«Ich wünsche mir mehr Redlichkeit in der Energiepolitik»

Ruth Williams, Präsidentin von Women in Nuclear (WiN) Schweiz, bringt uns den Verein im Interview näher und erklärt, warum es für Politik und Wirtschaft wichtig ist, Frauen für Kernenergie zu begeistern. Ausserdem gibt sie einen Einblick auf ihren Weg in die Kernenergiebranche.

17. Juli 2023
WiN-Treffen
Treffen zwischen WiN Schweiz, Deutschland, Finnland und Schweden.
Quelle: WiN

Frau Williams, Sie sind Präsidentin von Women in Nuclear Schweiz. Was macht der Verein WiN in der Schweiz und global und was sind Ihre Aufgaben dort?
WiN global hat rund 35’000 Mitglieder in rund 140 Ländern und 60 Ländervertretungen, sogenannte Chapters. Alle diese in und mit nuklearen Technologien tätigen Frauen möchten mehr Bewusstsein schaffen für den grossen Nutzen der friedlichen nuklearen Anwendungen. Die entscheidende Bedeutung der Kernenergie für den Klimaschutz liegt uns dabei ganz besonders am Herzen. WiN ist auch ein Netzwerk, dass sich für die Förderung von Frauen in kerntechnischen Berufen engagiert. Wir möchten also junge Frauen für eine kerntechnische Ausbildung motivieren. WiN Global beispielsweise pflegt ein Young Generation Netzwerk, das Mentoring-Programme für junge Frauen fördert. Zudem unterstützen wir uns gegenseitig mit Networking, Weiterbildungen, Jobangeboten etc. Die Kerntechnik ist immer noch eine männerdominierte Branche, das Ziel wäre aber die Gleichheit aller Geschlechter. Das alles gilt auch für WiN Schweiz.

Ich bin als Präsidentin die Schnittstelle zu WiN global und diene quasi als Botschafterin. Es wird auch in Zukunft mein Job sein, WiN Schweiz bei der jährlichen WiN-Global-Konferenz zu vertreten.

Wie sind Sie in die Nuklearbranche gekommen?
Das war reiner Zufall. Ich hatte ursprünglich Literatur studiert und mit Technik gar nichts am Hut. Wie alle meine Freunde war ich damals Mitglied bei Greenpeace und antinuklear. Als ich kurzfristig einen Temporärjob brauchte, landete ich als Assistentin bei der Leitung des Forschungsbereichs Nukleare Energie und Sicherheit in der Kernforschung des Paul Scherrer Instituts. Daraus wurden dann fast neun spannende Jahre im PSI.

Warum setzen Sie sich für die Kernenergie ein?
Die Arbeit und die Diskussionen mit den Wissenschaftlern im PSI haben mir die Augen geöffnet. Ich musste damals Texte zur ganzheitlichen Betrachtung von Energiesystemen übersetzen. Hierbei lernte ich viel. Diese «Von der Wiege bis zur Bahre»-Analysen, sogenannte Life-Cycle-Analysen, stellten der Kernenergie für mich bezüglich Ökobilanz ein überraschend gutes Zeugnis aus, vergleichbar mit den neuen erneuerbaren Technologien. Ich realisierte, dass die Kernenergie sogar klare Vorteile hat: Sie braucht vergleichsweise wenig Rohstoffe und Raum. Sie verursacht besonders wenig Luftschadstoffe, was ganz konkret auch der Gesundheit des Menschen zugutekommt. Und sie ist sehr klimafreundlich. Aus meiner Sicht ist sie schlicht unerlässlich, wenn wir im Klimaschutz effizient vorwärtskommen wollen. Denn nur Kernenergie liefert die dazu nötigen grossen Mengen an klimafreundlichem Strom – und das zuverlässig, regelbar und erst noch bezahlbar. Ich finde Kernenergie heute wichtiger denn je.

Warum ist es wichtig, Frauen für die Kernenergie zu gewinnen?
Wir leben in einer direkten Demokratie und rund die Hälfte der Personen, die abstimmen gehen, sind Frauen. Nicht alle darunter wissen, worum es bei der Kernenergie geht, und kennen ihren grossen Nutzen für Natur, Gesellschaft und Wirtschaft. Wir würden uns wünschen, dass möglichst viele Frauen in der Energiepolitik wirklich informierte Entscheide treffen. Also mehr wissen und weniger meinen. Ausserdem käme es der Wirtschaft zugute, wenn auch mehr Frauen in der Kerntechnik arbeiten würden, denn offenbar sind Unternehmen erfolgreicher, wenn der Anteil an Frauen steigt.

Ganz grundsätzlich ist es zu begrüssen, wenn sich mehr Frauen für MINT-Fächer interessieren und in technische Berufe einsteigen. Gerade die Kerntechnik ist viel zu faszinierend, als dass wir sie einfach den Männern überlassen sollten! In Forschung und Entwicklung tut sich derzeit so viel, da wäre es jammerschade, wenn die Frauen die nukleare Energiezukunft verpassen würden.

Umfragen zeigten, dass Frauen in Bezug auf Kernenergie skeptischer sind als Männer. Was glauben Sie, führt zu diesem signifikanten Unterschied?
Ich glaube, hierzulande sind Frauen tendenziell weniger technikaffin als Männer und haben Berührungsängste mit der Kernenergie. Und daraus ergeben sich Unwissen und Vorurteile. Auch wurde die Kernenergie in den Medien und von der grünen Bewegung praktisch nur über die Unfälle in Tschernobyl und Fukushima geframt. Kernenergie wurde dabei gleichgesetzt mit grossen Umweltschäden, unkontrollierbarem Risiko, gefährlicher Strahlung und vielen giftigen Abfällen. Und das macht – ohne jetzt in Geschlechterklischees fallen zu wollen – den bezüglich Umwelt und Gesundheit etwas sensitiveren Frauen einfach mehr Angst als den auch eher weniger risikoaversen Männern.

Wie kann man Ihrer Meinung nach mehr Frauen von der Kernenergie überzeugen?
Primär müssen wir weiter Wissen vermitteln und aufklären. Und aus meiner Erfahrung ist es dabei von Vorteil, wenn sich Fachfrauen und Laiinnen miteinander über Kerntechnik unterhalten, wenn das Wissen also von Frau zu Frau vermittelt wird. Frauen sprechen untereinander offener miteinander, das habe ich bei den Besucherführungen im Kernkraftwerk immer wieder erlebt.

Mir ist ein Anliegen, die grüne Seite der Kernenergie mehr zu zeigen: Dass und warum die Kernenergie im Vergleich mit den erneuerbaren Alternativen zur Stromerzeugung absolut mithalten kann und dass sie vor allem im Klimaschutz wirklich unabdingbar ist. Wir müssen deshalb auch darüber sprechen, wie enorm anspruchsvoll die Dekarbonisierung ist, wir müssen Relationen und Zusammenhänge aufzeigen und darlegen, warum die Erneuerbaren das nur zusammen mit der Kernenergie stemmen können. Ein weiteres Thema wäre weiterhin zu erklären, warum die Schweizer Kernkraftwerke zwar älter werden, aber sicher bleiben. Und natürlich spreche ich gerne darüber, dass die noch junge Kerntechnik sich rasant weiterentwickelt und Zukunft hat.

Im Idealfall entsteht aus dem Verstehen dann auch Vertrauen. Ohne Vertrauen geht es nicht. Aber nicht jede Frau mag alles Technische mittragen. Dann geht der direkte Weg zur Akzeptanz der Kernenergie über das Vertrauen zur Auskunftsperson. Auch die Betreiber der Kernkraftwerke sind hier direkt gefordert. Es ist eminent wichtig, dass sie in der ganzen Bevölkerung, nicht nur bei den Frauen, Vertrauen zur Kernenergie schaffen und pflegen.

WiN Schweiz ist ja Teil des grossen internationalen Netzwerks WiN global. Wie läuft da die Zusammenarbeit und wie unterscheidet sich die Schweiz von anderen Ländern und Regionen?
WiN global trifft sich vor allem an der jährlichen Konferenz, die immer in einem anderen Land stattfindet. Da tauschen sich die verschiedenen Chapters aus. WiN Global organisiert Weiterbildungen und Kurse, an denen auch Schweizer WiNners teilnehmen können. WiN Schweiz hat sich bislang vor allem innerhalb Europas mit anderen WiN-Chapters ausgetauscht. Wir nehmen an Treffen innerhalb Europas teil und veranstalten insbesondere mit WiN Germany gemeinsame kurze Weiterbildungen, die sich «WiNeXpresso» nennen.

WiN Schweiz ist aber im Unterschied zu anderen Sektionen sehr klein. Wir haben rund 50 Mitglieder. Im Vergleich: UK hat 1200 und sogar die Türkei hat mit gegen 190 Frauen weit mehr Mitglieder.

Unsere Mittel und unser Aktionsspielraum sind deshalb eher bescheiden. Dass die Schweiz im Energiegesetz das Auslaufen der Kernenergie verankert hat, ist auch nicht hilfreich. In Ländern, die weiterhin auf Kernenergie setzen oder gar Neubauprojekte verfolgen, werden die Chapters deutlich mehr von der Branche getragen. Da herrscht viel Aufbruchsstimmung und der Support von WiN-Aktivitäten durch die Betreiber ist gross. In der Schweiz ist das nicht immer der Fall.

Was kann die Schweiz in Sachen Kernenergie von anderen Ländern lernen?
Von den nordischen Ländern kann die Schweiz einen pragmatischeren und weniger ideologischen Umgang mit Energietechnologien lernen. Die Grünen dort haben die Grösse zu sagen: Okay, wir haben dazu gelernt und müssen unsere Haltung ändern, es braucht die Kernenergie jetzt wirklich im Kampf gegen den Klimawandel. Von den asiatischen Ländern inklusive Russland könnte sie lernen, wie man effizient topmoderne und sichere Kernkraftwerke baut, von Nordamerika, wie man nukleare Entwicklungen mit viel Unternehmerspirit vorantreibt. Und von Deutschland kann die Schweiz lernen, wie man es nicht machen sollte: technisch einwandfreie KKW viel zu früh abstellen und die fehlende Grundlast durch fossilen Strom ersetzen. Deutschland erzeugt neben Bosnien und Polen in Europa den dreckigsten Strom. Nur wird Polen mit vier neuen Reaktoren aus den USA das bald ändern.

Was sind derzeit und auch zukünftig die grössten Herausforderungen für die Kernenergie in der Schweiz und weltweit?
Die nukleare Branche in den westlichen Ländern muss die neuen technischen Entwicklungen, so zum Beispiel die kleinen, modularen Reaktoren (SMR), zügig realisieren. Sie muss den Tatbeweis erbringen, dass sie «New Nuclear» kann, dass es funktioniert und bezahlbar ist. Dazu muss eine Menge Know-how erneuert und weiter ausgebaut werden. Asien ist dem Westen da einiges voraus. Die Branche muss zudem die nukleare Regulierung auf die neuen Entwicklungen anpassen und international harmonisieren – und auch dort ein Personal- und Kompetenzproblem lösen. Es darf schliesslich nicht sein, dass die Regulierungsbehörden zum Nadelöhr für die Renaissance der Kernenergie in Europa werden. Für die Schweiz würde ich es persönlich sehr begrüssen, wenn die Branche in der Politik ein paar Scheuklappen lösen könnte. Die Energiepolitik dürfte in diesem Diskurs wieder ehrlicher und realitätsnaher ausgerichtet werden. Denn bislang ging es in unserem Land ja wenig vorwärts mit der Versorgungssicherheit und dem Klimaschutz – die Treibhausgasemissionen haben im Jahr 2022 erneut zu- statt abgenommen. Unser Land muss wieder technologieoffen werden. Die Energiezukunft braucht volle Handlungsfreiheit und der Klimaschutz alle verfügbaren Technologien. Niemandem ist geholfen, wenn man für die Energiezukunft idealistische Schönwetterszenarien macht und Plan B der völlig anachronistische Rückschritt in die fossile Stromerzeugung ist. Auch die Schweiz kann schliesslich nicht den Fünfer und das Weggli haben: Alles erneuerbare Energie, aber bitte ohne massive Eingriffe in Ökosysteme und touristisch wertvolle Landschaft. Eine zuverlässige und regelbare Stromversorgung, aber bitte nur mit rein erneuerbarer Energie. Oder wirksamen Klimaschutz, aber ohne den langen Hebelarm der Kernenergie. Diese Rechnung wird nicht aufgehen.

Ruth Williams

Ruth Williams

Ruth Williams ist Anglistin und PR-Fachfrau und war 25 Jahre in der Nuklearbranche tätig. Seit 2023 ist sie Präsidentin von Women in Nuclear.

Verfasser/in

Aileen von den Driesch, Projektleiterin Kommunikation, Nuklearforum Schweiz

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