Geologische Tiefenlagerung ist eine sichere und international anerkannte Lösung für radioaktive Abfälle
«Das Abfallproblem ist ungelöst», «Es gibt noch kein Endlager in Betrieb», «Wir hinterlassen nachfolgenden Generationen strahlenden und giftigen Müll», «Die Abfallentsorgung muss die Allgemeinheit zahlen». So oder ähnlich lautet die Kritik am Umgang mit radioaktiven Abfällen, die auch (aber nicht nur) in Kernkraftwerken anfallen. Wir erläutern das Thema und die Hintergründe dazu für die Schweiz.
Grundsätzlich ist die Entsorgung für alle Abfalltypen technisch gelöst. Für schwach- und mittelaktive Abfälle stehen schon seit Jahrzehnten Endlager erfolgreich in Betrieb. International ist vor allem Finnland zu erwähnen, das 2025 das weltweit erste geologische Tiefenlager «Onkalo» für ausgediente Brennelemente in Betrieb nehmen will. Im Nachbarstaat Schweden hat die Regierung den Bau des ersten Tiefenlagers für abgebrannte Kernbrennstoffe in Forsmark und einer Verkapselungsanlage in Oskarshamn genehmigt. Noch hat aber nicht jedes Verursacherland sein eigenes Tiefenlager. Für die Schweiz hat die Nagra die grundsätzliche technische Machbarkeit von Tiefenlagern mit den beiden Entsorgungsnachweisen aufgezeigt.
Tiefenlager für die radioaktiven Abfälle der Schweiz
Die ausgedienten Brennelemente müssen zuerst rund 40 bis 50 Jahre gelagert werden, bis ihre Wärmeproduktion so weit abgeklungen ist, dass sie in einem Tiefenlager entsorgt werden können. Ein Tiefenlager war also noch nicht von Anfang an notwendig. Radioaktive Abfälle werden in einem geologischen Tiefenlager fernab vom Lebensraum des Menschen in Hunderten von Metern Tiefe in einer geeigneten Gesteinsschicht eingelagert. Ein System aus mehreren, sich ergänzenden technischen und natürlichen Sicherheitsbarrieren schliesst die Abfälle dort ein und hält schädliche Einflüsse von den Abfällen fern. Ein verschlossenes Tiefenlager bietet passiv Langzeitsicherheit über die gesamte notwendige Einschlusszeit der Abfälle: weder Unterhalt noch eine Überwachung sind notwendig. Vor Verschluss des Tiefenlagers muss die Langzeitsicherheit nachgewiesen werden. Durch die genügend grosse Tiefenlage der Abfälle sind sie vor Erosion (Gletscher, Flüsse) und weiteren Umwelteinflüssen wie auch Erdbeben geschützt.
Die wichtigste natürliche Barriere im Schweizer Tiefenlagerkonzept ist das Wirtsgestein Opalinuston. Er ist sehr wasserundurchlässig und kann allfällige entstehende Risse wieder selbst abdichten. Aufgrund seiner Struktur und elektrischen Ladung fängt er auch die meisten strahlenden Teilchen in den Abfällen ein und hält sie fest. In geeigneten Gebieten ist der Opalinuston seit Jahrmillionen unverändert geblieben.
Aktueller Stand der Tiefenlagersuche in der Schweiz
In der Schweiz läuft die Standortsuche für ein geologisches Tiefenlager unter der Aufsicht des Bundesamts für Energie (BFE) gemäss Sachplan geologische Tiefenlager. Den Standortentscheid wird der Bundesrat voraussichtlich 2029 treffen und seinen Entscheid dem Parlament 2030 zur Genehmigung vorlegen. Der Entscheid unterliegt dem fakultativen Referendum. Das Tiefenlager für schwach- und mittelaktive Abfälle wird voraussichtlich 2050 und jenes für hochaktive Abfälle 2060 den Betrieb aufnehmen.
Auf der Grundlage langjähriger Forschungsarbeiten und Untersuchungen der Gesteinsschichten hat die Entsorgungsorganisation Nagra am 12. September 2022 Nördlich Lägern als Standort zur Entsorgung aller radioaktiven Abfälle in einem geologischen Tiefenlager vorgeschlagen. Das Gebiet liegt in den Kantonen Aargau und Zürich, nordwestlich von Bülach. Die Brennelementverpackungsanlage soll beim bestehenden Zwischenlager in Würenlingen, im Kanton Aaargau, erstellt werden. Von den drei vertieft untersuchten Gebieten Jura Ost, Nördlich Lägern und Zürich Nordost – die alle in der Nordschweiz liegen – weist Nördlich Lägern die grösste geologische Barrierewirkung, die beste Stabilität der Gesteinsschichten sowie eine hohe Flexibilität für die Anordnung des unterirdischen Lagers auf.
Finanzierung der Entsorgung in der Schweiz
In der Schweiz werden die Gesamtkosten für die Stilllegung der Kernanlagen und die Entsorgung der radioaktiven Abfälle daraus gemäss Verursacherprinzip gedeckt und belaufen sich im langjährigen Mittel auf rund 1 Rappen pro Kilowattstunde Nuklearstrom. Die Konsumenten von Nuklearstrom tragen somit die Kosten über den Strompreis und nicht etwa der Steuerzahler. Das Geld fliesst in zwei Fonds, den Stilllegungsfonds für Kernanlagen und den Entsorgungsfonds für Kernkraftwerke. Da ein verschlossenes Tiefenlager passiv sicher ist, muss es nicht während einer Million Jahre unterhalten und bewacht werden. Somit braucht es dafür auch keine zusätzlichen Gelder.
Abfallmenge und -volumen
Aus dem Betrieb der Schweizer Kernkraftwerke entstehen rund 1500 Kubikmeter hochaktive Abfälle: 1400 Kubikmeter abgebrannte Brennelemente und rund 100 Kubikmeter hochaktive Abfälle aus der Wiederaufarbeitung. Das Volumen entspricht dem Szenario eines 60-jährigen Betriebs der Kernkraftwerke Beznau, Gösgen und Leibstadt sowie 47 Jahren Leistungsbetrieb des Kraftwerks Mühleberg. In Endlagerbehälter für die Tiefenlagerung verpackt, ergibt sich daraus ein Volumen von rund 9300 Kubikmetern, was etwa der Grösse von acht Einfamilienhäusern entspricht (Zahlen basieren auf Kostenstudie 2021 von swissnuclear).
Der grösste Anteil entfällt mit rund 56’000 Kubikmetern auf schwach- und mittelaktive Abfälle (inkl. Endlagerbehälter). Rund die Hälfte davon sind Abfälle, die beim Rückbau von Kernkraftwerken anfallen. Weitere rund 16’000 Kubikmeter entstehen im Bereich Medizin, Industrie und Forschung (MIF-Abfälle). Dies ergibt insgesamt rund 72’000 Kubikmeter schwach- und mittelaktive Abfälle (Volumen endlagerfertig verpackt).
Das Gesamtvolumen von rund 83’000 Kubikmetern endlagerfähig verpackter Abfälle (schwach- und mittelaktive sowie hochaktive Abfälle) ist kleiner als der historische Teil der Zürcher Bahnhofshalle.
Dauer der Lagerung
Die physikalisch notwendige Einschlusszeit hängt vom Abfalltyp ab: Hochaktive Abfälle und ausgediente Brennelemente sind in 200’000 Jahren strahlungsbedingt noch etwa so radiotoxisch wie die entsprechende Menge natürlichen Uranerzes, die zur Herstellung der Brennelemente abgebaut wurde. Schwach- und mittelaktive Abfälle erreichen nach etwa 30’000 Jahren die strahlungsbedingte Giftigkeit von Granit.
Das Ensi fordert, dass die Entwicklung für ein geologisches Tiefenlager über einen Zeitraum von einer Million Jahre abgeschätzt werden muss, d.h. die Nagra muss für ein Tiefenlager für hochaktive Abfälle Sicherheitsanalysen für bis zu einer Million Jahre erstellen. Beim Tiefenlager für schwach- und mittelaktive Abfälle beträgt der Betrachtungszeitraum 100'000 Jahre.
Mögliche Alternativen
Reaktoren wie der Candu sowie neuere Reaktorkonzepte wie beschleuniger-getriebene unterkritische Reaktoren (Myrrha, Transmutex) könnten dereinst mit ausgedienten Brennelementen betrieben werden oder radioaktive Abfälle durch Transmutation vernichten. Auch andere neue Reaktorkonzepte versprechen signifikant geringere Abfallmengen mit geringerer Strahlungszeit.
Fazit: Die wissenschaftlich anerkannte und sichere geologische Tiefenlagerung radioaktiver Abfälle in der Schweiz ist technisch gelöst, allerdings – und das planmässig – bislang noch nicht umgesetzt. Es existiert jedoch ein fundiertes, breit abgestütztes Planverfahren der beauftragten Nagra. Auch die Finanzierung durch die Verursacher bzw. Kernkraftwerksbetreiber ist schon heute geregelt und gesichert.
Verfasser/in
Benedikt Galliker, technisch-wissenschaftlicher Redaktor
Quelle
Bundesamt für Energie (BFE): Radioaktive Abfälle
Eidgenössisches Nuklearsicherheitsinspektorat (Ensi): Broschüre «Geologische Tiefenlager – Radioaktive Abfälle sicher entsorgen»
Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle Nagra: www.nagra.ch
Paul Scherrer Institut (PSI): Für eine Million Jahre sicher verwahrt
Swissnuclear: Finanzierung von Stilllegung und Entsorgung
Finnische Entsorgungsorganisation: Posiva
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