Enef: die Stärken und Schwächen der Kernenergie

An der 5. Tagung des Europäischen Kernenergieforums (Enef), die am 25. und 26. Mai 2010 in Bratislava stattfand, wurde eine erste Analyse zur Wettbewerbsfähigkeit der Kernenergie in Europa vorgestellt. Umfangreiches Datenmaterial aus internationalen und nationalen Energiestudien sowie Berechnungen der Energiebranche und nicht staatlicher Organisationen wurden herangezogen, um die Stärken und Schwächen der Kernenergie im Vergleich zu weiteren Stromproduktionsmethoden zu erfassen. Das Papier gilt als wichtiger Beitrag zum Multi-Stakeholder-Dialog im Rahmen des Enef.

30. Aug. 2010
Abbildung 1
Abbildung 1

Die Konkurrenzfähigkeit der Kernenergie in Europa kann nur beurteilt werden, wenn ihre Stärken, Schwächen und Potenziale mit denen anderer Technologien verglichen werden und zwar nach Möglichkeit auf der Basis allgemein anerkannter Indikatoren für wirtschaftliche, ökologische und soziale Einflüsse. Zudem soll Datenmaterial aus verschiedenen Quellen berücksichtigt werden. Die jetzt vorliegende Analyse der Arbeitsgruppe «Competitiveness of Nuclear Energy» des Enef versteht die Wettbewerbsfähigkeit nicht ausschliesslich im ökonomischen Sinn. Vielmehr vergleicht sie Aspekte der wirtschaftlichen, ökologischen und sozialen Nachhaltigkeit einzelner Stromproduktionsformen und stellt die Ergebnisse als Liste der relativen Stärken und Schwächen der Kernenergie dar.

Facettenreiche wirtschaftliche Dimension

Nicht weniger als zehn Studien wurden zur Analyse herangezogen, um mit teils retro- und teils prospektivem Ansatz die Bandbreite der Stromerzeugungskosten bei unterschiedlichen Produktionssystemen und Rahmenbedingungen zu erläutern. Unter anderem beeinflussen die unterschiedlichen Standortbedingungen, Konstruktionskosten und Finanzierungsmodelle die Produktionskosten für Atomstrom. Insgesamt ergibt sich für Kernkraftwerke durchwegs ein Bild tieferer Lebenszykluskosten als für Gas- oder Kohlekraftwerke. Da der Grossteil der Kosten bei der Kernenergie als Anfangsinvestition anfällt, sind die Gesamtkosten während der Betriebsdauer eines Kernkraftwerks besser abschätzbar als bei den übrigen der zum Vergleich herangezogenen Produktionssysteme. Bei aller Streubreite der Gesamtkosten kann der Anteil der Brennstoffkosten an den gesamten Stromproduktionskosten als relativ konstant betrachtet werden. Im Fall der Kernenergie machen sie mit durchschnittlich 15% einen relativ geringen Anteil aus, wodurch die Produktionskosten für Atomstrom besser gegen steigende Primärenergiepreise gepuffert sind als bei fossilen Primärenergieträgern (Abbildung 1).

Die Autoren der Analyse halten fest, dass Investitionsentscheide nicht alleine von wirtschaftlichen Faktoren abhängen, sondern auch von den politischen Rahmenbedingungen, den Auswirkungen der Strommarktliberalisierung und der langfristigen Entwicklung der Netzinfrastruktur. Eine der zitierten Studien befasst sich mit der Zuverlässigkeit von Kostenschätzungen. Die Dauer der Bau- und Planungsphase übt einen grossen Einfluss auf die Kapitalkosten eines Kernkraftwerks aus. Die Bauzeiten für Kernkraftwerke variieren von Land zu Land stark, ebenso die Unterschiede zwischen den kürzesten und der längsten effektiven Bauzeit in einem Land. So dauerte in der Vergangenheit die mittlere Bauphase etwa in Grossbritannien mit gut zwölf Jahren rund dreimal so lange wie in Japan (Abbildung 2). Aktuelle Kernkraftwerksprojekte in China, Südkorea und Japan weisen eine Bauzeit von rund fünf Jahren aus. Der Bau von Kohlekraftwerken dauert etwa halb so lange; ein Gaskraftwerk kann gar innerhalb von zwei Jahren errichtet werden.

Abbildung 2
Abbildung 2

Die Enef-Analyse zählt zur wirtschaftlichen Dimension auch die Versorgungssicherheit mit Brennstoffen und nicht energetischen Rohstoffen. Die Uranvorkommen liegen bekanntlich in verschiedenen und geopolitisch stabilen Regionen. Uran ist aufgrund der hohen Energiedichte verhältnismässig einfach für längere Zeit lagerfähig und die heute bekannten Reserven dürften beim derzeitigen Verbrauch für mindestens hundert Jahre reichen. Erwähnt werden in diesem Zusammenhang auch die Erkundung weiterer Uranvorkommen und das Potenzial der Wiederaufbereitung sowie neuer Reaktortechnologien.

Beim Ressourcenkonsum ist die Kernenergie um eine bis zwei Grössenordnungen effizienter als die Photovoltaik und am ehesten vergleichbar mit der Wasserkraft, wie die Zusammenstellung aus einer Studie der Universität Stuttgart in Tabelle 1 zeigt.

Tabelle 1
Tabelle 1

Geringe Umweltbelastung durch Kernenergie

Die in der Analyse zum Vergleich der Treibhausgasemissionen herangezogenen Studien bestätigen ein bereits bekanntes, aber nicht minder klares Bild: Kernenergie und Wasserkraft erzeugen mit Abstand den geringsten Ausstoss während des gesamten Lebenszyklus, gefolgt von Windturbinen und Photovoltaik. Die CO2-Emissionswerte für Kernenergie variieren gemäss verschiedenen Quellen zwischen 5 und 10 g pro kWh, wobei die Streuung der Werte aus der Verwendung verschiedener Technologien, insbesondere bei der Urananreicherung und der Brennstoffverarbeitung, resultiert. Noch höhere CO2-Emissionswerte für Kernenergie, wie sie etwa die Organisation «Sortir du nucléaire» ins Feld führt (30–60 g/kWh), basieren auf der Annahme, dass Atomstrom zu Spitzenlastzeiten mit Kohlestrom ergänzt werde und somit die hohe CO2-Emission von Kohlekraftwerken der Kernenergie anzurechnen sei.

Weitere Studien, die zum Vergleich der Umweltbelastung herangezogen wurden, betreffen den Landverbrauch der einzelnen Produktionsmethoden, das Auftreten gravierender Unfälle und das Management radioaktiver und nicht radioaktiver Abfälle. Zusammenfassend halten die Autoren der Analyse fest, dass die Kernenergie bezüglich Luftverschmutzung, Landverbrauch und Abfallproduktion einen Vergleich mit den anderen Technologien nicht zu scheuen brauche.

Komplexe soziale Dimension

Am schwierigsten ist es laut den Autoren der Analyse, die soziale Dimension auf der Basis klarer und messbarer Kriterien zu erfassen. Dazu gehören beispielsweise Einflüsse auf den Arbeitsmarkt, lokale Einflüsse wie visuelle Beeinträchtigungen oder Lärmbelastung durch die Produktionsanlagen, soziale Herausforderungen beim Umgang mit nuklearen und nicht nuklearen Abfälle, sowie die Risikowahrnehmung und Technologieakzeptanz in der Gesellschaft. In der vorliegenden Analyse werden unter anderem auch neuere Daten wiedergegeben, die den Einfluss verschiedener Stromproduktionsmethoden auf die Gesundheit des Menschen zu erfassen versuchen. Im NEEDS Projekt der EU wurde dafür der Indikator DALY (Disability Adjusted Life Years) verwendet; er umfasst die durch den Technologieeinsatz verlorenen Lebensjahre (YOLL/Mortalität) und die Lebensjahre mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen, die durch die Technologie verursacht sind (YLD/Morbidität). Zusammen mit der solarthermischen Stromproduktion und Offshore-Windturbinen befindet sich die Kernenergie mit einem DALY von rund 0,03 Jahren pro GWh am unteren Rand der Skala, während Biomasse und Kohle die höchsten Werte erhielten (Abbildung 3).

Abbildung 3
Abbildung 3

Kernenergie mit mehr Stärken als Schwächen

Die Analyse führt zusammenfassend die folgenden zehn Hauptstärken der Kernenergie auf:

  • In vielen Szenarien, selbst bei tiefen CO2-Kosten, wird die Kernenergie als die kostengünstigste Option für die Grundlastproduktion anerkannt.
  • Die Entsorgungs- und Rückbaukosten sind in den Stromproduktionskosten internalisiert.
  • Die Produktionskosten von Atomstrom sind nur in geringem Ausmass von den variablen Brennstoffkosten abhängig.
  • Die Versorgungssicherheit mit Uran ist hoch, da die Uranvorkommen vorwiegend in politisch stabilen Regionen liegen und Uran für viele Jahre lagerfähig ist.
  • Die Versorgungskette für den Brennstoff ist schwerpunktmässig in Europa angesiedelt.
  • Die Kernkraftwerke Europas weisen einen hohen durchschnittlichen Auslastungsgrad auf und ihre Effizienz wurde in den vergangenen Jahren laufend verbessert.
  • Im Verlauf des gesamten Lebenszyklus entsteht ein sehr geringer Ausstoss an Treibhausgasen.
  • Die negativen Einflüsse auf die Umwelt, gemessen an der Treibhausgasemission, der Luftverschmutzung und dem Materialbedarf während des gesamten Lebenszyklus einer Anlage, sind deutlich geringer als bei fossilen Brennstoffen.
  • Abfälle haben ein geringes Volumen und belasten bei korrektem Management die Biosphäre nicht. In allen europäischen Ländern ist das Verursacherprinzip für die Übernahme der Entsorgungskosten anerkannt.
  • Die Kernenergie schafft hochqualifizierte Arbeitsplätze und unterstützt die Wirtschaft mit berechenbaren und stabilen Strompreisen.

Auf der Seite der Schwächen der Kernenergie gegenüber anderen Technologien hebt der Bericht folgende Punkte hervor:

  • Kernenergie ist eine kapitalintensive Technologie.
  • Sie hat eine geringe Akzeptanz in der Bevölkerung, was Prognosen zur Dauer und zum Erfolg von Bewilligungs-, Planungs- und Konstruktionsphasen erschwert.
  • Grössere Störfälle sind sehr selten, können aber weitreichende Konsequenzen für Mensch und Umwelt haben.
  • Das derzeitige Fehlen von Endlagern für stark radioaktive Abfälle erweckt bei der Bevölkerung den Eindruck, dass es grundsätzlich keine Lösung für die nachhaltige Abfallentsorgung geben wird.
  • Die Uranvorkommen sind im Vergleich zu erneuerbaren Energieträgern limitiert.
  • Proliferationsfragen sind eine spezifische Herausforderung der Kerntechnologie.
  • Durch den derzeitigen Generationenwechsel entsteht ein (vorübergehender) Engpass bei den personellen Ressourcen, die für den sicheren Betrieb der Kernanlagen und den Ausbau der Kernenergie benötigt werden.

Quelle

R.B. nach Enef, «SWOT analysis of nuclear energy», Mai 2010

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