Beznau, unsterblich?

Rainer Meier, der ehemalige Kommunikationschef von Axpo, kommentiert den möglichen Weiterbetrieb des Kernkraftwerks Beznau (KKB) über 60 Jahre hinaus, der von der Axpo derzeit geprüft wird.

16. Juli 2024
Kernkraftwerk Beznau
Quelle: Axpo

Wer beim Anflug auf Zürich rechts am Fenster sass, konnte ihn nicht übersehen. Den riesigen, ins Gras neben Runway 16 gezeichneten Wegweiser zum «ältesten AKW der Welt», dem «Schrottreaktor» von Beznau. Das war 2016, eine lustige Aktion von Greenpeace zur Atom-Ausstiegsinitiative, über die damals abgestimmt wurde.

Lustig ja, aber halt auch knapp daneben. Denn weder war das KKB ein Schrottreaktor, noch das älteste AKW der Welt … wie so vieles führte in dieser Kampagne auch der Wegweiser knapp am Ziel vorbei. Was dann auch für den Volksentscheid galt. Das Anliegen, Beznau und Mühleberg 2017, Gösgen 2024 und Leibstadt 2029 abzustellen, wurde knapp abgelehnt.

Heute schmunzelt man, wenn man an diese Abstimmung denkt. AKW abstellen? Wo wir doch so schon zu wenig Strom haben? Aber damals war es bitterernst. Nicht nur Grüne und Linke unterstützten die Initiative, auch die GLP, die EVP und die CSP. Hinzu kamen die Energiestiftung, AEE oder Swissolar, die sich von einer Stromknappheit Vorteile fürs eigene Geschäft versprachen. Viele der Befürworter drehen sich heute verschämt weg, wenn man sie darauf anspricht. Denn mittlerweile ist klar: Ein Ja zu dieser Vorlage hätte die Schweiz in ein totales Energie-Chaos gestürzt.

Dass unsere alten AKW so lange laufen müssen, wie sie sicher sind, ist heute breit akzeptiert. Selbst «Solarpapst» Roger Nordmann, der noch vor kurzem Gösgen und Leibstadt auf 45 Jahre Betrieb beschränken wollte, rechnet jetzt in seinen Szenarien mit mindestens 60 Jahren.

Und als vor wenigen Wochen die Axpo ankündigte, für Beznau abzuklären, ob ein Betrieb über die geplanten 60 Jahre hinaus möglich sei, da schwieg die Schrottreaktor-Fraktion. Der politische Druck – nicht nur von linksgrüner Seite – auf Axpo ging jahrelang dahin, Beznau bitte baldmöglichst abzustellen. Jetzt kommt der Wind aus der anderen Richtung. Die Hoffnung der Architekten der Energiewende ist jetzt, dass die bewährten AKW möglichst lange am Netz bleiben, um sich damit Zeit für den Aufbau der erneuerbaren Produktion zu verschaffen.

Bis März 2025 will sich Axpo Zeit geben, die Fakten zu klären. Dazu gehört zuallererst die sicherheitstechnische Analyse. Fast 2,5 Milliarden Franken hat Axpo bis heute in die Erneuerung der Anlage und die Verbesserung der Sicherheit mit neuen Features gesteckt. Beznau ist heute auf dem aktuellen Stand der Technik, umfassend nachgerüstet. Zum Vergleich: Würde man einen 55jährigen Schwimmer mit allen heute verfügbaren technischen und biologischen Hilfsmitteln für 2,5 Milliarden aufpeppen… er würde im August an der Olympiade Gold holen.

Dass «alt» eben nicht gleich «schlecht» ist, sieht man auch an der sicherheitstechnischen Kennzahl «Kernschaden». Dabei wird eruiert, wie hoch die Wahrscheinlichkeit eines Kernschadens zu einem gegebenen Zeitpunkt ist. Und siehe da: Die Wahrscheinlichkeit ist beim KKB heute am tiefsten überhaupt. Sie war am höchsten 1969, bei der Inbetriebnahme. Einfach, weil es damals viele der technischen Sicherheits-Features noch nicht gab, über die Beznau heute verfügt.

Erst 2038 wird Beznau 60 Jahre alt
Einem Vorgang lässt sich mit Nachrüstung allerdings nicht beikommen, der Versprödung des Stahls im Reaktordruckbehälter durch den Beschuss mit Neutronen. Durch herausnehmbare Metallstäbe im Innern des Druckbehälters weiss man genau, wie das Metall auf den Neutronenbeschuss reagiert. Dabei ist für die Versprödung nicht das Alter der Anlage ausschlaggebend, sondern die Anzahl Jahre, die Beznau unter Volllast gefahren wurde.

Das war und ist nicht immer der Fall. Man erinnert sich, dass Block 1 von 2015–2018 stillstand, weil mit neuartigen Messgeräten vorerst nicht erklärbare Einschlüsse im Metall gefunden worden waren. Zusätzlich steht ein AKW für Revisionen rund 10% des Jahres still. In dieser Zeit versprödet das Metall im Reaktor nicht. 2029 wird Beznau-1 versprödungstechnisch deshalb nicht 60, sondern erst 51 Jahre alt sein, und damit gleich alt wie Beznau-2. Den 60. Geburtstag unter Neutronenbeschuss feiern beide deshalb gemeinsam erst 2038.

Laut Fachleuten wäre es versprödungstechnisch möglich, den Reaktor 1 in Beznau 70 Jahre lang zu betreiben, ohne dass die Sprödbruch-Referenztemperatur von 93 Grad geritzt würde (heute ist sie bei 89 Grad, in den USA laufen Reaktoren mit 132 Grad). Gar kein Problem wäre die Versprödung bei Beznau-2, das vom Chemismus (weniger Kupfer) und der Fahrweise her deutlich besser abschneidet als sein drei Jahre früher ans Netz gegangener Bruder.

Sogar über 70 Jahre strecken liesse sich die Betriebsdauer, wenn Axpo Beznau nicht mehr unter Volllast fährt. Grob vereinfacht: Wenn Beznau im Sommer stillsteht, freut das die Fischer an der Aare, wenn es dann im Winter läuft, freut sich der Rest der Schweiz. Ein solches Modell brächte allerdings enorme betriebliche, finanzielle und regulatorische Herausforderungen mit sich.

Aber rentiert sich der Langfristbetrieb für Axpo denn überhaupt? Wäre sie bereit, nochmals zu investieren? 2008 hatte sie rund 800 Millionen Franken in den Weiterbetrieb von Beznau bis 2030 investiert. Für 70 Jahre Betrieb wären wohl – hier greife ich den Abklärungen des Betreibers vor – nochmals bis zu 1 Milliarde Franken fällig. Ein No-Go?

Ich nehme den Taschenrechner hervor. 1 Milliarde über 10 Jahre macht etwa 20 CHF/MWh. Wenn man für Betrieb und Brennstoffe nochmals 40 CHF/MWh dazu rechnet, ist man bei genau dem Marktpreis, den die MWh Ende April kostete: 60 CHF/MWh. Geht doch?

Dem Axpo-Finanzchef dürften die Haare zu Berge stehen, wenn er das liest. Denn wer garantiert ihm, dass der Marktpreis bis 2040 im Schnitt über 60 CHF/MWh ist? Dieses Risiko könnte nur der Bund mit einem «Contract for Difference» decken. Die Garantie wäre der Preis für die Versorgungssicherheit. Ähnliches leistet der Bund übrigens im neuen Stromgesetz, wo er bis zu 60% der Investitionen in Erneuerbare trägt. Würde Bern dieses Muster auch bei Beznau anwenden, der Axpo-Finanzchef wäre im Galopp mit der Schaufel über der Schulter nach Beznau unterwegs …

Plan A oder Plan B – die Zeit drängt
Es gibt also noch viel zu klären, nicht nur für Axpo. Sie hat bisher einen klaren Plan A. Dieser sieht die Stilllegung von Beznau-1 nach dem Jahr 2030 und danach den Rückbau vor. Entsprechende Vorarbeiten laufen seit langem, und bis spätestens Frühling 2025 muss klar sein, ob dieser Plan durchgezogen wird. Denn nachher geht die konkrete Planung los, um alle Unterlagen zur Stilllegung und zum Rückbau bis 2027 einreichen zu können. Eine parallele Planung – gleichzeitig den Rückbau und den Langzeitbetrieb vorbereiten – kommt wegen des Ressourcenbedarfs kaum in Frage.

40, 50, 60 und jetzt gar 70 oder mehr Jahre? Man reibt sich die Augen. Geplant war eigentlich, die älteren Schweizer Kernkraftwerke so Mitte der 2020er-Jahre mit neuen zu ersetzen. Es scheint mir immer noch ein vernünftiger Plan gewesen zu sein. Am 13. Februar 2011 hatte die Berner Stimmbevölkerung sich in einer konsultativen Abstimmung für diesen Plan ausgesprochen. Doch manchmal kommt es anders, als man denkt. Mit einem Kollegen hatte ich vor Jahren geflachst, wir würden dann wohl auf dem Pensionierten-Ausflug gemeinsam den Rückbau des KKB besichtigen. Es scheint, als müssten wir uns noch etwas gedulden. Wenn überhaupt. Denn im Gegensatz zu Beznau sind wir beide noch nicht unsterblich.

Rainer Meier

Rainer Meier (65) war von 2006 bis 2021 Kommunikationsleiter der Axpo. Heute ist er als Senior Advisor für verschiedene Unternehmen in den Bereichen Reputation und Krisenkommunikation tätig.

Die Aussagen von Gastautoren entsprechen nicht zwingend den Standpunkten des Nuklearforums Schweiz.

Verfasser/in

Rainer Meier, Senior Advisor in den Bereichen Reputation und Krisenkommunikation

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