Finnland: sauber Heizen und Duschen mit Nuklearenergie
Nukleare Wärmequellen für städtische Fernwärmenetze sind bezüglich Schonung der Umwelt jeder anderen Technologie überlegen. Dies zeigt eine Lebenszyklusanalyse des staatlichen finnischen Technikforschungs- und Innovationszentrums VTT. Dabei wurde die gesamte Nutzungsdauer der Energietechnologie mit sämtlichen CO2-Emissionen vom Uranabbau über Bau und Betrieb des Reaktors bis zu Rückbau und Entsorgung der radioaktiven Abfälle betrachtet. Weitere Berechnungen zeigen, dass reine Heizreaktoren die Umwelt nur wenig belasten, keine knappen Rohstoffe benötigen und keine Konkurrenz zu kohlenstoffarmen Stromerzeugungssystemen sind.
Fernwärmenetze sind in den Ländern mit kalten Wintern grosse Energieverbraucher. Nach Angaben des VTT werden in Europa allein die Häuser von rund 60 Millionen Menschen von gegen 3500 lokalen Fernwärmeversorgungen geheizt. In Finnland ist Fernwärme mit 45% Marktanteil sogar die am weitesten verbreitete Heiztechnik.
Das VTT hat nun erstmals eine umfassende Lebenszyklusanalyse (Life-Cycle Assessment, Life-Cycle Analysis, LCA) für nuklear betriebene reine Fernwärmnetze (ohne Stromproduktion) durchgeführt. Anfang Juli 2024 wurden die Resultate in der Studie «Evaluation of Life Cycle CO2 Emissions for the LDR-50 Nuclear District Heating Reactor» publiziert. Darin wird die Umweltbilanz des LDR-50-Heizreaktors des finnischen Start-ups Steady Energy errechnet und mit konventionellen Brennstoffen, Elektroheizungen und Wärmepumpen verglichen. Steady Energy ist ein Spin-off des VTT.
Die LCA mit der Schätzung der Treibhausgasemissionen über die gesamte Betriebsdauer eines LDR-50 ergab 2,4 Gramm CO2-Äquivalente pro Kilowattstunde Heizwärme. Zwei Drittel der CO2-Emissionen stammen dabei aus dem Abbau und Aufbereiten des Natururans und dem Bau der Reaktoranlage. Dieses Ergebnis wurde mit den anderen üblichen Brennstoffen für Fernwärmenetze verglichen wie Kohle, Erdgas, Torf und verschiedene Bioenergiequellen (in Finnland vor allem Holz). Der LDR-50 liegt dabei sogar noch unter den Werten von Biokraftstoffen mit 10 bis 50 g CO2-eq/kWh. Die CO2-Bilanz des LDR-50 ist auch vergleichbar mit Elektroheizungen oder Wärmepumpen, die – wie etwa in Frankreich oder Schweden – mit CO2-arm produziertem Strom betrieben werden.
Bau der ersten Einheiten in Finnland
Die Autoren kommen zum Schluss, dass – auch wenn die LCA nur die Grössenordnung der Emissionen liefert – nukleare Heizreaktoren eine valable Alternative für Fernwärmenetze sind. Die ersten LDR-50-Einheiten sollen in Finnland erstellt werden, wo derzeit fossil befeuerte Anlagen auf Biokraftstoffe umgestellt werden. Da die langfristige Nachhaltigkeit der mit sehr viel Holz betriebenen Grossanlagen inzwischen hinterfragt wird, rechnen die Autoren in Finnland mit einem interessanten Markt für den LDR-50.
Erste Kostenschätzungen für den LDR-50 (Bau- und Kapitalkosten) beziffert Steady Energy tiefer als das anvisierte Ziel von 1500 Euro pro Kilowatt. Für die Betriebskosten verweist das Unternehmen jedoch auf mehrere Variablen: die Betriebsweise des Heizreaktors, der Umfang des vor Ort eingesetzten Betriebspersonals sowie auf den Umstand, dass Wärme, anders als Strom, vor Ort produziert und konsumiert wird. Daher bilde jedes Fernwärmenetz einen eigenen Markt.
Tiefe Temperaturen und geringer Druck
Der LDR-50 ist ein Small Modular Reactor (SMR), der seit 2020 von Steady Energy entwickelt wird und nur Heizwärme erzeugt. Zuvor ergab eine Studie, dass die klassischen SMRs nicht ideal für Fernwärmeversorgungen sind, da sie in erster Linie der Stromproduktion dienen. Der LDR (Low-temperature District Heating Reactor) soll in den 2030er-Jahren kommerziell verfügbar sein und wird spezifisch auf die Bedürfnisse im finnischen bzw. europäischen Wärmemarkt zugeschnitten.
Der LDR-50 kombiniert die bewährte Leichtwasser-Reaktortechnologie mit innovativen passiven Sicherheitssystemen. Da das Reaktorsystem keine Dampfturbine besitzt, sondern einzig über Wärmetauscher zwischen Reaktorkreislauf und Fernwärmenetz verfügt, kann es bei tiefen Temperaturen und geringem Druck betrieben werden. Für viele Fernwärmenetze reicht eine maximale Speisewassertemperatur von etwa 120 ºC. Bei herkömmlichen Reaktoren zur Stromproduktion werden im Wasser-Dampfkreislauf um die 300 ºC erreicht. Der Druck im Vollbetrieb des Heizreaktors liegt unter 10 bar – das entspreche eher einer Espressomaschine oder einer Champagnerflasche als einem Druckwasserreaktor mit 150 bar bzw. einem Siedewasserreaktor mit 70 bar, schreibt Steady Energy. Der Ausschluss von Hochdruckereignissen vereinfache die Reaktorauslegung wie auch den Bau, da die Reaktorwände nur wenige Zentimeter dick sein müssen und mit herkömmlichen Verfahren hergestellt werden können.
Modular, kompakt und mit variabler Leistung
Das System ist modular angedacht. Mehrere unabhängig voneinander betreibbare Heizreaktoren werden in einem Gebäude untergebracht und an bestehende Fernwärmenetze angeschlossen. Ein einzelner Reaktor hat die Grösse eines aufrechtstehenden Busses, eine maximale Leistung von 50 MWth und liefert 600 bis 700 GWh während eines Betriebszyklus. Der Leistung kann jedoch bei tiefem Bedarf auf bis 10 MWth heruntergefahren werden. Im Baseload-Betrieb läuft der Reaktor in der kalten Jahreszeit unter Volllast und muss etwa alle zwei Jahre nachgeladen werden. Bei geringerem Bedarf sinkt der Brennstoffverbrauch und der Betriebszyklus wird entsprechend länger. Gemäss Steady Energy reicht ein LDR-50 aus, um den Wärmebedarf von 10’000 bis 20’000 finnischen Haushalten zu decken (je nach Netzstruktur und nördlicher Lage). Zum Vergleich: Das zu fast hundert Prozent vom Kernkraftwerk Beznau versorgte Fernwärmenetz im unteren Aaretal liefert pro Jahr durchschnittlich rund 170 GWh an 2600 Kunden.
Einsatz in Siedlungsgebieten
Heizreaktoren werden an den Einspeisepunkten von Fernwärmenetzen gebaut, d.h. in der Regel in städtischen Gebieten in der Nähe zu den Konsumenten. Die Entwickler des LDR-50 verweisen daher auf das hohe Niveau passiver Sicherheit wie bei vergleichbaren SMRs.
So besteht das Reaktormodul aus zwei Druckbehältern, von denen der Äussere als Containment dient, und deren Zwischenraum teilweise mit Wasser gefüllt ist. Das Reaktormodul steht seinerseits in einem grossen Wasserbecken. Sollte die normale Wärmesenke über die primären Wärmetauscher ausfallen, steigt die Temperatur im Reaktor und die Zirkulation des Kühlwassers verändert sich. Das Wasser im Zwischenraum der beiden Druckbehälter beginnt zu sieden, und die Wärme kann passiv in das umliegende Wasserbecken abgeführt werden. Dieses Sicherheitssystem benötigt keine elektrischen Pumpen, Ventile oder andere bewegliche Teile. Die Wasserreserve im Becken erlaubt das Kühlen des Reaktors über mehrere Wochen ohne Intervention des Betriebspersonals. Zudem kann der LDR-50 dank seiner geringen Grösse in einer unterirdischen Kaverne platziert werden – ein weiterer Vorteil in dicht besiedeltem Gebiet.
Verfasser/in
M.Sc. nach VTT und Steady Energy