Kernfragen: Perspektiven aus Ungarn und Spanien
Teil 4 unser Interviewserie über das internationale Image der Atomkraft
In unserer Interviewserie zum internationalen Image der Kernenergie werfen wir diesmal einen Blick nach Ungarn und Spanien. Wie wird Atomkraft in diesen Ländern betrachtet? Welche Unterschiede gibt es zur Schweiz? Und wie steht die Bevölkerung zur Kernenergie? Wir haben Dr. Rita Szijárto aus Ungarn und Patricio Hidalga aus Spanien, beide tätig in den Schweizer Kernkraftwerken Gösgen und Leibstadt, dazu befragt. Ihre persönlichen Erfahrungen und Einblicke bieten eine spannende Perspektive auf die Kernenergie im internationalen Kontext.
Dr. Rita Szijárto, Senior Projektleiterin PSÜ, Kernkraftwerk Gösgen - Ungarn
Meine Leidenschaft für die Kernphysik und Reaktortechnologien begann während meiner frühen Ausbildung, insbesondere durch meine Faszination für Physik in der Grundschule und Gymnasium. Ich habe viele Bücher über die Beiträge ungarischer Wissenschaftler wie Leo Szilard, Ede Teller und Jenö Wigner auf dem Gebiet der Kerntechnologie gelesen und ich habe an vielen Physik-Fachwettbewerbe teilgenommen. Die Kernphysik sprach mich an und veranlasste mich, ein Studium in Physik zu absolvieren und mich auf Kerntechnologie zu spezialisieren. Meine Masterarbeit konzentrierte sich auf die Kühlung von Brennstäben in dem Trainingsreaktor an der Technische Universität Budapest. Anschliessend promovierte ich am Paul Scherrer Institut in der Schweiz und fand eine Stelle in der schweizerischen Kernenergiebranche. Ich bin seit Anfang dieses Jahres im KKG als Senior Projektleiterin angestellt.
Patricio Hidalga García-Bermejo, Spezialist für deterministische Sicherheitsanalysen im Kernkraftwerk Leibstadt (KKL) - Spanien
Ich habe an der Polytechnischen Universität Valencia studiert, was dem Maschinenbau im deutschsprachigen Raum entspricht. Von allen Branchen hat mich vor allem die Technologie zur Energieerzeugung fasziniert. Damals, im Jahr 2010, war die Nuklearindustrie weltweit führend und Deutschland schien eine vielversprechende Chance zu bieten.
Ich hatte einen Erasmus-Aufenthalt am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) geplant und einen Professor für meine Masterarbeit gefunden. Zwei Wochen später ereignete sich jedoch der Unfall in Fukushima. Obwohl ich meine Masterarbeit am KIT abgeschlossen habe, waren in Deutschland plötzlich alle Türen verschlossen. Ich musste zurück nach Spanien und eine Alternative finden.
Ich schrieb mich für einen Master in Energieeffizienz ein und suchte nach einem Unternehmen für meine Abschlussarbeit. Kurz vor Vertragsunterzeichnung kam jedoch eine meiner Professorinnen aus der Nuklearbranche auf mich zu: Sie hatten ein Projekt von einem Schweizer Kernkraftwerk erhalten und brauchten jemanden für eine Doktorarbeit, der dieses Projekt entwickeln konnte. Es schien, als hätte das Leben für mich einen Platz in der Nuklearindustrie vorgesehen.
Nach sieben Jahren Zusammenarbeit mit dem KKL und kurz vor dem Abschluss meiner Doktorarbeit erhielt ich das Angebot, im KKL als Fachspezialist für deterministische Sicherheitsanalysen zu arbeiten. Seitdem sind fünf Jahre vergangen und ich habe nicht aufgehört zu lernen. Es war definitiv eine sehr gute Gelegenheit.
«In Spanien taucht die Kernenergiefrage selten in politischen Diskussionen auf.»
Sie kommen aus Ungarn und Spanien. Wie ist die der Status der Kernenergie dort, und wie wird sie ihrer Meinung nach in der Öffentlichkeit wahrgenommen?
Rita Szijárto: Die Forschung in Kernenergie hat eine lange Geschichte in Ungarn, seit den 1960er Jahren gibt es Forschungsreaktoren in Budapest. Der Trainingsreaktor der Technischen Universität Budapest befindet sich mitten in der Stadt.
Die Kernenergie trägt mit etwa 40% zur Energieerzeugung in Ungarn bei, durch die vier VVER-Kernreaktoren in Paks. Im Jahr 2009 wurde eine vorläufige Genehmigung für ein Neubauprojekt erteilt. Anstatt jedoch einen offenen Ausschreibungsprozess durchzuführen, entschied sich die Regierung im 2014 für eine Vereinbarung mit Rosatom zum Bau von zwei Reaktoren in Paks.
Das öffentliche Vertrauen und die Akzeptanz der Kernenergiebranche in Ungarn sind hoch, und dies hat sich auch nach dem INES-3 Unfall im Jahr 2003 während des Brennelementreinigungsprozesses, bei dem 30 Brennelemente beschädigt wurden, nicht geändert. Die Öffentlichkeit hat ein allgemeines Vertrauen in die Sicherheit von Kernkraftwerken und versteht die Notwendigkeit, neue Kapazitäten auszubauen, um den eigenen Energiebedarf sicherzustellen.
Es gibt jedoch Bedenken hinsichtlich des Auswahlprozesses der russischen Technologie für das Projekt Paks 2 und die fehlende Transparenz bei den Vertragsverfahren, wobei Verträge für das Projekt bis zu 30 Jahre lang nicht öffentlich zugänglich sind. Verzögerungen bei Bau und Lizenzierung haben das öffentliche Ansehen des Projekts Paks 2 weiter beeinträchtigt.
Patricio Hidalga: Meiner Meinung nach befindet sich Spanien in einer Position zwischen Deutschland und der Schweiz. Es gibt eine Nukleartradition mit sieben Kernkraftwerken, Zwischenlagern und sogar einem Brennelementhersteller. Nach Fukushima stellte sich die Frage, inwieweit die spanische Gesellschaft die Nuklearindustrie weiterhin unterstützen möchte. Nach dem Vorbild Deutschlands sah es so aus, als müssten alle Kernkraftwerke nach und nach abgeschaltet werden. Das Problem der Stromversorgung macht diese Entscheidung jedoch nicht einfach und realistisch betrachtet schwierig. Insgesamt haben die Menschen in Spanien eine sehr kritische Einstellung. Ich habe oft von Bekannten gehört, dass sie ohne fundierte Kenntnisse keine feste Meinung über die Zukunft der Kernenergie haben können. Das habe ich auch bei Schülern und Schülerinnen bemerkt, als ich Informationsgespräche in Schulen als Mitglied der Jugendorganisation der Spanischen Nukleargesellschaft geführt habe. Ein weiteres Indiz ist, dass die Kernenergiefrage selten in politischen Diskussionen auftaucht. Die grossen Parteien haben meiner Ansicht nach keine klare Position. Die Betreiber der Anlagen üben Druck auf die Regierung aus, um mehr finanzielle Vorteile zu erhalten, da das Geschäft nicht mehr rentabel ist. Inzwischen wurde das Kernkraftwerk Garoña stillgelegt und die Betriebslizenz des Kernkraftwerks Cofrentes verlängert.
«In Ungarn sind Kernenergie und -technologien Bestandteil der Lehrpläne an Schulen.»
Warum glauben Sie, hat die Kernenergie in Ihrem Heimatland dieses Image? Was tun Industrie, Unternehmen oder Regierung, um über die Kernenergie zu informieren und wie unterscheidet sich dies von der Schweiz?
Rita Szijárto: Kernenergie und -technologien sind Bestandteil der Lehrpläne an Schulen, und die Rolle ungarischer Wissenschaftler bei der Entwicklung der Kernenergie wird gefeiert. Die Region um das Kernkraftwerk Paks zeigt eine hohe Akzeptanz und Wertschätzung für das Kraftwerk, das einer der grössten Arbeitgeber der Region ist und Unterstützung für lokale Sportvereine und Schulen bietet.
Im Gegensatz zu Ländern wie der Schweiz oder Deutschland ist Kernenergie in Ungarn kein Hauptthema der politischen Diskussion, obwohl es in der Vergangenheit Versuche gab, dies zu ändern. Es gab kein Referendum über das Projekt Paks 2 und die Kritik konzentrierte sich in erster Linie auf die fehlende Transparenz bei den Verträgen mit Rosatom. Die Notwendigkeit eines erweiterten Kapazitätsausbaus in der Kernenergie wurde weniger thematisiert.
Patricio Hidalga: Ich muss sagen, dass ich die Situation in Spanien nicht sehr gut kenne und mir möglicherweise Informationen fehlen. Trotzdem bin ich der Meinung, dass die Parteien eine Position haben, die vollständig ihrer politischen Tradition entspricht: Linksparteien sind dagegen, Rechtsparteien dafür und Extremparteien sind einfach opportunistisch. Sie können sich das leisten, weil die Bevölkerung nicht viel Interesse an der Frage hat. Im Hintergrund versuchen die Betreiber der Kernanlagen, ihre Interessen zu verteidigen. Sie können sich das leisten, weil die Abschaltung der Kernkraftwerke keine eindeutig gute Entscheidung ist, insbesondere in Bezug auf Klimaziele und Energieversorgung.
Verfasser/in
S.D.