Uran betreiben lässt. «Im Inneren des Reaktorkerns wandelt der Reaktor einen Teil des U-238 in ein spaltbares Isotop (Pu-239) um, das er dann mit einzigartig hoher Effizienz als Brennstoff verwendet», schreibt TerraPower. Der ultimative Natrium-Reaktor soll sich den Brennstoff ebenfalls selbst erbrüten und eine elektrische Leistung von 1000 MW haben.

Verfasser/in

B.G. nach TerraPower

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